Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

wurde in die sakramentale Vergegenwärtigung der verheißenen Zukunft, über die dann die Kirche verfügte. Dadurch allerdings „traten die irdischen Endhoffnungen an den Rand des kirchlichen Bewußtseins und wurden in die Häresie abgedrängt“ 106 . Eine andere Form des Umgangs mit den enttäuschten Hoffnungen in der Geschichte ist der Umschlag von der Prävalenz der Zukunft zur Prävalenz der Gegenwart. Es gibt kein Ende der Geschichte im zeitlich-linearen Sinn, „weil die Zeit schon erfüllt war und weil die Offenbarung Gottes in Christus jene Geschichte, nach deren Ende gefragt wird, immer schon aufhebt. Das Ende muß also ausbleiben, weil das Ende schon da ist.“ 107 Gott als der Gegenwärtige hebt in der Gegenwart des Glaubens die Geschichte auf. Entweltlichung und eschatologische Existenz sind die Antwort auf die Frage nach dem Ende der Geschichte. „Eine präsentische und anthropologische Eschatologie verschlingt die Geschichte, genauer gesagt, macht die Frage nach der Geschichte und ihrem zukünftigen Ende überflüssig und sinnlos. Die wahre Lösung des Problems liegt darin, daß Christus das stets jeweils gegenwärtige eschatologische Ereignis ist.“ 108 Allerdings stellt diese Lösung vor zwei Probleme. Zum einen wird die Verbindung zwischen dem eschatologischen Ereignis Christus und dem irdischen historischen Jesus von Nazareth undeutlich. Zum anderen wird durch die Gegenwart des Eschaton im Glauben die Zukunft, die in der Hoffnung der Urchristenheit kosmische Dimensionen hatte, vergeistigt und individualisiert. 109 Ist aber „christlicher Glaube in seinem Ursprung und seinem Kern Auferstehungsglaube und Auferstehungshoffnung“, so verbindet sich mit ihm eine eschatologische und universale Erwartung auf die Auferweckung aller Toten. 110 „Das Wort der Verheißung provoziert unablässig Geschichte, und die Hoffnung hält die Erfahrung der Wirklichkeit als Geschichte offen.“ 111 Damit wird die Differenz eröffnet zwischen „dem Dasein, wie es ist, und jenem, das erhoffbar wurde“. Damit ist das „Ende der Geschichte“ „noch nicht so gegenwärtig, daß Zeit und Geschichte stillstehen und nicht mehr sind, sondern so, daß es Zeit läßt, Zukunft ermöglicht und Geschichte bewirkt“. 112 Das aber bedeutet, daß die Gegenwart von der eschatologischen Zukunft zur Geschichte qualifizert wird. Das Ende der Geschichte wird bei Moltmann daher weder im Sinn eines Abbruchs von Zeit und Geschichte im linearen Verständnis noch im Sinne einer Aufhebung von Zeit und Geschichte in einer Innerlichkeit des Glaubens gedacht, sondern als ein in Kreuz und Auferweckung Christi antizipiertes Ereignis, daß für den Glauben noetische Kraft hinsichtlich der Erkenntnis von Geschichte beinhaltet, aber auch anleitet, die Geschichte in ihrer Zweideutigkeit und die Unerlöstheit der Gegenwart in Geduld und Hoffnung auszuhalten. 106 Perspektiven der Theologie 242. 107 Perspektiven der Theologie 243. 108 Perspektiven der Theologie 244. 109 Vgl. Perspektiven der Theologie 244. 110 Perspektiven der Theologie 245. 111 Perspektiven der Theologie 246. 112 Perspektiven der Theologie 246. 188

