Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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schen begründende wird allgemein als Ewigkeit verstanden. In der Zeit Gottes ist die<br />
Zeit der Schöpfung und der Menschen in ihren zyklischen und linearen Aspekten aufbewahrt,<br />
ja aufgehoben. Damit ist die Relation der Zeit Gottes zur Zeit der Welt vorgestellt,<br />
die sich <strong>im</strong> Verhältnis Gott zur Welt ergibt. Sie kann durch das Begründen, Gewähren,<br />
Aufgehobensein von Zeit beschrieben werden. Dieser Relation korrespondiert<br />
bzw. sie begleitet die Relation der Zeit Gottes und der Zeit der Welt, wie sie sich aus der<br />
Perspektive des Menschen darstellt. Wie bereits gezeigt, 9 gibt Gott der Welt ihre Zeit.<br />
Der Anfang der Zeit der Welt ist vorzustellen als Freigabe der Zeit durch Gott. Das<br />
Ende der Zeit der Welt korrespondiert dem Anfang, indem Gott die Zeit der Welt in<br />
seine Zeit aufn<strong>im</strong>mt. Von daher bekommt die Zeit der Welt ihre lineare Signatur, sie<br />
bewegt sich als freigegebene Zeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Sind dadurch Anfangspunkt<br />
und Endpunkt der Zeit der Welt gesetzt, so ist nach dem Verhältnis der Zeit Gottes<br />
zu der Zeit der Welt während ihres linearen Ablaufs zu fragen. Denkbar sind dabei<br />
verschiedene Möglichkeiten.<br />
a) Gott könnte die Welt mit der freigesetzten Zeit sich selbst überlassen, seine Beziehung<br />
zur Welt gleichsam auf Zeit suspendieren, um am Ende die Welt und ihre Zeit in<br />
seine Ewigkeit zurückzuholen. Diese Vorstellung könnte ihren Anhalt daran haben, daß<br />
Gott die Menschen in und zur Freiheit geschaffen hat und daß die Welt als gute Schöpfung<br />
ihren Gesetzmäßigkeiten folgt. Sie läßt sich aber mit einer Gottesvorstellung nicht<br />
vereinbaren, die Gott als alles best<strong>im</strong>mende Wirklichkeit versteht und sich auf die Verheißung<br />
der Begleitung und der Treue Gottes bezieht, also darauf, daß Gott die geschaffene<br />
Welt nicht sich selbst überlassen will.<br />
b) Gott könnte auf den Ablauf der Zeit der Welt und damit auf die <strong>Geschichte</strong> einen<br />
kontinuierlichen Einfluß ausüben, entweder <strong>im</strong> Sinne einer vollständigen Determination<br />
oder in Form eines begleitenden Einwirkens. Das Verständnis der geschichtlichen Zeit<br />
als einer vollständig determinierten läßt sich mit dem Aspekt der Freiheit der Menschen<br />
und der Kontingenz geschichtlicher Ereignisse nicht vereinbaren. Die Welt und ihre <strong>Geschichte</strong><br />
würde dabei ihren Charakter als von Gott gewolltes Gegenüber verlieren. Stellt<br />
man sich ein direktes Einwirken Gottes als Handlungssubjekt auf die Welt von Fall zu<br />
Fall vor, so ist dieser Einwand nicht erledigt, sondern nur ermäßigt. Zu klären wäre<br />
dann, wann und wie ein Eingreifen Gottes festzustellen wäre und ob damit nicht auch<br />
der Charakter der Welt als von Gott freigesetzter und von Menschen geschichtlich zu<br />
gestaltender beschädigt würde.<br />
c) Weiter ließe sich vorstellen, daß es für die Dauer der Zeit der Welt einen doppelten<br />
Zeitablauf gibt, daß also neben der Zeit der Welt die Zeit Gottes herläuft. Man hätte dabei<br />
theologisch beständig eine doppelte Zeitvorstellung, deren Verhältnis genauer zu<br />
klären wäre. So wäre zu fragen, ob sich der Zeitablauf der Welt durch die Zeit Gottes<br />
tangieren läßt und umgekehrt, ob sich die Zeit Gottes vom Ablauf der Zeit beeinflussen<br />
läßt. Damit taucht auch das Problem auf, ob die Zeit Gottes sich verändert, was <strong>im</strong> Blick<br />
auf ihr Verständnis als Ewigkeit zumindest problematisch erscheint.<br />
Die genannten Probleme erscheinen lösbar, wenn man auch für die Zeit Gottes die Vorstellungen<br />
einer Eigenzeit und eines komplexen Zeitverständnisses <strong>im</strong> Sinne der Vernetzung<br />
der Zeiten in Anschlag bringt. Die Eigenzeit Gottes wäre best<strong>im</strong>mt durch<br />
9 Vgl. oben 2.2.5 (Pannenberg) und 2.3.2 (Moltmann).<br />
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