Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

den Rhythmen der Tageszeiten und Jahre wiederfinden. Allerdings werden diese guten Ordnungen Gottes immer wieder und in der Neuzeit verstärkt und mit zum Teil verheerenden Folgen durch Eingriffe des Menschen gestört. Die Strukturen des Lebens sind gleichsam der von Gott gegebene, in Grenzen veränderbare Rahmen, innerhalb dessen Menschen ihr Leben und ihre Geschichte gestalten können. Bei dieser Gestaltungsaufgabe sind den Menschen nun wiederum Strukturen vorgegeben, die geschichtlich zu gestalten sind. Dazu gehören im Wesentlichen die Grundbestimmungen, die die Anthropologie für den Menschen festgestellt hat. Es mag hier genügen, die entsprechenden Schlagworte nur zu wiederholen: Zeitlichkeit, Weltoffenheit, Freiheit, Vernunft, Reflexivität. In theologischer Sicht sind diese allgemeinen anthropologischen Grundstrukturen zu deuten und auch zu ergänzen. So findet die Freiheit des Menschen für den christlichen Glauben in der Bindung an Gott ihre Vollendung. Die Weltoffenheit des Menschen ist reduziert, solange sie nicht auch Gottoffenheit impliziert. Die Vernunft des Menschen kommt darin zu ihrem Ziel, daß sie dem Willen Gottes entspricht. Die Zeitlichkeit des Menschen wird dann nicht als beängstigend erfahren, wenn sie in die Zeit Gottes eingebettet ist. Darüber hinaus ist in theologischer Perspektive insbesondere die Existenz des Menschen unter der Sünde als eine strukturale Grundaussage zu erwähnen. Unter der Macht der Sünde verfehlt der Mensch sich selbst, indem er sich selbst unter Absehung seiner Gottesbeziehung konstituieren will. Dadurch gerät er in eine verfehlte Grundorientierung, die auch sein gesamtes Handeln verkehrt. Unter den Bedingungen der „gefallenen Welt“ muß aus theologischer Perspektive daher die Sündhaftigkeit des Menschen als eine Strukturbedingung seiner Existenz benannt werden. Die Einsicht in diese strukturelle Verfaßtheit erschließt sich dem Menschen allerdings nicht von selbst, sondern verdankt sich dem Glauben, also letztlich dem Handeln Gottes. Unter der Macht der Sünde gerät auch das geschichtliche Handeln des Menschen in deren Bann. Von der Sünde her bekommt die Geschichte eine negative Signatur, wird sie immer wieder zu einer Geschichte des Scheiterns, einer leidvollen Geschichte, einer Geschichte, die dem von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus und seiner Schöpfungstat her offenbarten Ziel entgegenläuft. Die Geschichten und Geschichte der Menschen werden dadurch ambivalent. Ambivalent deshalb, weil einerseits durch die Sünde Geschichte zu einer von Gott weg gerichteten Geschichte wird, andererseits Gott in seiner Treue diese Geschichte zu seiner Geschichte macht, indem er sich in diese Geschichte hineinbegibt. Gott begleitet diese Geschichte und stellt sie dadurch in die Perspektive seines Heils. 5.3 Das Problem der Heilsgeschichte Damit taucht die Frage nach der Geschichte als Heilsgeschichte auf. Nach der klassischen Definition von Gustav Weth versteht man unter einer heilsgeschichtlichen Theologie eine „Theologie, die durch dauernde Zusammenfassung historischer, exegetischer und dogmatischer Arbeit das Gefühl eines einzigen Systems aufbaut und mit diesem System eine nachbildende Darstellung des offenbarungsgeschichtlichen Werdens selbst 264

