Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Unmittelbarkeit wäre erinnerungslos und hoffnungslos und würde darin der Treue Gottes,<br />
die allein Beständigkeit verleihen kann, als Antwort nicht gerecht werden.<br />
3.3.4 Das Ende der <strong>Geschichte</strong><br />
Der Topos vom Neuen in der <strong>Geschichte</strong> macht die Vorstellung von einem Ende der<br />
<strong>Geschichte</strong> nicht prinzipiell unmöglich. Allerdings schließt er drei Formen der Vorstellung<br />
vom Ende der <strong>Geschichte</strong> aus. Zum einen schließt er die Vorstellung eines<br />
innerweltlichen Endes der <strong>Geschichte</strong> aus, wie sie sich etwa aus dem Marxismus ergibt.<br />
Indem der Marxismus die Kenntnis des universalen Gesetzes, nach dem alle <strong>Geschichte</strong><br />
abläuft, behauptet, wird vergangene <strong>Geschichte</strong> „zur Vorgeschichte ihrer kommenden,<br />
universalen Lösung“ degradiert und <strong>Geschichte</strong> in erkannte <strong>Geschichte</strong> aufgehoben. 102<br />
Ausgeschlossen ist auch eine Flucht aus der <strong>Geschichte</strong>, eine Beendigung der <strong>Geschichte</strong><br />
„durch den Menschen ohne Gedächtnis“. „Geschichtsmüdigkeit“ und daraus<br />
folgend Geschichtsverlust ist ein Ergebnis aus dem Unbehagen an der <strong>Geschichte</strong>, das<br />
aus der Einsicht in die doch nicht vorhandene „Vernunft in der <strong>Geschichte</strong>“ resultiert,<br />
die wiederum durch die Katastrophen und „Absurditäten“ der <strong>Geschichte</strong> unseres Jahrhunderts<br />
hervorgerufen werden kann. In Verbindung mit der technisch-wissenschaftlichen<br />
Gestaltung der Welt könnten „Zustände entstehen, die wohl auf allen Gebieten<br />
unendliche Entwicklungsmöglichkeiten enthalten, aber keine Alternativen <strong>im</strong> Grundsätzlichen<br />
mehr zulassen“ 103 . Es wäre gleichsam der prinzipielle Rahmen der <strong>Geschichte</strong>,<br />
sowohl hinsichtlich ihrer positiven als auch ihrer negativen Möglichkeiten,<br />
abgeschlossen. Der Topos vom Neuen als konstitutiv für <strong>Geschichte</strong> schließt auch diese<br />
Möglichkeit des Endes der <strong>Geschichte</strong> aus.<br />
Schließlich ist auch eine spezifisch theologische Fassung des Endes der <strong>Geschichte</strong><br />
nicht zu vertreten, wenn <strong>Geschichte</strong> als durch Gott auf Zukunft geöffnete verstanden<br />
wird. Nach dieser Auffassung, die sich aus dem Programm der existentialen Interpretation<br />
ergibt, werden durch die Gottesoffenbarung und den Glauben Zeit und <strong>Geschichte</strong><br />
aufgehoben. Wo der Mensch <strong>im</strong> Glauben seine wahre und wirkliche Existenz ergreift,<br />
wird er zugleich entweltlicht und entdeckt die ewig-eigentliche Geschichtlichkeit seiner<br />
Existenz. Der Sinn der <strong>Geschichte</strong> liegt dann in der je eigenen Gegenwart und in der<br />
eigenen Entscheidung. Die <strong>Geschichte</strong> findet ihr Ende dort, wo der Mensch „<strong>im</strong> erfüllten<br />
Augenblick die Wahrheit der Existenz ergreift“ 104 .<br />
Gegenüber diesen Vorstellungen vom Ende der <strong>Geschichte</strong> geht Moltmann davon aus,<br />
„daß für den israelitischen und christlichen Glauben <strong>Geschichte</strong> <strong>im</strong> Horizont der Hoffnungen<br />
auf die Erfüllung von Gottesverheißungen erfahren wird“ 105 . Moltmann sieht<br />
dabei durchaus das Problem, ob die Hoffnung stark genug ist, die Enttäuschungen der<br />
<strong>Geschichte</strong> zu ertragen. Exemplarisch wird das am Problem der Parusieverzögerung, das<br />
dadurch gelöst wurde, daß die Erwartung auf den wiederkommenden Herrn überführt<br />
102 Vgl. Perspektiven der Theologie 232f.<br />
103 Vgl. Perspektiven der Theologie 233.<br />
104 Perspektiven der Theologie 234.<br />
105 Perspektiven der Theologie 241.<br />
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