Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

02.12.2012 Aufrufe

Gottes schöpferisches Wort ist das erste Wort jeder Geschichte aus theologischer Perspektive. Dieses erste Wort ruft eine Antwort hervor, eine Reaktion des Menschen, die als Wort und Sprache eine Geschichte gebiert. 51 In dieser Geschichte treten beide, Gott und Mensch, als agierendes und reagierendes, als gestaltendes und erleidendes, als aktives und als passives Subjekt auf. 52 Diese Interaktion von Gott und Mensch ist durch eine grundlegende Asymmetrie geprägt, in der die genannten Symmetrien begründet sind. Die Asymmetrie besteht darin, daß Gott den Menschen im Rechtfertigungsgeschehen neu konstituiert. Durch das rechtfertigende und versöhnende Handeln Gottes gewinnt der Mensch erst seine Optionen des Handelns. Diese Asymmetrie begründet aber zugleich die Symmetrien und die Korrespondenzen im Blick auf das göttliche und menschliche Handeln in der Geschichte. Als Resultat Gottes ist der Mensch auch Interpret und Gestalter der Geschichte. „Gott und Mensch als korrespondierende Subjekte“ heißt, daß Gott die Korrespondenz eröffnet und ermöglicht hat. Im Vollzug der Korrespondenz aber kooperieren Gott und Mensch nach den gleichen, freilich von Gott vor- und freigegebenen Regeln. Diese Freigabe gehört zu den von Gott her „veränderten Rahmenbedingungen“ (J. Track) geschichtlichen Handelns und menschlicher Subjektivität. Geschichte in theologischer Perspektive entsteht aus der Interaktion von Gott und Mensch, aus dem Explizitwerden ihrer gegenseitigen Bezogenheit. Die Rede von der Offenheit der Geschichte hat ihren Grund im kommunikativen Charakter von Geschichte, der die Freiheit beider beteiligter Subjekte impliziert. Die Rede vom Ende der Geschichte, das für den Glauben als Heil erhofft wird, hat ihren Grund im Vertrauen auf die Treue Gottes, die von Gott zugesprochen und verheißen ist. 51 Vgl. dazu unten 3.6. 52 Vgl. Pedro Trigo, Schöpfung und Geschichte, Düsseldorf 1989, 245: „Die Tat, welche die Geschichte definiert, ist Tat, das heißt Schöpfung, für den Menschen, der im strengen Sinn ihr Urheber ist (freilich auch ihr Mitspieler und Betroffener), und sie ist Tat, das heißt Schöpfung, für Gott, der ihr Urheber ist (und überdies ihr Betroffener). Der Mensch und Gott machen und erleiden die Geschichte, und Gott noch mehr als der Mensch, obwohl normalerweise nur durch ihn (da Gottes Wirken vermittels seines Geistes und seines Wortes geschieht).“ 262

5 Ereignis und Struktur in theologischer Perspektive 5.1 Einleitung Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Römer 11,36 Geschichten und Geschichte, so hatten wir festgestellt, konstituieren sich unter anderem durch das wechselseitige Verhältnis von Ereignis und Struktur. Dabei werden Ereignisse in Geschichten erzählt und Strukturen beschrieben. Es kann auch eine Geschichte von Strukturen erzählt werden. Hier ist nun zu fragen, welche Bedeutung Ereignis und Struktur für eine theologische Betrachtung von Geschichte haben. Es sind dabei die strukturellen Bedingungen für Geschichte aus einer theologischen Perspektive zu benennen (5.2). Dabei verdient die Frage der Heilsgeschichte eine besondere Beachtung (5.3). Daran anschließend ist die Kategorie des Ereignisses, vor allem des für den christlichen Glauben grundlegenden Ereignisses Jesus Christus, in seiner Relevanz für Geschichte zu thematisieren (5.4). 5.2 Theologische Strukturen von Geschichte und Geschichten Gott ist der gründende Grund der Welt. Aus dieser Grundaussage des christlichen Glaubens folgert, daß Gott auch als der gründende Grund der Geschichte verstanden werden muß. In der Welt als Gottes Schöpfung finden sich Strukturen vor, die Geschichte allererst ermöglichen. In der theologischen Tradition wurden diese Strukturen häufig als „Ordnungen“ verstanden, die von Gott eingesetzt wurden und von daher eine Tendenz zur geschichtlichen Invarianz hatten. 1 Allerdings wurde dabei, vor allem hinsichtlich der „Ordnungen“, die das Zusammenleben der Menschen regeln sollten, die geschichtliche Bedingtheit und Veränderbarkeit dieser Ordnungen oftmals übersehen. Präziser muß daher gesagt werden, daß es grundlegende Strukturen der menschlichen Existenz gibt, die vor die Aufgabe der Gestaltung dieser Strukturen in geschichtlichen „Ordnungen“ stellen. Ihr inhaltliches Recht hat die Rede von solchen „Ordnungen“, wenn sie sich auf die sogleich zu nennenden Strukturbedingungen menschlicher Existenz bezieht sowie auf „Ordnungen“, die sich in der Natur vorfinden. Für die Natur lassen sich solche Ordnungen etwa im Rhythmus von Werden und Vergehen, Geborenwerden und Sterben, in 1 So etwa die Rede von den „Schöpfungsordnungen“ bei Paul Althaus, Theologie der Ordnungen, Gütersloh 1934. Zwar unterscheidet Althaus die göttliche Ordnung von ihrer geschichtlichen Gestalt, die veränderlich ist, aber weil in ihr die göttliche Ordnung positiv vorfindlich ist, ist der menschlichgeschichtlichen Gestalt der Ordnung Gehorsam entgegenzubringen. Etwa hinsichtlich der Rechtsordnung heißt es bei Althaus: „In der bestimmten Ordnung, dem bestimmten Rechte meines Volkes, nicht in einem Naturrechte, soll ich die Gottesordnung des Rechtes ehren, in dem konkreten Gehorsam gegen meines Volkes jetziges Recht Gottes Ordnung gehorsam sein“ (a.a.O. 14). Zu einer Rekonstruktion der Lehre von der Schöpfungsordnung vgl. Eilert Herms, Offenbarung und Glaube, Tübingen 1992, 431–456. 263