von der Schöpfung bis zum endgültigen Durchbruch des Gottesreiches geben will“. 2 Sie bezieht sich auf das biblische Zeugnis, das die „Heilstatsachen“ nacheinander doku– mentiert. „Heilsgeschichte“ bezeichnet somit das göttliche Handeln, „sofern es in Ana– logie zu menschlich-innerweltlicher Geschichte verstanden wird als ein Nacheinander göttlicher Taten, die sich nach einem vorgefaßten Plane Gottes abspielen“ 3 . Die Idee einer Heilsgeschichte hat verschiedene Voraussetzungen. Das ist zum einen das Ver– ständnis der Geschichte als eines Wirk- und Bedeutungszusammenhangs, in dem der Mensch Heil und Unheil erfährt. Heilsgeschichte ist dann das Verständnis der Ge- schichte als eines Zusammenhanges, in dem das offenbarende Reden und Handeln Got- tes sich vollzieht und dieses analog der allgemeinen Geschichtserfahrung im Nach- einander des zeitlichen Geschehens zur Sprache gebracht werden kann. 4 Damit sind zwei weitere Voraussetzungen thematisiert. Gott wird als der Herr der Geschichte verstanden, der in der und durch die Geschichte sein Heil verwirklichen will; und dieser Heilswillen Gottes ist aus der Geschichte ablesbar. Der Vorstellung einer doppelten Geschichte, die die Heilsgeschichte als Hintergrund oder Überlagerung der profanen Geschichte verstand, wurde durch die Ablösung des vorwissenschaftlichen Geschichts- begriffs durch die profane Erforschung der Geschichte destruiert. Die Ausgrenzung einer Heilsgeschichte von der profanen Geschichte wurde unmöglich. Damit aber ist die Frage nach der Heilsgeschichte noch nicht erledigt. Sie stellt sich vielmehr weiterhin aufgrund biblischer Vorstellungen, die ein heilsgeschichtliches Denken nahelegen. Dazu gehören die Geschichte des Volkes Israel im (in sich vielfältigen) Zeugnis des Alten Testaments und die darin vorfindlichen (unterschiedlichen 5 ) Geschichtskonzeptionen. Dazu gehört die alttestamentliche Verheißungsgeschichte, die (unter anderem) ein Inter- pretament des Christusgeschehens abgibt. Dazu gehören weiter die (wiederum unter- schiedlichen 6 ) Aussagen des Neuen Testaments über die in Jesus Christus angebrochene Heilszeit. Wenn es nun nach neuzeitlichem historischem Verständnis einen Gegensatz zwischen Heilsgeschichte und Weltgeschichte, profaner Geschichte und heiliger Geschichte nicht geben kann, ist danach zu fragen, wie noch von Heilsgeschichte geredet werden kann. Dies geschieht in kontroverser Weise. So wird die gegenwärtige Bedeutung und Relevanz der Rede von der Heilsgeschichte von den Autoren des Bandes „Glaube und Geschichte“ eingeschärft. 7 Kritisch bis ablehnend äußerten sich der frühe Barth 8 und Ru- 2 Gustav Weth, Die Heilsgeschichte. Ihr universeller und ihr individueller Sinn in der offenbarungsgeschichtlichen Theologie des 19. Jahrhunderts, München 1931, 5f (i. Orig. gesperrt). 3 Heinrich Ott, Art. Heilsgeschichte, RGG 3 Bd. 3, 187–189, hier 187. 4 Vgl. Wolf-Rüdiger Schmidt, Art. Heilsgeschichte, TRT Bd. 2, Göttingen 1983, 253ff. 5 Die alttestamentlichen Geschichtskonzeptionen werden im Verlauf der Geschichte immer weiter ausgebaut; vgl. etwa die Thronnachfolgegeschichte Davids (2. Sam 6.7.9–20 und 1. Kön 1–2.11), das jahwistische und deuteronomistische Geschichtswerk und die Apokalyptik. 6 Vgl. die paulinische Vorstellung der Zeit zwischen den Äonen, die lukanische Vorstellung von der Mitte der Zeit und die Vorstellung der in Jesus Christus angebrochenen Heilszeit. 7 Helge Stadelmann (Hg.), Glaube und Geschichte. Heilsgeschichte als Thema der Theologie, Gießen 1986; in den Beiträgen dieses Bandes wird versucht, eine „bibelkritische Theologie“ durch „schriftgemäße Alternativen“ zu überwinden. „Heilsgeschichte“ soll als Thema der Theologie zu einer „biblisch erneuerte[n] Theologie“ (VIII) verhelfen. 8 „Es gibt keine besondere Gottesgeschichte als Partikel, als Quantität in der allgemeinen Geschichte. (…) Die sogenannte Heilsgeschichte (…) ist nur die fortlaufende Krisis aller Geschichte, nicht eine Geschichte in oder neben der Geschichte“, schreibt Karl Barth in Der Römerbrief, München 1923 3 , 34. Zur veränderten Einschätzung der Heilsgeschichte in der Kirchlichen Dogmatik vgl. Hans-Joa- 265

den Rhythmen der Tageszeiten und Jahre wiederfinden. Allerdings werden diese guten<br />

