Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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hen, in welchem die Verheißung interpretiert und aktualisiert den Kommenden überliefert<br />
wird und jede neue Gegenwart in Hoffnung und Gehorsam der angesagten Zukunft<br />
ausgesetzt wird.“ 144 Ereignis und Verheißungswort legen sich so gegenseitig aus. Damit<br />
gewinnt das Wort eine geschichtsgestaltende Kraft. Moltmann denkt <strong>im</strong> Zusammenhang<br />
seiner Überlegungen sicherlich pr<strong>im</strong>är an das Wort Gottes. Doch durch Interpretation<br />
und Aktualisierung werden auch Menschen dieser geschichtsbildenden Kraft des Wortes<br />
teilhaftig.<br />
Im Rahmen seiner Überlegungen zum „Dialogischen Leben“ 145 weist Moltmann darauf<br />
hin, daß die Sprachfähigkeit mit konstitutiv ist für das Wesen des Menschen. Sprechen<br />
ist kein Produkt, sondern eine Voraussetzung des menschlichen Lebens. „Sprache ist<br />
nur sekundär ein Verständigungsmittel über Sachverhalte und Informationsträger. Sprache<br />
ist pr<strong>im</strong>är die schöpferische Kraft der Personwerdung und die ‚versöhnende Verbindung<br />
zwischen mir und dir‘.“ 146 Dieses schöpferische Potential der Sprache ist in<br />
übertragener Weise auch für die <strong>Geschichte</strong> konstitutiv, insofern sowohl der Mensch als<br />
auch <strong>Geschichte</strong> relational gedacht werden.<br />
3.7 Kritische Würdigung<br />
3.7.1 Allgemeines<br />
1. Jürgen Moltmann entwickelt seine Geschichtstheologie ausgehend von zwei fundamentalen<br />
biblischen Einsichten. Die erste dieser Einsichten wirkt sich auf die Struktur<br />
seiner Geschichtstheologie aus. <strong>Geschichte</strong> wird fundamental strukturiert durch die Kategorie<br />
der Verheißung. Verheißung stellt Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in<br />
einen Zusammenhang. Sie öffnet die <strong>Geschichte</strong> nach vorne. Dies gilt für die israelitische<br />
Verheißungsgeschichte. Noch mehr aber gilt es für die Verheißung, die in der Offenbarung<br />
des Auferstandenen geschieht. Diese „steht gleichsam als pr<strong>im</strong>um movens an<br />
der Spitze des geschichtlichen Prozesses“ 147 . Noch ausstehende Erfüllung von Verheißung<br />
läßt <strong>Geschichte</strong> als einen dynamischen Prozeß auf Zukunft hin denken. Die<br />
Kategorie der Verheißung räumt der D<strong>im</strong>ension der Zukunft für das Verständnis von<br />
<strong>Geschichte</strong> eine vorzügliche Stellung ein. Implizit, und das ist kritisch anzumerken, erscheint<br />
hier bei Moltmann trotz aller Hochschätzung und Betonung der israelitischen<br />
Glaubenstraditionen das Modell einer Überbietungsgeschichte der Offenbarung, das<br />
tendenziell eine Abwertung des jüdischen Glaubens beinhaltet. 148<br />
144<br />
Theologie der Hoffnung 101.<br />
145<br />
Jürgen Moltmann, Mensch. Christliche Anthropologie in den Konflikten der Gegenwart, Gütersloh<br />
1979, 115ff.<br />
146<br />
Moltmann, Mensch 119.<br />
147<br />
Theologie der Hoffnung 78.<br />
148<br />
Hermann Fischer, Systematische Theologie, Stuttgart 1992, 210f, sieht bei Moltmann einerseits eine<br />
Überlagerung der Christologie durch die Eschatologie, andererseits <strong>im</strong> Blick auf die Verheißungsgeschichte<br />
eine „Beinahe-Identität“ (210) zwischen Altem und Neuem Testament, die dazu führt, daß<br />
„das Fundament in Frage“ gestellt wird. Denn das „Neue Testament sagt danach nicht etwas wirklich<br />
Neues, sondern es sagt das Alte nur auf neue Weise, und beide, Altes Testament und Neues Testament,<br />
sind dem wirklich Neuen entgegengesetzt, das einst kommen wird“ (211). M.E. beachtet Fischer<br />
dabei nicht hinreichend, daß Moltmann gerade in der Antizipation des Neuen in der Aufer-<br />
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