Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Menschen trägt das Risiko eines offenen Ausgangs, das Risiko des Scheiterns und des<br />
Kreuzes. Dieses Risiko geht Gott um seiner selbst und um der Welt willen ein. Gott gibt<br />
seine Souveränität um der <strong>Geschichte</strong> mit sich selbst und der Menschen willen auf und<br />
zeigt gerade darin eine Souveränität, die vom Willen zur Beziehung und von der Liebe<br />
geprägt ist. Diese Selbstpreisgabe Gottes geschieht drittens in zweifacher Weise:<br />
Erstens darin, daß Gott in der Person Jesu von Nazareth Teil der <strong>Geschichte</strong> der Welt<br />
wird, eine <strong>Geschichte</strong> unter anderen; zweitens darin, daß die Erkenntnis Gottes in der<br />
<strong>Geschichte</strong> an den Glauben gebunden ist, der von Gott gewirkt wird, in der <strong>Geschichte</strong><br />
jedoch Gefährdungen und Anfechtungen ausgesetzt ist, so daß der Zusammenhang von<br />
Gott und <strong>Geschichte</strong> den Menschen <strong>im</strong>mer auch als gebrochener erscheint. Gemessen an<br />
den Standards der Bewußtseinsphilosophie und einer ungetrübten Vorstellung vom<br />
Subjekt der <strong>Geschichte</strong> erscheint die Subjektivität Gottes darin als eine schwache<br />
Subjektivität, das Sein Gottes als ein Sein, das „seine Wahrheit durch die Schwächung“<br />
offenbart. 49 Eben darin aber wird durch Gott die <strong>Geschichte</strong> der Daten und Fakten<br />
ebenso wie die <strong>Geschichte</strong> als narrative Konstruktion neu qualifiziert.<br />
Nun kann man fragen, ob in der Rede vom „schwachen Denken“ und vom „schwachen<br />
Subjekt“ nicht ein (performativer) Selbstwiderspruch vorliegt, da das Subjekt in seiner<br />
Schwächung zu sich findet und sich also gerade darin als „stark“ erweist. Diese Anfrage<br />
läßt sich m.E. nicht einfach beiseiteschieben. Sie kann aber wiederum abgeschwächt<br />
werden unter Hinweis darauf, daß „schwach“ <strong>im</strong> vorgestellten Konzept von relationaler<br />
Subjektivität bedeutet, daß dieses Subjekt auch scheitern kann, daß es sich also gänzlich<br />
verliert; dies gilt auch für das Subjekt Gott als Relationsgeschehen. Jedoch haben wir<br />
hier die Verheißung und Hoffnung, daß dieser Weg der Weg des Heils ist; die Erfüllung<br />
steht freilich noch aus. Daher ist noch nicht ausgemacht, daß diese Schwäche Stärke ist.<br />
Stark ist die Vorstellung des „schwachen Subjekts“ freilich darin, daß sie das Denken<br />
eines offenen Prozesses erlaubt.<br />
4.4 Gott und Mensch als korrespondierende Subjekte<br />
Die vorangehenden Überlegungen zu einem theologischen Verständnis des Subjektseins<br />
von Mensch und Gott hinsichtlich der <strong>Geschichte</strong> wecken die Frage nach der Verhältnisbest<strong>im</strong>mung<br />
von Gott und Mensch als Subjekt von <strong>Geschichte</strong>. Aus theologischer<br />
Perspektive sind beide, Gott und Mensch, als Subjekt von <strong>Geschichte</strong> anzusprechen. 50<br />
<strong>Geschichte</strong> in theologischer Hinsicht entsteht dadurch, daß beide, Gott und Mensch,<br />
miteinander ins Spiel kommen, in eine gemeinsame <strong>Geschichte</strong> verstrickt sind. Ontologische<br />
Grundlage von <strong>Geschichte</strong> in theologischer Perspektive ist der schöpferische<br />
Gott, der Welt und <strong>Geschichte</strong> ins Leben ruft und sich geschichtlich erfahrbar macht.<br />
49 Gianni Vatt<strong>im</strong>o, Glauben – Philosophieren, Stuttgart 1997, 34. Vatt<strong>im</strong>o sieht in dieser Schwächung<br />
des Seins eine „Kohärenz“ und „Kontinuität“ von christlichem Gottesgedanken und der Ontologie <strong>im</strong><br />
Zeitalter des Nihilismus. Einer schwachen Ontologie entspricht ein schwaches Gottesbild des christlichen<br />
Glaubens.<br />
50 Faßt man das Verständnis von „Subjekt“, vor allem als Referenzsubjekt weiter, so wären auch etwa<br />
Welt und Natur bzw. die Schöpfung als Subjekt von <strong>Geschichte</strong> zu verstehen. Ich beschränke mich<br />
hier aber auf Subjekte der Sorte, die – in der erörterten Weise – in und an <strong>Geschichte</strong> handeln und<br />
<strong>Geschichte</strong> konstruieren.<br />
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