Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

Strafe etc. ausdrücken, zwar nicht spannungslos zu integrieren, sie aber als Aspekte und Phasen der Selbstbeziehung und Weltbeziehung Gottes zu verstehen. Gott kann relational als einer gedacht werden, der nicht nur in Beziehung lebt, sondern auch auf Beziehung reagiert. Zugespitzt kann man auch formulieren: Gott ist (als Liebe qualifiziertes) Relationsgeschehen. Und insofern kann Gott als ein Gott gedacht werden, der Geschichte hat und in Geschichte wirkt. Die Vorstellung Gottes als lebendiges und damit veränderliches Relationsgeschehen wirft allerdings die Frage auf, wie dann von der „Identität“ Gottes gesprochen werden kann. „Identität“ ist zunächst nicht als unveränderlicher Zustand zu denken, sondern wird konstituiert durch ein Bündel von Relationen. Die Identität wird durch die Relationen bestimmt. Kontinuität erhält die Identität durch eine raumzeitliche Lokalisierung ihres Trägers. Die Rede von der „Identität“ Gottes kann und muß aus zwei Gründen aufrechterhalten werden. Zum einen wird er von den Menschen als „einer“ angesprochen, der Geschichte begründet, begleitet und qualifiziert, und diese Prädizierung Gottes geschieht aufgrund seiner Offenbarung. „Identität“ wird Gott kraft seiner Offenbarung von den Menschen zugesprochen. Zum anderen hat Gott sich den Menschen als der gezeigt, der seiner heilsamen Beziehung zur Welt (und zu sich selbst) treu bleiben will. Diese durch die Offenbarung erschlossene Selbstbeschreibung Gottes ist der inhaltliche Grund, Gott in seiner Geschichte als einen und identisch zu verstehen. Die „Identität“ Gottes gründet somit auf seiner Offenbarung, die die Verheißung seiner Treue mit beinhaltet. Als der treue Gott ist er in den Veränderungen der Relationen als der eine wiederzuerkennen. Das Wirken dieses Gottes, der in seinen Beziehungen wirkt und dessen Wirken in Beziehungen und deren Veränderungen erkannt wird bzw. sich offenbart, zeigt sich in der Geschichte und den Geschichten, die Menschen mit diesem Gott haben und die Gott mit Menschen hat. Die biblischen Texte legen in vielfältiger Weise Zeugnis von diesem geschichtlichen Wirken Gottes ab und bestimmen darin auch die Identität Gottes. 40 Bevorzugte Orte der Erfahrung Gottes sind aus kulturanthropologischer Sicht jene Situationen, die als Situationen des Übergangs bzw. der Liminalität bezeichnet werden. Es sind Situationen, die sich durch ihr „Dazwischen“ auszeichnen; sie kennzeichnen eine Phase des Übergangs von Altem zu Neuem und werden häufig in Ritualen gestaltet. 41 Gott als Subjekt von Geschichte wird darin verstanden als jemand, der in diesen Situationen seinen besonderen Ort hat und seine schöpferische oder zerstörerische Kraft entfaltet. Er ist darin ein Subjekt in einem spezifischen Sinn, weil er sich durch den Ort und die Zeit dazwischen zu erfahren gibt. 42 In diesem Zwischen aber ist er nur als Deutung der Veränderung, als Symbol der Offenheit der Zeit und der Situation zu verstehen. Dies bedeutet jedoch keine Beschränkung Gottes in dem Sinn, daß er nur an bestimmten Orten oder in bestimmten Situationen erfahrbar wäre, denn es kann jeder Ort und jeder 40 Vgl. dazu Schwöbel, Trinitätslehre 137. 41 Vgl. dazu Gerhard Marcel Martin, Provozierte Krisen. Rituale in Religion und Gesellschaft, in: EvTh 58/1998, 12–24: „Between/betwixt ist der Ort, den Menschen mit ‚Gott‘ in Verbindung bringen, ja, ihn ‚Gott‘ nennen, dann nämlich, wenn sie seiner lebensschaffenden und -zerstörenden Macht ausgesetzt sind“ (a.a.O. 18); sowie Victor Turner, Das Religionsverständnis in der heutigen Anthropologie, in: Conc (D) 16/1980, 442–447; „Die Völker des Buches, das Judentum, das Christentum und der Islam, symbolisieren und personifizieren dieses Herz der Liminalität als Gott“ (a.a.O. 447). Die Hinweise darauf verdanke ich Christian Strecker. 42 Zur Dimension des „Zwischen“ vgl. auch Thomas Zeilinger, Zwischen-Räume – Theologie der Mächte und Gewalten (Forum Systematik Bd. 2), Stuttgart 1999. 258

