Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

Damit aber werden die Leiden der Geschichte und ihr mögliches Scheitern nicht mehr denkbar, auch wenn Moltmann um die Möglichkeit der Vernichtung der Welt durch den Menschen weiß. Die Ambivalenz der Geschichte Gottes wird eschatologisch aufgelöst. Mit dieser eschatologischen Auflösung der Geschichte ist jedoch die Möglichkeit des individuellen Scheiterns innerhalb der Geschichte nicht negiert. Dies ist ein inhaltlicher Differenzpunkt, der festzuhalten ist. Das bedeutet, daß damit noch nicht ausgemacht ist, daß auch die Ambivalenz der Geschichte der Welt und der Menschen ebenso zu ihrem Ende gekommen ist oder kommen wird. Im Blick auf das individuelle Leben und den Glauben eröffnet sich ein weiterer Differenzpunkt. Denn existentiell betrachtet, bleibt die Hoffnung, die sich auf das in Christus proleptisch ereignete Ende der Geschichte Gottes bezieht, entzogen. Sie ist nicht verfügbar, sondern wird je und je von Gott zugeeignet. Gegenüber der Möglichkeit des individuellen Scheiterns und der existentiellen Hoffnungslosigkeit verbreitet Moltmann sein appellhaftes Pathos der Hoffnung. Der dritte Aspekt, der einen widersprüchlichen Eindruck erweckt, ist die Verhältnisbestimmung von Indikativ und Imperativ im Blick auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen in der Geschichte. Hier stehen einerseits in den neueren Veröffentlichungen die sich aus dem Topos des Sabbat ergebenden Hinweise auf die Zyklen des Lebens, dem Geborgensein in den Kreisläufen des Lebens und also die Distanzierung von Zeitnutzungsimperativen im Vordergrund. Andererseits will Moltmann an der Dynamik des Wandels der Geschichte, dem zukommenden Neuen, in dessen Geschichte sich die Menschen durch Teilhabe und Teilnahme an der Geschichte einschreiben können, und die sich den Kategorien der Verheißung und der Hoffnung verdanken, relativ ungebrochen festhalten. Damit wird für das Verhalten des Menschen gegenüber und in der Geschichte eine Doppelbotschaft vermittelt, die als „Sowohl – als auch“ ankommt, sowohl Gestaltung und Einwirkung als auch Gewährenlassen und Einstimmung. Besonders problematisch erscheint mir, daß beides, zumindest unterschwellig, als Imperativ aufscheint und der Aspekt der Gnade der Geschichte und der Geschichtlichkeit dabei jedenfalls nicht recht zum Tragen kommt. Selbst die Geduld als Frucht der Hoffnung trägt Züge des Imperativs. Eine geschenkte Gelassenheit gegenüber und in der Geschichte wird von Moltmann kaum thematisiert. 3.7.4 Subjektivität und Geschichte Moltmann übt explizit Kritik an den Ansätzen der Theologie, die Gott als absolutes Subjekt verstehen. 155 Demgegenüber möchte er Gottes Verhältnis zu der von ihm geschaffenen Welt „nicht mehr als ein Herrschaftsverhältnis auffassen“, sondern „als ein vielschichtiges und mehrstelliges Gemeinschaftsverhältnis verstehen“. 156 Gegen das neuzeitliche Denken mit seinen „objektivierenden, analysierenden, partikularisierenden und reduktionistischen Verfahrensweisen“ versucht er ein „neues, kommunikatives, integrierendes, ganzheitliches Denken“ zu setzen. 157 Allerdings ist der schlichte Rückgriff 155 Vgl. Trinität und Reich Gottes 35; Gott in der Schöpfung 16. 156 Gott in der Schöpfung 16. 157 Fischer, Systematische Theologie 213. Vgl. Moltmann, Gott in der Schöpfung 17. 198

„auf den vormodernen Begriff der Vernunft als vernehmendes und anteilnehmendes Organ (methexis)“ 158 , den Moltmann einfordert, so wohl kaum möglich. Zum einen wäre dieser Rückgriff ungeschichtlich gedacht und würde auf der methodischen Ebene seinem Ansatz, Geschichte aus dem Vorgriff auf die Zukunft zu verstehen, widersprechen. Zum anderen bleibt es der Theologie als einem Denken des Glaubens nicht erspart, sich auch auf die Denkweisen und wissenschaftstheoretischen Standards der jeweiligen Zeit einzulassen, wenn diese auch nicht einfach unkritisch zu übernehmen sind. „Andere Möglichkeiten als die des modernen Denkens sind uns nicht gegeben. Es bedarf wohl eines geschärften Blickes und kritischer Selbstbesinnung angesichts neuer Herausforderungen, die Beschwörung der Vormoderne indes wird kaum helfen.“ 159 Moltmanns Erörterungen nehmen zwar viele Traditionsstränge auf, deren Auswahl aber bisweilen etwas willkürlich erscheint. Hier wäre ein strengerer systematischer Zugang mit einer klaren erkenntnistheoretischen Fundierung gerade im Blick auf das Verständnis von Geschichte wünschenswert. Es fehlen ausdrückliche Erörterungen über den Status der Aussagen über Geschichte etwa in sprachphilosophischer und geschichtsphilosophischer Sicht. Traditionen dieser Art dienen Moltmann eher als Hintergrundfolie, auf der er seine Konzeption positioniert. So gelingt es ihm kaum, sich wirklich vom subjektzentrierten Paradigma des Menschen zu lösen. Allenfalls verschiebt er etwa „die zeitphilosophische Aporie einer intentionalen, subjektontologisch konnotierten Selbstreferenz des Subjektivitätsmodells“ von der Subjektbezogenheit auf die Horizontbezogenheit. 160 Denn Horizontbezogenheit, Ganzheitlichkeit, Relationalität und das Hervorheben von Kommunikationsgeschehen bleiben immer von einem Subjekt entworfene Kategorien und Denkmuster. 158 Moltmann, Gott in der Schöpfung 17. 159 Fischer, Systematische Theologie 213. 160 Freyer, Kontinuität und Unterbrechung 188; vgl. Moltmann, Der Geist des Lebens 50. 199

