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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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Heiligen Geistes Realität. Die Vielfalt der <strong>Geschichte</strong>n evoziert die Frage nach dem,<br />

was diese <strong>Geschichte</strong>n verbindet. Zur Beantwortung dieser Frage wurden vielfältige<br />

Versuche unternommen. Die Einheit der <strong>Geschichte</strong> wurde <strong>im</strong> Rahmen einer Heilsgeschichte<br />

36 gesucht oder in der <strong>Geschichte</strong> des Fortschritts der Freiheit oder in der <strong>Geschichte</strong><br />

der Selbstverwirklichung des Geistes. 37 Es waren Versuche, ein materiales einheitsstiftendes<br />

Prinzip der <strong>Geschichte</strong> zu finden und aufzuweisen. Sie haben vielfältige<br />

geschichtliche Wirkung entfaltet, konnten aber die Ambivalenzen der <strong>Geschichte</strong> nie<br />

vollständig integrieren. Es gab <strong>im</strong>mer geschichtliche Entwicklungen und Abläufe, die<br />

der vorgestellten Einheit widerstrebten. Diese Einheitskonzepte wurden zum Teil auch<br />

von der <strong>Geschichte</strong> überholt oder konnten auf Dauer ihren universalen Anspruch nur <strong>im</strong><br />

Streit mit gleichartigen anderen Ansprüchen vertreten. Nun bedarf der menschliche<br />

Geist sicherlich derartiger Konzepte, welche die Ereignisse und Geschehnisse der <strong>Geschichte</strong>,<br />

die Vielzahl der <strong>Geschichte</strong>n einander zuordnen und ihnen einen gemeinsamen<br />

Sinn verleihen. Es bleiben allerdings <strong>im</strong>mer Konstruktionen, die <strong>Geschichte</strong> trotz ihres<br />

universalen Anspruchs stets nur partiell aufnehmen und Teile der <strong>Geschichte</strong> ausblenden,<br />

bewußt oder unbewußt. Es erscheint darum angemessener, danach zu fragen,<br />

was das Verbindende hinter diesen unterschiedlichen Konzepten ist. Dies scheint mir<br />

die komplexe zeitliche Struktur von <strong>Geschichte</strong> und <strong>Geschichte</strong>n zu sein. Die komplexe<br />

und vernetzte Zeit und die Zeitlichkeit des Menschen konstituieren die Einheit des Begriffs<br />

der <strong>Geschichte</strong>. Die Erfahrung von Zeitlichkeit auf der Ebene der Wahrnehmung<br />

wird reflexiv und narrativ in ein Bewußtsein von Zeitstrukturen überführt, das <strong>im</strong> Begriff<br />

der komplexen und vernetzten Zeit seinen Ausdruck findet. Es handelt sich dabei<br />

um einen zweistufigen Prozeß, dessen erste Stufe die Erfahrung der Zeitlichkeit, und<br />

dessen zweite Stufe die Entwicklung eines Begriffs der Zeit ist. In <strong>Geschichte</strong>n werden<br />

sowohl die Erfahrung der Zeitlichkeit als auch, <strong>im</strong>plizit oder explizit, der Begriff der<br />

Zeit zueinander in Beziehung gesetzt. Was <strong>Geschichte</strong>n verbindet, ist ihre Verwiesenheit<br />

auf die Zeit. Zeit und Zeitlichkeit sind, neben weiteren Aspekten wie Sprache, Handeln<br />

und der Zuordnung von Ereignis und Struktur, die Bedingungen der Möglichkeit<br />

von <strong>Geschichte</strong>. Aus dem Verständnis der Zeit erhellt das Verständnis der <strong>Geschichte</strong>.<br />

Dies gilt aber auch umgekehrt: Aus dem Verständnis der <strong>Geschichte</strong> erhellt das Verständnis<br />

der Zeit. Denn neben den Wahrnehmungen der Vergänglichkeit, die einen Eindruck<br />

von Zeitlichkeit und Zeit hervorrufen, wird die Zeit in <strong>Geschichte</strong>n gefaßt. Die<br />

erzählerische Struktur von <strong>Geschichte</strong>n <strong>im</strong>pliziert und präsentiert <strong>im</strong>mer ein Verständnis<br />

bzw. in reflektierter Form einen Begriff von Zeit. <strong>Geschichte</strong>n, die Anfang und Ende<br />

haben, vermitteln den Begriff einer pr<strong>im</strong>är linearen Zeit. <strong>Geschichte</strong>n, die als Text zwar<br />

ebenfalls Anfang und Ende haben, aber in sich die lineare D<strong>im</strong>ension der Zeit aufsprengen,<br />

vermitteln den Begriff einer komplexen und vernetzten Zeit. Das Verständnis<br />

von Zeit, das sich der theologischen Reflexion der <strong>Geschichte</strong> erschließt, trägt beide<br />

Aspekte in sich. Das lineare Verständnis, insofern menschliche <strong>Geschichte</strong> zwischen<br />

Schöpfung und Vollendung sich vollzieht, das komplexe Verständnis, insofern die Zeit<br />

Gottes der menschlichen Zeit synchron wird.<br />

Aus der Perspektive des christlichen Glaubens stellt sich die (irdische) <strong>Geschichte</strong> als<br />

eine dar, die in der <strong>Geschichte</strong> Gottes mit den Menschen und der Welt begründet ist.<br />

36 Vgl. dazu unten 3.5.2.<br />

37 So Kant bzw. Hegel.<br />

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