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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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als gerechtfertigter Mensch aus der Gnade Gottes in Freiheit lebt und handelt. 47 In seinem<br />

Leben und Handeln erfährt er aber auch die Grenzen seines Vermögens, Gott zu<br />

entsprechen; theologisch gesprochen: er erfährt sich als Sünder. Als Sünder aber erfährt<br />

er Gottes Willen als Gesetz, das heißt zum einen als unerfüllbare Forderung, zum anderen<br />

aber auch als zurechtweisende Norm. 48 So kann das Gesetz als Norm des Handelns<br />

verstanden werden, es kann aber auch die Erfahrung des Scheiterns <strong>im</strong> Handeln als Erfahrung<br />

des Gesetzes interpretiert werden. Aufgenommen sind in dieser Sichtweise der<br />

usus elenchticus und der usus politicus legis. Daß die theologische Kategorie des Gesetzes<br />

auf das Handeln des Menschen appliziert werden kann, wird allerdings möglich<br />

nur durch Gottes erleuchtendes Handeln. Dieses Handeln wiederum ist getragen von<br />

Gottes Heilswillen, der <strong>im</strong> Evangelium explizit geworden ist. Insofern erschließt sich<br />

das Gesetz durch das Evangelium. Darüber hinaus besteht eine weitere Verbindung von<br />

Evangelium und menschlichem Handeln. Denn das Evangelium als befreiende Botschaft<br />

setzt eine befreite Daseins- und Handlungsorientierung aus sich heraus, die <strong>im</strong> konkreten<br />

Handeln Gestalt gewinnt. Evangelium und Gesetz als Effekte von Gottes Handeln<br />

verstanden, resultieren be<strong>im</strong> Menschen in einer doppelten Weise. Einmal erschließen<br />

sie die D<strong>im</strong>ension der Gottesbeziehung für das menschliche Handeln, zum<br />

anderen wirken sie auch als handlungsleitende Normen.<br />

3.3.2.4 Rechtfertigungsglaube als Fundament ethischen Handelns 49<br />

Gottes Handeln, so haben wir gesehen, ist fundamental als Glauben eröffnendes und<br />

erschließendes Handeln zu verstehen. Dieser Glaube ist nach reformatorischem Verständnis<br />

wesentlich als Rechtfertigungsglaube zu best<strong>im</strong>men. Der Rechtfertigungsglaube<br />

drückt das christliche Verständnis (und Selbstverständnis) von Personen aus.<br />

Zum Personsein gehört das Handlungsvermögen. Dieses wird durch das Selbstverständnis<br />

best<strong>im</strong>mt hinsichtlich seiner grundlegenden Normen und seiner Intentionen.<br />

Fundamental best<strong>im</strong>mt der Rechtfertigungsglaube das Selbstverständnis des Menschen<br />

hinsichtlich des Gnadencharakters sowohl seiner Existenz als auch seines Selbstverständnisses.<br />

50 Aus der Annahme des Menschen <strong>im</strong> Glauben durch Gott ergeben sich<br />

ethische Implikationen, die die Unverfügbarkeit, Würde und Gleichheit aller Personen<br />

betreffen. Werden diese Implikationen in Normen gefaßt, so ergibt sich als Grundnorm<br />

ethischen Verhaltens aus dem Rechtfertigungsglauben das Gebot der Nächsten- und<br />

Feindesliebe. Dieses Liebesgebot orientiert sich, wie sich auch an der Lebenspraxis Jesu<br />

47 „Der Mensch erweist sich als Gottes Ebenbild in seinem Handeln.“ Mit diesem Spitzensatz bringt<br />

Eilert Herms den Zusammenhang von Gottebenbildlichkeit und Handeln des Menschen zum Ausdruck<br />

in: ders., Offenbarung und Glaube, Tübingen 1992, 342.<br />

48 Ich beziehe mich hier auf ein Verständnis des Gesetzes, wie es in der lutherischen Tradition gepflegt<br />

wurde und wird. Die Infragestellung bzw. Destruktion dieses Verständnisses durch die Einsichten der<br />

„neuen Perspektive“ der Paulusforschung und ihre möglichen Konsequenzen für unsere Fragestellung<br />

können hier nicht weiter verfolgt werden. Vgl. zu der „neuen Perspektive“ als Einführung Christian<br />

Strecker, Paulus aus einer „neuen Perspektive“, in: KuI 11/1996, 3–18 sowie zur Frage des Gesetzes<br />

bei Paulus James D.G. Dunn, Die neue Paulus-Perspektive. Paulus und das Gesetz, in: KuI 11/1996,<br />

34–45 sowie E.P. Sanders, Paulus. Eine Einführung, Stuttgart 1995, bes. 110–131.<br />

49 Vgl. zum Folgenden Wilfried Härle / Eilert Herms, Rechtfertigung. Das Wirklichkeitsverständnis des<br />

christlichen Glaubens, Göttingen 1979, bes. 141ff.<br />

50 Härle/Herms, Rechtfertigung 164.<br />

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