3.4 Subjekt der Geschichte Für Moltmann besteht Geschichte nicht nur aus menschlicher Erfahrung und Entscheidung. „Die menschliche Geschichte entsteht immer aus ihren Wechselwirkungen mit der Geschichte der Natur.“ 113 Wenn Geschichte aber aus Interaktionen und Wechselwirkungen besteht, „dann hat Geschichte immer mehr als nur ein Subjekt“ 114 . Damit wendet sich Moltmann sowohl gegen einen modernen Anthropozentrismus als auch gegen einen sich postmodern darstellenden Kosmozentrismus. Wenn Geschichte Interaktion und Wechselwirkung ist, dann ist sie das, „was sich zwischen Gott und Menschen, zwischen Menschen und Gott ereignet. Geschichte, so könnte man allgemein sagen, ist die Gemeinschaft von Mensch und Natur und die Gemeinschaft des Mensch- Natur-Verhältnisses mit Gott; eine Gemeinschaft in Widersprüchen und Entsprechungen, Erwartungen und Enttäuschungen.“ 115 Bei Moltmann lassen sich hinsichtlich der Bestimmung des Verhältnisses von Subjekt und Geschichte zwei Linien ausmachen. Die eine Linie läuft auf eine Kritik am neuzeitlichen Subjektzentrismus hinaus. Moltmann unternimmt diese Kritik in verschiedenen Argumentationsfiguren. Zum einen betont er gegenüber dem Subjektsein des Menschen dessen Sozialität. Moltmann geht dabei von einer inneren Verschränkung der Raum- und Zeitkontinua aus. 116 Dieser Verschränkung entspricht ein fließender Übergang zwischen Personalität und Interpersonalität bzw. Sozialität. 117 Gegenüber einer individualistischen Engführung betont Moltmann den Gemeinschaftsaspekt in interpersonaler, gesellschaftlicher, ökologischer und kosmischer Dimension. Diese Kritik wird weitergeführt, indem Moltmann auf die Bedeutung des Raumes, der „Umgebung“ verweist. „Gegenübersein ist Beziehung, Gegenwart ist Umgebung. Sich zu umgeben und sich aufeinander zu beziehen, gehören in der Liebe zusammen.“ 118 Schließlich ist hier auch noch darauf hinzuweisen, daß Moltmann im Blick auf die Erkenntnis die „Subjektbezogenheit“ durch eine „Horizontbezogenheit“ ersetzen möchte. 119 Damit wird die Selbstbezogenheit neuzeitlicher Subjektivität geöffnet für einen eschatologischen Zu- 113 Jürgen Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1989, 268. 114 Der Weg Jesu Christi 268. 115 Der Weg Jesu Christi 268. 116 Jürgen Moltmann, Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie, München 1991, 240: „Im rhythmischen Einklang des Lebendigen mit seinen Welten werden die Raum- und Zeitkontinua so ineinander verschränkt, daß man von Zeiträumen und schwingenden Raumzeiten sprechen kann. Im rhythmischen Wechselspiel der Kommunikationen entstehen immer reichere Gemeinschaften des Lebens. Aus dem Einfachen entfaltet sich das Vielfältige und das Vielfältige tritt in neue Gemeinschaften zueinander.“ 117 Vgl. Freyer, Kontinuität und Unterbrechung 187f; Moltmann, Der Geist des Lebens 301, verweist dabei auf zwischenmenschliche Erfahrungen etwa zwischen Mutter und Kind oder zwischen Liebenden. „Im Fließen zwischen Gegenüber und Gegenwart entsteht eine Personalität mit durchlässigen Grenzen in energetischen Beziehungen. Das Selbstsein wird nicht durch Abgrenzungen und Abspaltungen gewonnen, sondern kommt durch die Kraft der lebendigmachenden Beziehungen zur Blüte. ‚Selbstverschlossenheit‘ und ‚Selbstauflösung‘ sind nur Grenzmarkierungen. Zwischen ‚abgeschlossen‘ und ‚offen‘ liegen die weiten Bereiche der Verarbeitung von Eindrücken und des Ausdrückens von Erfahrungen“ (a.a.O.). 118 Der Geist des Lebens 275. 119 Der Geist des Lebens 50. 189

3.4 Subjekt der <strong>Geschichte</strong><br />

Für Moltmann besteht <strong>Geschichte</strong> nicht nur aus menschlicher Erfahrung und Entscheidung.<br />

„Die menschliche <strong>Geschichte</strong> entsteht <strong>im</strong>mer aus ihren Wechselwirkungen<br />

mit der <strong>Geschichte</strong> der Natur.“ 113 Wenn <strong>Geschichte</strong> aber aus Interaktionen und Wechselwirkungen<br />

besteht, „dann hat <strong>Geschichte</strong> <strong>im</strong>mer mehr als nur ein Subjekt“ 114 . Damit<br />

wendet sich Moltmann sowohl gegen einen modernen Anthropozentrismus als auch gegen<br />

einen sich postmodern darstellenden Kosmozentrismus. Wenn <strong>Geschichte</strong> Interaktion<br />

und Wechselwirkung ist, dann ist sie das, „was sich zwischen Gott und Menschen,<br />

zwischen Menschen und Gott ereignet. <strong>Geschichte</strong>, so könnte man allgemein sagen,<br />

ist die Gemeinschaft von Mensch und Natur und die Gemeinschaft des Mensch-<br />

Natur-Verhältnisses mit Gott; eine Gemeinschaft in Widersprüchen und Entsprechungen,<br />

