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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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zeigt, an der Annahme des Marginalisierten und Benachteiligten. Aus dem fundamentalen<br />

Liebesgebot lassen sich in weiteren Schritten abgeleitete und konkrete ethische<br />

Normen entwickeln.<br />

Da durch die nach christlichem Verständnis passive Konstitution der Person auch deren<br />

Selbstverständnis und die darauf basierenden Handlungen passiv konstituiert sind, kann<br />

der Rechtfertigungsglaube selbst als Handlung verstanden werden. 51 Denn das erleuchtende<br />

und gewißheitserschließende Handeln Gottes wirkt be<strong>im</strong> Menschen nicht gegen<br />

dessen Willen, „sondern so, daß die Person zu Einsicht, Willen und Zust<strong>im</strong>mung kommt<br />

und so die ihr erschlossene Möglichkeit bejaht“ 52 .<br />

Das Handeln des Glaubenden wird aber nicht nur durch die Situation der Rechtfertigung<br />

best<strong>im</strong>mt, sondern durch eine Grundsituation, die ebenso best<strong>im</strong>mt ist durch die Spannung<br />

der Äonen, die Unterscheidung von Gesetz und Gebot der Liebe und das individuelle<br />

und existentielle Zugleich von Sünder und Gerechtfertigter. 53 Diese differenzierte<br />

Grundsituation erfordert ein differenziertes Handeln. Dabei sind die reformatorischen<br />

Einsichten von der Unterscheidung der beiden Reg<strong>im</strong>ente und daß Liebe <strong>im</strong> Sinn der<br />

Bergpredigt nicht befohlen werden kann, zu übernehmen. Im Blick auf die intendierten<br />

und nicht intendierten Handlungsfolgen ist jedoch die reformatorische Unterscheidung<br />

„für sich und für andere“ problematisch und unterbest<strong>im</strong>mt. Sie wäre besser zu ersetzen<br />

durch ein ethisches Konzept, das zwischen dem Notwendigen, dem Möglichen und dem<br />

Angemessenen unterscheidet. 54 Darin werden Gerechtigkeit, Situation und Liebe in<br />

einer differenzierten Art und Weise in Beziehung gesetzt und verantwortliches Handeln<br />

ermöglicht, das sich dem Liebeswillen Gottes und den geschichtlichen Situationen verpflichtet<br />

weiß. Erst aus diesen Unterscheidungen heraus läßt sich eine christliche Ethik<br />

für das Handeln des Menschen, und damit auch sein geschichtliches Handeln, entwickeln.<br />

3.4 Göttliches und menschliches Handeln in der <strong>Geschichte</strong><br />

Es läßt sich mit dem christlichen Gottesverständnis nicht vereinbaren, <strong>im</strong> Blick auf die<br />

<strong>Geschichte</strong> einen Deismus zu vertreten, der davon ausgeht, daß Gott die Welt und die<br />

Bedingungen der Möglichkeit geschichtlichen Handelns einmal geschaffen hat, nun aber<br />

diese Welt sich selbst und ihren Gesetzlichkeiten überläßt. 55 Ebenso unannehmbar ist<br />

ein Verständnis von <strong>Geschichte</strong> als absolut determiniert, denn dadurch würde zum einen<br />

die Freiheit <strong>im</strong> Handeln negiert, zum anderen wären die <strong>Geschichte</strong>n und die <strong>Geschichte</strong><br />

dieser Welt quasi nur eine Verdoppelung dessen, was Gott in sich einmal beschlossen<br />

hat. Damit wäre das Gegenüber von Gott und Welt, Gott und Mensch faktisch aufge-<br />

51 Härle/Herms 171f.<br />

52 Härle/Herms 172.<br />

53 Vgl. dazu Joach<strong>im</strong> Track, Ordnung – Gerechtigkeit – Liebe, in. Herwig Wagner (Hg.), Kairos? –<br />

Perspektiven für eine evangelische Ethik, Hannover 1989 (zur sache 31), 157–190, hier 179–185.<br />

54 Track, Ordnung 183ff.<br />

55 Vgl. dazu Härle, Dogmatik 288f.<br />

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