Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Schicksals“ 21 . Die historische Aufklärung, die ein geschichtsfreies Subjekt postulierte, ist selbst nur eine<br />
geschichtliche Möglichkeit. <strong>Geschichte</strong> verstehen heißt nicht, Kausalketten und den geschichtlichen<br />
„Verlauf“ aufzuzeigen, sondern das zu vernehmen, „was uns in der <strong>Geschichte</strong> als ansprechend und angehend<br />
gegeben ist“. Denn die <strong>Geschichte</strong> birgt die „Möglichkeiten unserer Zukunft“: „Der Grundcharakter<br />
des Geschichtlichseienden ist offenbar, bedeutend zu sein, aber dies in dem aktiven Sinne des Wortes; und<br />
das Sein zur <strong>Geschichte</strong> sich etwas bedeuten zu lassen.“ 22 Das Sein zur <strong>Geschichte</strong> besagt, daß Verstehen<br />
und Erinnerung „kein vergegenständlichendes Verhalten eines wissenschaftlichen Gegenüber, sondern der<br />
Lebensvollzug der Überlieferung selber“ ist 23 .<br />
An diesem kurzen Überblick läßt sich beobachten, daß der Begriff der <strong>Geschichte</strong> selbst<br />
sich geschichtlich verändert hat, und zwar in verschiedenen Hinsichten. Der Gegenstandsbereich<br />
der <strong>Geschichte</strong> variiert zwischen singulären Geschehnissen und einer Totalansicht.<br />
Mit <strong>Geschichte</strong> wird teils Partikulares, teils Universales gemeint. Teils bezieht<br />
sich <strong>Geschichte</strong> auf den menschlichen Erfahrungsraum, teils auf diesen Erfahrungsraum<br />
übersteigende Größen. Auf die Hochachtung vor der <strong>Geschichte</strong> folgt deren<br />
Geringschätzung und darauf Versuche, die <strong>Geschichte</strong> in ein existentiales Verständnis<br />
von Geschichtlichkeit überzuführen. Hermeneutische Überlegungen weisen auf die gegenseitige<br />
Abhängigkeit der <strong>Geschichte</strong> und des Geschichtsbewußtseins sowie der sie<br />
entwickelnden und darstellenden Kultur hin. Angesichts dieser Lage wäre es vermessen,<br />
hier einen umfassenden Begriff von <strong>Geschichte</strong> zu entwickeln. Es erscheint mir angemessener,<br />
best<strong>im</strong>mte Bereiche des Gegenstandsfeldes <strong>im</strong> weiteren Verlauf der Arbeit<br />
herauszuheben und für ein theologisches Nachdenken über <strong>Geschichte</strong> fruchtbar zu machen.<br />
1.2 Zum Subjekt der <strong>Geschichte</strong><br />
Die Frage nach dem Subjekt der <strong>Geschichte</strong> stellt sich explizit erst, als „<strong>Geschichte</strong>“<br />
zum Gegenstand der Reflexion wird, <strong>Geschichte</strong> also mehr meint als nur Beschreibung<br />
von Geschehen und Ereignissen. Es läßt sich dabei zunächst ein doppeltes Subjekt von<br />
<strong>Geschichte</strong> benennen, nämlich das menschliche Subjekt und ein transzendentes bzw.<br />
transzendentales (<strong>im</strong> Kantschen Sinn als Bedingung der Möglichkeit) Subjekt. Die Verhältnisbest<strong>im</strong>mung<br />
beider wird unterschiedlich vorgenommen. In Frage steht auch das<br />
Verhältnis von konkretem und universalem Subjekt, wobei sich diese Unterscheidung<br />
mit der vorigen (menschlich – transzendent / transzendental) überlagert.<br />
Eine Neufassung des Geschichtsbegriffs in Deutschland ist von theologischen Motiven begleitet. Lessings<br />
Erziehung des Menschengeschlechts löst das Problem, indem die Vernunft an ihr selbst geschichtlich<br />
wachsend gedacht wird und göttliche Offenbarung und menschliche Vernunft als sich sukzessiv vermittelnd<br />
verstanden werden. Die Aufklärung hält an der konstanten Menschennatur als Substrat der geschichtlichen<br />
Entwicklung wie als Prüfstein historischer Aussagen fest. Andere geben dieses Verhältnis<br />
von <strong>Geschichte</strong> und geschichtlichem Substrat auf, und Herder gelingt es durch die Übertragung des Leibnizschen<br />
Kraftbegriffes auf die <strong>Geschichte</strong>, die Menschennatur nicht als das Vorausgesetzte, sondern als<br />
das sich erst Realisierende zu denken. Dabei will er die Eigenständigkeit und den Eigenwert der individuellen<br />
Epochen zur Geltung bringen, <strong>im</strong> Gegensatz zu den französischen Fortschrittstheorien.<br />
21 H.-G. Gadamer, Kl. Schriften 1 (1967), 44, 158, 10; zit. nach Scholtz 396.<br />
22 A.a.O. 158, 160, 9; zit. nach Scholtz 396.<br />
23 A.a.O. 160, zit. nach Scholtz 396; vgl. Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode 1965 2 .<br />
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