Augenblick der Zeit sich als ein Augenblick mit der Qualität dieses Zwischen erwei– sen. 43 4.3.3 Gott als Subjekt von Geschichte Wir hatten oben gesehen, daß der Rekurs auf das Subjektivitätsdenken zur Begründung von Geschichtsbewußtsein einige Schwächen aufweist. Als besonders kritischer Punkt erschien dabei, daß im Blick auf den Menschen ein Verständnis von Subjektivität immer auf ein dem Bewußtsein von Subjektivität vorausgehendes Gegebensein von Subjektivität verweist. Bei der Frage nach Gott als einem Subjekt, dem ein Bewußtsein seiner selbst zukommen muß, erscheint zumindest dieses Problem durch den Verweis auf die Aseität Gottes gelöst. Aseität bedeutet: „Gott hat nicht nur Sein – er ist das Sein, das für alles, was ‚es gibt‘, der Grund seines Daseins ist, während er selbst keines Grundes bedarf um zu sein – Sein ist sein Wesen.“ 44 Überführt man die Vorstellung der Aseität von einem substanzontologischen Denken in ein relationsontologisches, so bedeutet sie, daß das Wesen Gottes sich in seiner Relationalität zeigt und diese Relationalität den Grund für alles (relational) Seiende darstellt. Die Subjektivität Gottes als Voraussetzung seines Subjektseins in und für Geschichte wird darin nicht auf einen das Sein begründenden Grund bezogen, sondern ist in der Relationalität selbst gegeben. Gott schafft sich als (als Liebe qualifiziertes) Relationsgeschehen seine geschichtliche, geschehende Identität selbst. Ist das Subjektsein Gottes wesentlich in seiner Relationalität gegeben, dann hat das Konsequenzen für das Verständnis Gottes als Subjekt von Geschichte. Ich unterscheide dabei wieder zwischen Handlungs- und Referenzsubjekt. Wenn man davon ausgeht, daß ein Handlungssubjekt für eine Geschichte nicht notwendig ist, ja eine Geschichte dadurch gekennzeichnet ist, daß sie kein eindeutiges, singuläres Handlungssubjekt hat, dann stellt sich die Frage, wie von Gott als Subjekt der Geschichte gesprochen werden kann. Im Blick auf die Denkbarkeit Gottes als Handlungssubjekt von Geschichte greife ich die Unterscheidung von externem (HSe) und internem Handlungssubjekt (HSi) auf. Wenn sich, wie oben ausgeführt, 45 für eine Geschichte kein singuläres HSi namhaft machen läßt, sondern HSi im Plural gedacht werden muß, stellt sich die Frage, ob von Gott als HSi gesprochen werden kann. Dies scheint der Fall zu sein, insofern Gott als Relationalität in sich selbst trinitarisch gedacht werden muß. Gott als HSi stellt kein Handlungssubjekt dar, das in einem monokausalen Sinn Geschichte verursacht, sondern sein trinitarisches Wirken ist als relationales multikausal. Der relational-trinitarische Gott ist, unter den Voraussetzungen dessen, was zum Handeln bzw. Wirken Gottes in der Geschichte gesagt wurde, als internes Handlungssubjekt von Geschichte zu bezeichnen. Als alles bestimmende Wirklichkeit ließe sich Gott sogar als universales HSi bezeichnen, allerdings nicht in einem andere Handlungssubjekte aus- 43 Freilich gibt es Orte, Zeiten und Handlungen, die eine besondere Verheißung hinsichtlich der Offenbarung Gottes haben. Dabei wären etwa der Gottesdienst, die Predigt, die Sakramente, das Gebet oder der Segen zu nennen. Vgl. zum Segen etwa Manfred Josuttis, Der Weg in das Leben, München 1991, 309ff und Dorothea Greiner, Segen und Segnen. Eine systematisch-theologische Grundlegung, Stuttgart 1999 2 , 356ff. 44 Wilfried Joest, Dogmatik Bd. 1, 151f. 45 Vgl. oben 1.4.3.1 und 1.4.4. 259

Strafe etc. ausdrücken, zwar nicht spannungslos zu integrieren, sie aber als Aspekte und<br />

Phasen der Selbstbeziehung und Weltbeziehung Gottes zu verstehen. Gott kann relational<br />

als einer gedacht werden, der nicht nur in Beziehung lebt, sondern auch auf Beziehung<br />

reagiert. Zugespitzt kann man auch formulieren: Gott ist (als Liebe qualifiziertes)<br />

Relationsgeschehen. Und insofern kann Gott als ein Gott gedacht werden, der<br />

<strong>Geschichte</strong> hat und in <strong>Geschichte</strong> wirkt. Die Vorstellung Gottes als lebendiges und damit<br />

veränderliches Relationsgeschehen wirft allerdings die Frage auf, wie dann von der<br />

