Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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dolf Bultmann 9 sowie etwa K.G. Steck, F. Hesse und G. Klein. 10 Auf die komplexen<br />
exegetischen Diskussionen braucht in unserem Zusammenhang nicht weiter eingegangen<br />
zu werden. Die Dialektische Theologie verstand die Offenbarung in Jesus Christus<br />
als eschatologisches Ereignis und damit als Krise des Geschichtlichen. 11 Für Rudolf<br />
Bultmann ist Christus das Ende der <strong>Geschichte</strong> und damit jeder heilsgeschichtliche Gedanke<br />
abzulehnen; Vorstellungen von Heilsgeschichte werden als menschliche Objektivationen,<br />
als Form menschlicher Selbstbehauptung abgelehnt und demgegenüber die<br />
jeweilige individuelle eschatologische Situation der Entscheidung thematisiert. Beide<br />
Versuche, das Problem zu lösen, sind eher als Versuche zu bezeichnen, das Problem zu<br />
umgehen. Denn zum einen muß die Krise des Geschichtlichen selbst geschichtlich verstanden<br />
werden, und zum anderen bedeutet die Ablehnung geschichtlicher Vorstellungen<br />
auch für die <strong>Geschichte</strong> Gottes mit der Welt eine Negation der geschichtlichen<br />
Zuwendung Gottes in Jesus Christus zu dieser Welt. Weiter <strong>im</strong>plizieren beide Lösungen<br />
eine Verengung auf das Individuum und die Subjektivität, die deren geschichtliche Konstitution<br />
und Verfassung vernachlässigt.<br />
Trotz dieser Kritik an der Kritik heilsgeschichtlicher Vorstellungen ist an Vorbehalten<br />
gegenüber der Rede von der Heilsgeschichte festzuhalten. Heilsgeschichtliche Konzeptionen<br />
sind, wie alle Geschichtsentwürfe, menschliche Konstruktionen. Als solche<br />
sind sie für das Verstehen von und Sichzurechtfinden in der <strong>Geschichte</strong> notwendig. Erkenntnistheoretisch<br />
läßt sich aber innerhalb der <strong>Geschichte</strong> über ihren Wahrheitsgehalt<br />
nichts aussagen. Es wäre bei der Rede von Heilsgeschichte also <strong>im</strong>mer zu betonen, daß<br />
es sich um ein Verständnis von <strong>Geschichte</strong> aus der Perspektive des Glaubens und in der<br />
Hoffnung auf und dem Vertrauen in die Verheißungen Gottes handelt. 12 Heilsgeschichte<br />
kann dann nicht heißen, daß sich das Reich Gottes, wenn wir diesen Ausdruck als Chiffre<br />
für das von Gott verheißene Heil nehmen, in der <strong>Geschichte</strong> unabweisbar aufzeigen<br />
läßt. 13 Es kann auch nicht von Menschen herbeigeführt werden, denn dies würde seinem<br />
ch<strong>im</strong> Kraus, Das Problem der Heilsgeschichte in der „Kirchlichen Dogmatik“, in: Antwort. Karl<br />
Barth zum 70. Geburtstag, Zürich 1956, 69–83.<br />
9 „Der Sinn der <strong>Geschichte</strong> liegt je in der Gegenwart, und wenn die Gegenwart vom christlichen Glauben<br />
als die eschatologische Gegenwart begriffen wird, ist der Sinn der <strong>Geschichte</strong> verwirklicht“, so<br />
Rudolf Bultmann, <strong>Geschichte</strong> und Eschatologie, Tübingen 1958, 184.<br />
10 Karl Gerhard Steck, Die Idee der Heilsgeschichte, Zollikon 1959; Franz Hesse, Abschied von der<br />
Heilsgeschichte, Zürich 1971; dazu Rainer Schmitt, Abschied von der Heilsgeschichte?, Frankfurt/M.<br />
1982; Günter Klein, Die Fragwürdigkeit der Idee der Heilsgeschichte, in: Spricht Gott in der <strong>Geschichte</strong>?,<br />
Freiburg 1972, 95–153, dessen zwei Thesen lauten: „Die Resistenz der Bibel gegen die<br />
Idee der Heilsgeschichte ist historisch verifizierbar“ (99). und „Die Resistenz der zentralen urchristlichen<br />
Konstruktion des Glaubens gegen die Idee der Heilsgeschichte ist theologisch nicht überholbar“<br />
(129).<br />
11 „<strong>Geschichte</strong> ist ein Prädikat der Offenbarung – Offenbarung dagegen nicht Prädikat der <strong>Geschichte</strong>“,<br />
so Schmidt, Art. Heilsgeschichte 255.<br />
12 „Der Versuch, eine <strong>Geschichte</strong> des Heils zu konzipieren, ist nie ein Symptom von Heilsgewißheit,<br />
sondern von Angst, die selbstentworfene Bilder von der <strong>Geschichte</strong> für Schlupfwinkel vor der realen<br />
hält“, schreibt G. Klein, Fragwürdigkeit 148, und versteht diesen Satz nicht psychologisch, sondern<br />
ontologisch (ebd. Anm. 195). Er fährt fort: „Wer aber auf den Gott setzt, der den Gottlosen rechtfertigt,<br />
vermag mit allen Bildern auch diejenigen von der <strong>Geschichte</strong> preiszugeben und in realer <strong>Geschichte</strong><br />
zu existieren, die mit ihrer Profanität, ja Paganität aller Deutung spottet, weil er nicht von<br />
Geschichtserfahrungen lebt, sondern vom täglich neu vernommenen Zuspruch der Gnade.“ Freilich<br />
ist kritisch einzuwenden, daß der Zuspruch der Gnade auf Erfahrung aus ist, und Erfahrung <strong>im</strong>mer<br />
geschichtlich ist.<br />
13 Man kann <strong>im</strong> Blick auf geschichtliche Erfahrungen von einer Heilsgeschichte nur reden, wenn man<br />
daneben auch von einer Unheilsgeschichte spricht, von einer <strong>Geschichte</strong>, in der sich nicht Heil, son-<br />
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