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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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Auch bei Paul Althaus ist der Aspekt der Begegnung des Ewigen <strong>im</strong> Hier und Jetzt anzutreffen,<br />

und zwar bei seiner Unterscheidung einer „axiologischen“ von einer „teleologischen“<br />

Eschatologie. 23 Bei Althaus ist die Begegnung mit dem Ewigen dabei gekennzeichnet<br />

als Anspruch des Sittlichen. In der Übernahme der ethischen Verantwortung<br />

wird das Ewige präsent, aber auch in der <strong>Geschichte</strong>. Damit unterscheidet er sich vom<br />

frühen Barth, der das Eschatologische als Krisis alles Bestehenden verstand. Die Nähe<br />

besteht aber darin, daß gegenüber dem teleologischen und linearen Verständnis ein<br />

Aspekt der Zeit hervorgehoben wird, der auf das Gegenwärtigwerden des Ewigen in der<br />

Gegenwart abhebt.<br />

Mit dieser Betonung des Aufscheinens der Ewigkeit in der Zeit, des erfüllten Augenblicks,<br />

wird in Zeiten des Umbruchs und der Krise versucht, ein Gegenmodell zum<br />

linearen und teleologischen Zeit- und Geschichtsmodell zu entwerfen, das als gescheitert<br />

betrachtet worden ist. Nun scheint aber die Alternative zwischen, um bei Althaus<br />

Begrifflichkeit zu bleiben, axiologischem und teleologischem bzw. linearem Verständnis<br />

von Zeit und <strong>Geschichte</strong> zwar heuristisch hilfreich, sachlich bezeichnet sie<br />

aber, beschränkt auf das Zeitverständnis, keinen exklusiven Gegensatz, sondern Aspekte<br />

der Zeit- und Geschichtserfahrung, die beide ihr Recht haben. In ihrem Zusammenspiel<br />

ermöglichen sie ein komplexes Verständnis von Zeit und <strong>Geschichte</strong>, das den unterschiedlichen<br />

Aspekten menschlicher Zeiterfahrung und dem Verhältnis von göttlicher<br />

und menschlicher Zeit entsprechen kann.<br />

Die besonders qualifizerte Zeit, die <strong>im</strong> Kairos aufscheint, läßt sich sowohl philosophisch<br />

als auch theologisch entwickeln. 24 Als Beispiel für einen philosophischen Gedankengang,<br />

der die Bedeutung des Kairos herausarbeitet, sei Lévinas erwähnt. 25 Lévinas’ führt<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang von Sein und Zeit das Erscheinen des Seins als Seiendem auf den<br />

Augenblick zurück, in dem <strong>im</strong> Anblick des Anderen die <strong>im</strong>manente Zeit des Ich transzendiert<br />

wird und darin jener Augenblick das Erscheinen des Seins in sich trägt und in<br />

die Verantwortung ruft. Auch Lyotard hebt <strong>im</strong> Zusammenhang der Präsenz des nicht<br />

darstellbaren Absoluten <strong>im</strong> Gefühl des Erhabenen auf den Augenblick ab. 26<br />

Theologisch läßt sich folgender Gedankengang entwickeln. „Als die Zeit erfüllt war“<br />

(Gal 4,4) sandte Gott seinen Sohn. In der Inkarnation Gottes in Jesus dem Christus bekommt<br />

die Zeit eine neue D<strong>im</strong>ension, bricht in der Zeit eine neue Zeit, die Zeit des<br />

Heils auf und an. Diese neue Zeit kann, in einem heilsgeschichtlichen Kontext, als<br />

„Mitte der Zeit“ verstanden werden. Diese Betrachtungsweise ordnet diese neue Zeit<br />

m.E. allerdings zu stark in ein lineares Zeitverständnis ein, ordnet sie ihm unter. Frucht-<br />

23 Paul Althaus, Die letzten Dinge, Gütersloh 1922. Ab der vierten Auflage 1933 n<strong>im</strong>mt Althaus von<br />

der axiologischen Eschatologie Abschied und vertritt eine endgeschichtliche Eschatologie. Siehe<br />

auch Beißer, Hoffnung 175ff.<br />

24 Dies versuchen z.B. Emmanuel Lévinas und Georg Picht; vgl. dazu Reinhold Esterbauer, Verlorene<br />

Zeit – wider eine Einheitswissenschaft von Natur und Gott, Stuttgart 1996, 272ff.<br />

25 Vgl. auch oben zum relationalen Zeitverständnis Lévinas’ (1.2.2.2.6).<br />

26 „Die Präsenz ist der Augenblick, der das Chaos der <strong>Geschichte</strong> unterbricht und daran erinnert oder<br />

nur sagt, daß ‚etwas da ist‘, bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung hat. Das ist eine Vorstellung,<br />

die man mystisch nennen kann, da es sich um das Gehe<strong>im</strong>nis des Seins handelt.“ Jean-François Lyotard,<br />

Der Augenblick, Newman, in: ders., Philosophie und Malerei <strong>im</strong> Zeitalter ihres Exper<strong>im</strong>entierens,<br />

Berlin 1986, 20. Zur theologischen Relevanz Lyotards vgl. Joach<strong>im</strong> Track, Theologie am<br />

Ende – am Ende Theologie? Ein Gespräch mit Jean-François Lyotard, in: Hans Jürgen Luibl (Hg.),<br />

Spurensuche <strong>im</strong> Grenzland, Wien 1996, 15–64.<br />

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