Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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2.4 Zeit und <strong>Geschichte</strong><br />
Es ist nun zu fragen, was dieses theologische Verständnis der Zeit für ein theologisches<br />
Verständnis der <strong>Geschichte</strong> austrägt.<br />
2.4.1 <strong>Geschichte</strong> als Vernetzung der Zeiten<br />
Das vielfältige Geschehen der <strong>Geschichte</strong> wird zunächst in seiner linearen Erstreckung<br />
wahrgenommen und ihm werden Zusammenhänge oder Bedeutungen beigelegt. So kann<br />
eine <strong>Geschichte</strong> erzählt werden. In diesen Erzählzusammenhang werden <strong>im</strong>plizit oder<br />
explizit Ereignisse und Geschehen der Vergangenheit aufgenommen. Zugleich hat eine<br />
<strong>Geschichte</strong> zwar ein erzählerisches Ende, aber sie hat als erzählte <strong>Geschichte</strong> kein Ende.<br />
Denn eine <strong>Geschichte</strong> setzt eine andere <strong>Geschichte</strong> aus sich heraus, verlangt nach einer<br />
Weiterführung oder einer Antwort. Auch setzen die nicht zum Erzählstrang einer <strong>Geschichte</strong><br />
gehörenden Nebenfolgen eigene <strong>Geschichte</strong>n in Gang. So ist <strong>Geschichte</strong> <strong>im</strong>mer<br />
auch offen für eine weitere <strong>Geschichte</strong>, ja verlangt geradezu nach ihr. Auf dieser Ebene<br />
bewegt sich die <strong>Geschichte</strong> in den beiden Zeitreihen Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft<br />
und „früher – später“. Wenn in einer <strong>Geschichte</strong> die verschiedenen Zeitmodi thematisiert<br />
werden, kommt es explizit zum Verständnis der <strong>Geschichte</strong> als eines Komplexes<br />
von vernetzter Zeit. Diese vernetzte Zeit ist eine Zeit mit offenen Rändern.<br />
Werden <strong>Geschichte</strong>n und <strong>Geschichte</strong> nun aus der Perspektive des Glaubens erzählt, so<br />
kommen zu der Vernetzung der linearen Zeit weitere Aspekte hinzu. Dies ist zum einen<br />
die Verknüpfung der jeweiligen <strong>Geschichte</strong> mit der <strong>Geschichte</strong> und der Zeit Gottes. Implizit<br />
oder explizit wird eine <strong>Geschichte</strong> in den Zusammenhang der <strong>Geschichte</strong> Gottes<br />
mit der Welt und den Menschen gestellt. Sie wird darin bezogen auf den begründenden<br />
Grund aller <strong>Geschichte</strong> und auf das von Gott verheißene Ziel aller Zeit und aller <strong>Geschichte</strong>.<br />
Solche <strong>Geschichte</strong> kann thematisch werden als eine <strong>Geschichte</strong> der Bewahrung,<br />
des Heils, der Befreiung, auch der Versuchung und des Gerichts. Die Interpretation<br />
dieser <strong>Geschichte</strong> bezieht sich dabei auf die <strong>Geschichte</strong> Gottes mit den Menschen,<br />
die in der <strong>Geschichte</strong> Jesu ihre spezifische Prägung erfahren hat. Die inhärente<br />
Zeit einer <strong>Geschichte</strong> wird so aufgebrochen für die Zeit, die Gott für die Menschen hat.<br />
Sie bekommt darin den Charakter einer vor-läufigen Zeit, da ihre Orientierung an der<br />
verheißenen Zukunft sie als Zeit des „schon“ und „noch nicht“ qualifiziert. In den <strong>Geschichte</strong>n<br />
des Glaubens spielt also die Zeit Gottes eine entscheidende Rolle für die Bedeutung,<br />
die mit einer <strong>Geschichte</strong> transportiert wird.<br />
2.4.2 Zeit als Vernetzung der <strong>Geschichte</strong>n<br />
Die Vernetzung der Zeiten und die konstitutive Offenheit für die Zeit Gottes in den <strong>Geschichte</strong>n<br />
des Glaubens gibt diesen <strong>Geschichte</strong>n eine eigene Prägung. Die menschliche<br />
Zeit vollzieht sich in einem von Gott eröffneten Raum, der als Raum der Bewährung<br />
und Bewahrung verstanden werden kann. Gott tritt in diesen Raum und diese Zeit ein<br />
und partizipiert an ihr. Dadurch wird die Zeit der Menschen reicher, denn sie wird durch<br />
die Möglichkeit der Fülle der Zeit angereichert. Diese Möglichkeit wird in der Kraft des<br />
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