Ordnungen Gottes <strong>im</strong>mer wieder und in der Neuzeit verstärkt und mit zum Teil verheerenden<br />

Folgen durch Eingriffe des Menschen gestört. Die Strukturen des Lebens sind<br />

gleichsam der von Gott gegebene, in Grenzen veränderbare Rahmen, innerhalb dessen<br />

Menschen ihr Leben und ihre <strong>Geschichte</strong> gestalten können. Bei dieser Gestaltungsaufgabe<br />

sind den Menschen nun wiederum Strukturen vorgegeben, die geschichtlich zu<br />

gestalten sind. Dazu gehören <strong>im</strong> Wesentlichen die Grundbest<strong>im</strong>mungen, die die Anthropologie<br />

für den Menschen festgestellt hat. Es mag hier genügen, die entsprechenden<br />

Schlagworte nur zu wiederholen: Zeitlichkeit, Weltoffenheit, Freiheit, Vernunft, Reflexivität.<br />

In theologischer Sicht sind diese allgemeinen anthropologischen Grundstrukturen zu<br />

deuten und auch zu ergänzen. So findet die Freiheit des Menschen für den christlichen<br />

Glauben in der Bindung an Gott ihre Vollendung. Die Weltoffenheit des Menschen ist<br />

reduziert, solange sie nicht auch Gottoffenheit <strong>im</strong>pliziert. Die Vernunft des Menschen<br />

kommt darin zu ihrem Ziel, daß sie dem Willen Gottes entspricht. Die Zeitlichkeit des<br />

Menschen wird dann nicht als beängstigend erfahren, wenn sie in die Zeit Gottes eingebettet<br />

ist. Darüber hinaus ist in theologischer Perspektive insbesondere die Existenz des<br />

Menschen unter der Sünde als eine strukturale Grundaussage zu erwähnen. Unter der<br />

Macht der Sünde verfehlt der Mensch sich selbst, indem er sich selbst unter Absehung<br />

seiner Gottesbeziehung konstituieren will. Dadurch gerät er in eine verfehlte Grundorientierung,<br />

die auch sein gesamtes Handeln verkehrt. Unter den Bedingungen der<br />

„gefallenen Welt“ muß aus theologischer Perspektive daher die Sündhaftigkeit des<br />

Menschen als eine Strukturbedingung seiner Existenz benannt werden. Die Einsicht in<br />

diese strukturelle Verfaßtheit erschließt sich dem Menschen allerdings nicht von selbst,<br />

sondern verdankt sich dem Glauben, also letztlich dem Handeln Gottes. Unter der<br />

Macht der Sünde gerät auch das geschichtliche Handeln des Menschen in deren Bann.<br />

Von der Sünde her bekommt die <strong>Geschichte</strong> eine negative Signatur, wird sie <strong>im</strong>mer<br />

wieder zu einer <strong>Geschichte</strong> des Scheiterns, einer leidvollen <strong>Geschichte</strong>, einer <strong>Geschichte</strong>,<br />

die dem von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus und seiner Schöpfungstat<br />

her offenbarten Ziel entgegenläuft. Die <strong>Geschichte</strong>n und <strong>Geschichte</strong> der Menschen werden<br />

dadurch ambivalent. Ambivalent deshalb, weil einerseits durch die Sünde <strong>Geschichte</strong><br />

zu einer von Gott weg gerichteten <strong>Geschichte</strong> wird, andererseits Gott in seiner<br />

Treue diese <strong>Geschichte</strong> zu seiner <strong>Geschichte</strong> macht, indem er sich in diese <strong>Geschichte</strong><br />

hineinbegibt. Gott begleitet diese <strong>Geschichte</strong> und stellt sie dadurch in die Perspektive<br />

seines Heils.<br />

5.3 Das Problem der Heilsgeschichte<br />

Damit taucht die Frage nach der <strong>Geschichte</strong> als Heilsgeschichte auf. Nach der klassischen<br />

Definition von Gustav Weth versteht man unter einer heilsgeschichtlichen Theologie<br />

eine „Theologie, die durch dauernde Zusammenfassung historischer, exegetischer<br />

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System eine nachbildende Darstellung des offenbarungsgeschichtlichen Werdens selbst<br />

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