Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Charakter als Reich Gottes widersprechen. Heilsgeschichte kann aber auch nicht heißen,<br />
daß das Reich Gottes dieser <strong>Geschichte</strong> transzendent wäre, mit dieser <strong>Geschichte</strong> <strong>im</strong><br />
Konkreten also nichts zu tun hätte. Sondern Heilsgeschichte würde bedeuten, daß in<br />
dieser <strong>Geschichte</strong> das Reich Gottes anbricht, und zwar so, daß es in seinem Anbrechen<br />
diese <strong>Geschichte</strong> zugleich transzendiert. „Das Kommen des Reiches ist Gottes Tat an<br />
dieser Welt“ 14 , durch welche die <strong>Geschichte</strong> in einem anderen Horizont erscheint. Damit<br />
verliert die Heilsgeschichte ihren Charakter einer „großen Erzählung“, die, wie alle<br />
großen Erzählungen, nach Lyotard zu einem Ende gekommen sind. 15 Sie wird zu einer<br />
partikularen Erzählung, freilich mit universalem Anspruch. Das Spezifische dieser Erzählung<br />
ist in strukturaler Sicht, daß sie eine Regel angibt, wie <strong>Geschichte</strong> zu lesen ist,<br />
nämlich unter der Perspektive der Verheißung des Reiches Gottes. <strong>Geschichte</strong> wird<br />
dann nicht verstanden als plan- und zielloser Ablauf, sondern als Ablauf hin zum Ziel<br />
Gottes mit dieser Schöpfung. Heilsgeschichte ist diese <strong>Geschichte</strong> also nicht als die vorfindliche<br />
<strong>Geschichte</strong>, sondern in der Lesart des Glaubens, die sich von der Offenbarung<br />
Gottes her aufdrängt, aber nicht unumstritten ist. Man sollte den Ausdruck Heilsgeschichte<br />
somit verstehen als ein Prädikat, das der vorfindlichen <strong>Geschichte</strong> aufgrund<br />
der biblisch begründeten Hoffnung beigelegt wird. Dabei kann in einem konkreten Geschehen,<br />
in dem Heil erfahren wird, die mit diesem Geschehen verbundene <strong>Geschichte</strong><br />
als „Heilsgeschichte“ apostrophiert werden; doch ist dies dann eine Aussage, deren Berechtigung<br />
sich nicht von selbst erschließt, sondern <strong>im</strong> Glauben erschlossen wird. Hinsichtlich<br />
der Frage nach Kontingenz und Kausalität in der <strong>Geschichte</strong> und in der Perspektive<br />
einer Heilsgeschichte läßt sich dann sagen, daß das Heil in der <strong>Geschichte</strong> und<br />
das Heil als <strong>Geschichte</strong> sich nicht kausal erklären lassen, sondern sich dem kontingenten,<br />
weil unverfügbaren Handeln Gottes <strong>im</strong> Ereignis Jesus Christus verdanken.<br />
5.4 Jesus Christus als strukturbildendes Ereignis<br />
Die Regel, nach der <strong>Geschichte</strong> als Heilsgeschichte gelesen werden kann, und für den<br />
Glauben gelesen werden muß, ergibt sich aus der Offenbarungsqualität des Ereignisses<br />
Jesus Christus. Dies ist näher zu entfalten. In Jesus Christus als der Inkarnation Gottes<br />
wurde der Gegensatz von Heilsgeschichte und Profangeschichte tendenziell aufgehoben.<br />
Gott wurde in Jesus Christus Teil dieser <strong>Geschichte</strong> nicht nur als ihr gründender Grund,<br />
sondern als eine <strong>Geschichte</strong> unter anderen. Er hat sich damit dieser <strong>Geschichte</strong> und dem<br />
Umgang mit ihr ausgeliefert. Darin hat er sowohl sich als auch die <strong>Geschichte</strong> neu qualifiziert.<br />
In dieser einen <strong>Geschichte</strong>, nicht in der <strong>Geschichte</strong> allgemein, offenbart sich<br />
Gott. 16 Dabei ist die <strong>Geschichte</strong> des Jesus Christus als <strong>Geschichte</strong> so umstritten wie an-<br />
dern Unheil vollzieht. Heilsgeschichte wird <strong>im</strong>mer wieder konterkariert durch eine Unheilsgeschichte.<br />
Die theologische Rede von der Heilsgeschichte bezieht sich auf die Perspektive der Best<strong>im</strong>mung<br />
der <strong>Geschichte</strong> nach dem Willen Gottes zum Heil, also auf die Zukunft der <strong>Geschichte</strong>. In<br />
der geschehenden <strong>Geschichte</strong> werden Heil und Unheil erfahren. Vgl. auch Eckhard Lessing, Die Bedeutung<br />
der Heilsgeschichte in der ökumenischen Diskussion, in: EvTh 44/1984, 227–240.<br />
14 Joest, Dogmatik Bd. 2, 639.<br />
15 Vgl. Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen, Wien 1986.<br />
16 Vgl. Joach<strong>im</strong> Track, Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Reden von Gott, Göttingen<br />
1977, 262f: „Wir gehen davon aus, daß Gott sich in einer besonderen <strong>Geschichte</strong> kenntlich macht.<br />
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