Damit aber werden die Leiden der <strong>Geschichte</strong> und ihr mögliches Scheitern nicht mehr<br />

denkbar, auch wenn Moltmann um die Möglichkeit der Vernichtung der Welt durch den<br />

Menschen weiß. Die Ambivalenz der <strong>Geschichte</strong> Gottes wird eschatologisch aufgelöst.<br />

Mit dieser eschatologischen Auflösung der <strong>Geschichte</strong> ist jedoch die Möglichkeit des<br />

individuellen Scheiterns innerhalb der <strong>Geschichte</strong> nicht negiert. Dies ist ein inhaltlicher<br />

Differenzpunkt, der festzuhalten ist. Das bedeutet, daß damit noch nicht ausgemacht ist,<br />

daß auch die Ambivalenz der <strong>Geschichte</strong> der Welt und der Menschen ebenso zu ihrem<br />

Ende gekommen ist oder kommen wird. Im Blick auf das individuelle Leben und den<br />

Glauben eröffnet sich ein weiterer Differenzpunkt. Denn existentiell betrachtet, bleibt<br />

die Hoffnung, die sich auf das in Christus proleptisch ereignete Ende der <strong>Geschichte</strong><br />

Gottes bezieht, entzogen. Sie ist nicht verfügbar, sondern wird je und je von Gott zugeeignet.<br />

Gegenüber der Möglichkeit des individuellen Scheiterns und der existentiellen<br />

Hoffnungslosigkeit verbreitet Moltmann sein appellhaftes Pathos der Hoffnung.<br />

Der dritte Aspekt, der einen widersprüchlichen Eindruck erweckt, ist die Verhältnisbest<strong>im</strong>mung<br />

von Indikativ und Imperativ <strong>im</strong> Blick auf die Gestaltungsmöglichkeiten des<br />

Menschen in der <strong>Geschichte</strong>. Hier stehen einerseits in den neueren Veröffentlichungen<br />

die sich aus dem Topos des Sabbat ergebenden Hinweise auf die Zyklen des Lebens,<br />

dem Geborgensein in den Kreisläufen des Lebens und also die Distanzierung von Zeitnutzungs<strong>im</strong>perativen<br />

<strong>im</strong> Vordergrund. Andererseits will Moltmann an der Dynamik des<br />

Wandels der <strong>Geschichte</strong>, dem zukommenden Neuen, in dessen <strong>Geschichte</strong> sich die<br />

Menschen durch Teilhabe und Teilnahme an der <strong>Geschichte</strong> einschreiben können, und<br />

die sich den Kategorien der Verheißung und der Hoffnung verdanken, relativ ungebrochen<br />

festhalten. Damit wird für das Verhalten des Menschen gegenüber und in der<br />

<strong>Geschichte</strong> eine Doppelbotschaft vermittelt, die als „Sowohl – als auch“ ankommt, sowohl<br />

Gestaltung und Einwirkung als auch Gewährenlassen und Einst<strong>im</strong>mung. Besonders<br />

problematisch erscheint mir, daß beides, zumindest unterschwellig, als Imperativ<br />

aufscheint und der Aspekt der Gnade der <strong>Geschichte</strong> und der Geschichtlichkeit dabei<br />

jedenfalls nicht recht zum Tragen kommt. Selbst die Geduld als Frucht der Hoffnung<br />

trägt Züge des Imperativs. Eine geschenkte Gelassenheit gegenüber und in der <strong>Geschichte</strong><br />

wird von Moltmann kaum thematisiert.<br />

3.7.4 Subjektivität und <strong>Geschichte</strong><br />

Moltmann übt explizit Kritik an den Ansätzen der Theologie, die Gott als absolutes<br />

Subjekt verstehen. 155 Demgegenüber möchte er Gottes Verhältnis zu der von ihm geschaffenen<br />

Welt „nicht mehr als ein Herrschaftsverhältnis auffassen“, sondern „als ein<br />

vielschichtiges und mehrstelliges Gemeinschaftsverhältnis verstehen“. 156 Gegen das<br />

neuzeitliche Denken mit seinen „objektivierenden, analysierenden, partikularisierenden<br />

und reduktionistischen Verfahrensweisen“ versucht er ein „neues, kommunikatives, integrierendes,<br />

ganzheitliches Denken“ zu setzen. 157 Allerdings ist der schlichte Rückgriff<br />

155 Vgl. Trinität und Reich Gottes 35; Gott in der Schöpfung 16.<br />

156 Gott in der Schöpfung 16.<br />

157 Fischer, Systematische Theologie 213. Vgl. Moltmann, Gott in der Schöpfung 17.<br />

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