5 Ereignis und Struktur in theologischer Perspektive<br />

5.1 Einleitung<br />

Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.<br />

Römer 11,36<br />

<strong>Geschichte</strong>n und <strong>Geschichte</strong>, so hatten wir festgestellt, konstituieren sich unter anderem<br />

durch das wechselseitige Verhältnis von Ereignis und Struktur. Dabei werden Ereignisse<br />

in <strong>Geschichte</strong>n erzählt und Strukturen beschrieben. Es kann auch eine <strong>Geschichte</strong> von<br />

Strukturen erzählt werden. Hier ist nun zu fragen, welche Bedeutung Ereignis und<br />

Struktur für eine theologische Betrachtung von <strong>Geschichte</strong> haben. Es sind dabei die<br />

strukturellen Bedingungen für <strong>Geschichte</strong> aus einer theologischen Perspektive zu benennen<br />

(5.2). Dabei verdient die Frage der Heilsgeschichte eine besondere Beachtung<br />

(5.3). Daran anschließend ist die Kategorie des Ereignisses, vor allem des für den<br />

christlichen Glauben grundlegenden Ereignisses Jesus Christus, in seiner Relevanz für<br />

<strong>Geschichte</strong> zu thematisieren (5.4).<br />

5.2 Theologische Strukturen von <strong>Geschichte</strong> und <strong>Geschichte</strong>n<br />

Gott ist der gründende Grund der Welt. Aus dieser Grundaussage des christlichen Glaubens<br />

folgert, daß Gott auch als der gründende Grund der <strong>Geschichte</strong> verstanden werden<br />

muß. In der Welt als Gottes Schöpfung finden sich Strukturen vor, die <strong>Geschichte</strong> allererst<br />

ermöglichen. In der theologischen Tradition wurden diese Strukturen häufig als<br />

„Ordnungen“ verstanden, die von Gott eingesetzt wurden und von daher eine Tendenz<br />

zur geschichtlichen Invarianz hatten. 1 Allerdings wurde dabei, vor allem hinsichtlich der<br />

„Ordnungen“, die das Zusammenleben der Menschen regeln sollten, die geschichtliche<br />

Bedingtheit und Veränderbarkeit dieser Ordnungen oftmals übersehen. Präziser muß<br />

daher gesagt werden, daß es grundlegende Strukturen der menschlichen Existenz gibt,<br />

die vor die Aufgabe der Gestaltung dieser Strukturen in geschichtlichen „Ordnungen“<br />

stellen. Ihr inhaltliches Recht hat die Rede von solchen „Ordnungen“, wenn sie sich auf<br />

die sogleich zu nennenden Strukturbedingungen menschlicher Existenz bezieht sowie<br />

auf „Ordnungen“, die sich in der Natur vorfinden. Für die Natur lassen sich solche Ordnungen<br />

etwa <strong>im</strong> Rhythmus von Werden und Vergehen, Geborenwerden und Sterben, in<br />

1 So etwa die Rede von den „Schöpfungsordnungen“ bei Paul Althaus, Theologie der Ordnungen,<br />

Gütersloh 1934. Zwar unterscheidet Althaus die göttliche Ordnung von ihrer geschichtlichen Gestalt,<br />

die veränderlich ist, aber weil in ihr die göttliche Ordnung positiv vorfindlich ist, ist der menschlichgeschichtlichen<br />

Gestalt der Ordnung Gehorsam entgegenzubringen. Etwa hinsichtlich der Rechtsordnung<br />

heißt es bei Althaus: „In der best<strong>im</strong>mten Ordnung, dem best<strong>im</strong>mten Rechte meines Volkes,<br />

nicht in einem Naturrechte, soll ich die Gottesordnung des Rechtes ehren, in dem konkreten Gehorsam<br />

gegen meines Volkes jetziges Recht Gottes Ordnung gehorsam sein“ (a.a.O. 14). Zu einer<br />

Rekonstruktion der Lehre von der Schöpfungsordnung vgl. Eilert Herms, Offenbarung und Glaube,<br />

Tübingen 1992, 431–456.<br />

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