„Identität“ Gottes gesprochen werden kann. „Identität“ ist zunächst nicht als unveränderlicher<br />

Zustand zu denken, sondern wird konstituiert durch ein Bündel von Relationen.<br />

Die Identität wird durch die Relationen best<strong>im</strong>mt. Kontinuität erhält die Identität<br />

durch eine raumzeitliche Lokalisierung ihres Trägers. Die Rede von der „Identität“<br />

Gottes kann und muß aus zwei Gründen aufrechterhalten werden. Zum einen wird er<br />

von den Menschen als „einer“ angesprochen, der <strong>Geschichte</strong> begründet, begleitet und<br />

qualifiziert, und diese Prädizierung Gottes geschieht aufgrund seiner Offenbarung.<br />

„Identität“ wird Gott kraft seiner Offenbarung von den Menschen zugesprochen. Zum<br />

anderen hat Gott sich den Menschen als der gezeigt, der seiner heilsamen Beziehung zur<br />

Welt (und zu sich selbst) treu bleiben will. Diese durch die Offenbarung erschlossene<br />

Selbstbeschreibung Gottes ist der inhaltliche Grund, Gott in seiner <strong>Geschichte</strong> als einen<br />

und identisch zu verstehen. Die „Identität“ Gottes gründet somit auf seiner Offenbarung,<br />

die die Verheißung seiner Treue mit beinhaltet. Als der treue Gott ist er in den Veränderungen<br />

der Relationen als der eine wiederzuerkennen.<br />

Das Wirken dieses Gottes, der in seinen Beziehungen wirkt und dessen Wirken in Beziehungen<br />

und deren Veränderungen erkannt wird bzw. sich offenbart, zeigt sich in der<br />

<strong>Geschichte</strong> und den <strong>Geschichte</strong>n, die Menschen mit diesem Gott haben und die Gott mit<br />

Menschen hat. Die biblischen Texte legen in vielfältiger Weise Zeugnis von diesem geschichtlichen<br />

Wirken Gottes ab und best<strong>im</strong>men darin auch die Identität Gottes. 40 Bevorzugte<br />

Orte der Erfahrung Gottes sind aus kulturanthropologischer Sicht jene Situationen,<br />

die als Situationen des Übergangs bzw. der L<strong>im</strong>inalität bezeichnet werden. Es<br />

sind Situationen, die sich durch ihr „Dazwischen“ auszeichnen; sie kennzeichnen eine<br />

Phase des Übergangs von Altem zu Neuem und werden häufig in Ritualen gestaltet. 41<br />

Gott als Subjekt von <strong>Geschichte</strong> wird darin verstanden als jemand, der in diesen Situationen<br />

seinen besonderen Ort hat und seine schöpferische oder zerstörerische Kraft entfaltet.<br />

Er ist darin ein Subjekt in einem spezifischen Sinn, weil er sich durch den Ort und<br />

die Zeit dazwischen zu erfahren gibt. 42 In diesem Zwischen aber ist er nur als Deutung<br />

der Veränderung, als Symbol der Offenheit der Zeit und der Situation zu verstehen. Dies<br />

bedeutet jedoch keine Beschränkung Gottes in dem Sinn, daß er nur an best<strong>im</strong>mten Orten<br />

oder in best<strong>im</strong>mten Situationen erfahrbar wäre, denn es kann jeder Ort und jeder<br />

40 Vgl. dazu Schwöbel, Trinitätslehre 137.<br />

41 Vgl. dazu Gerhard Marcel Martin, Provozierte Krisen. Rituale in Religion und Gesellschaft, in: EvTh<br />

58/1998, 12–24: „Between/betwixt ist der Ort, den Menschen mit ‚Gott‘ in Verbindung bringen, ja,<br />

ihn ‚Gott‘ nennen, dann nämlich, wenn sie seiner lebensschaffenden und -zerstörenden Macht ausgesetzt<br />

sind“ (a.a.O. 18); sowie Victor Turner, Das Religionsverständnis in der heutigen Anthropologie,<br />

in: Conc (D) 16/1980, 442–447; „Die Völker des Buches, das Judentum, das Christentum und der<br />

Islam, symbolisieren und personifizieren dieses Herz der L<strong>im</strong>inalität als Gott“ (a.a.O. 447). Die<br />

Hinweise darauf verdanke ich Christian Strecker.<br />

42 Zur D<strong>im</strong>ension des „Zwischen“ vgl. auch Thomas Zeilinger, Zwischen-Räume – Theologie der<br />

Mächte und Gewalten (Forum Systematik Bd. 2), Stuttgart 1999.<br />

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