Erwartungen und Enttäuschungen.“ 115<br />

Bei Moltmann lassen sich hinsichtlich der Best<strong>im</strong>mung des Verhältnisses von Subjekt<br />

und <strong>Geschichte</strong> zwei Linien ausmachen. Die eine Linie läuft auf eine Kritik am neuzeitlichen<br />

Subjektzentrismus hinaus. Moltmann untern<strong>im</strong>mt diese Kritik in verschiedenen<br />

Argumentationsfiguren. Zum einen betont er gegenüber dem Subjektsein des Menschen<br />

dessen Sozialität. Moltmann geht dabei von einer inneren Verschränkung der Raum-<br />

und Zeitkontinua aus. 116 Dieser Verschränkung entspricht ein fließender Übergang zwischen<br />

Personalität und Interpersonalität bzw. Sozialität. 117 Gegenüber einer individualistischen<br />

Engführung betont Moltmann den Gemeinschaftsaspekt in interpersonaler,<br />

gesellschaftlicher, ökologischer und kosmischer D<strong>im</strong>ension. Diese Kritik wird weitergeführt,<br />

indem Moltmann auf die Bedeutung des Raumes, der „Umgebung“ verweist.<br />

„Gegenübersein ist Beziehung, Gegenwart ist Umgebung. Sich zu umgeben und sich<br />

aufeinander zu beziehen, gehören in der Liebe zusammen.“ 118 Schließlich ist hier auch<br />

noch darauf hinzuweisen, daß Moltmann <strong>im</strong> Blick auf die Erkenntnis die „Subjektbezogenheit“<br />

durch eine „Horizontbezogenheit“ ersetzen möchte. 119 Damit wird die<br />

Selbstbezogenheit neuzeitlicher Subjektivität geöffnet für einen eschatologischen Zu-<br />

113<br />

Jürgen Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen D<strong>im</strong>ensionen, München<br />

1989, 268.<br />

114<br />

Der Weg Jesu Christi 268.<br />

115<br />

Der Weg Jesu Christi 268.<br />

116<br />

Jürgen Moltmann, Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie, München 1991, 240:<br />

„Im rhythmischen Einklang des Lebendigen mit seinen Welten werden die Raum- und Zeitkontinua<br />

so ineinander verschränkt, daß man von Zeiträumen und schwingenden Raumzeiten sprechen kann.<br />

Im rhythmischen Wechselspiel der Kommunikationen entstehen <strong>im</strong>mer reichere Gemeinschaften des<br />

Lebens. Aus dem Einfachen entfaltet sich das Vielfältige und das Vielfältige tritt in neue Gemeinschaften<br />

zueinander.“<br />

117<br />

Vgl. Freyer, Kontinuität und Unterbrechung 187f; Moltmann, Der Geist des Lebens 301, verweist<br />

dabei auf zwischenmenschliche Erfahrungen etwa zwischen Mutter und Kind oder zwischen Liebenden.<br />

„Im Fließen zwischen Gegenüber und Gegenwart entsteht eine Personalität mit durchlässigen<br />

Grenzen in energetischen Beziehungen. Das Selbstsein wird nicht durch Abgrenzungen und Abspaltungen<br />

gewonnen, sondern kommt durch die Kraft der lebendigmachenden Beziehungen zur<br />

Blüte. ‚Selbstverschlossenheit‘ und ‚Selbstauflösung‘ sind nur Grenzmarkierungen. Zwischen ‚abgeschlossen‘<br />

und ‚offen‘ liegen die weiten Bereiche der Verarbeitung von Eindrücken und des Ausdrückens<br />

von Erfahrungen“ (a.a.O.).<br />

118<br />

Der Geist des Lebens 275.<br />

119 Der Geist des Lebens 50.<br />

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