Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

dieses Geschehen selbst als ein geschichtliches. Jesus Christus, und in ihm Gott, wird Teil der Geschichte, steht damit selbst in den Spannungen von Verheißung und Erfüllung, Erinnerung und Erwartung, Enttäuschung und Hoffnung. Die Zukunft der Geschichte wird so zur Zukunft Jesu Christi und die Zukunft Jesu Christi wird zur Zukunft der Geschichte. Im Blick auf die Geschichte ist von einer doppelten Bewegung auszugehen. Zum einen kann das Zukünftige aus dem Vergangenen und Gegenwärtigen nach vorne projiziert werden; zum anderen wird das Geschichtliche als solches erst aussagbar in Verbindung mit einem „Entwurf auf das Ganze der Geschichte, d.h. auf das Ende der Geschichte“ 82 . Diese „eschatologische Lesart der Geschichte“ eignet auch der profanen Universalgeschichtsschreibung. „Der historische Positivismus ist vielmehr selbst eschatologisch in seinem Pathos, die Geschichte dadurch zu „beenden“, daß er sie in feststellende Erkenntnis ihrer Fakten und Gesetze aufheben will. Die allgemeinen Strukturzusammenhänge von Erinnerung und Hoffnung, Profanität und Messianität für jede Geschichtserkenntnis und Geschichtsschreibung mitten in der offenen Geschichte des Leidens und des Todes „beweisen“ nicht das Recht der urchristlichen Eschatologie des Lebens und Sterbens Jesu, können es aber verständlicher machen.“ 83 Mit diesen Formulierungen beschreibt Moltmann einen Sachverhalt in vorsichtiger Art und Weise, der bei Pannenberg mit einer von Moltmann bestrittenen Beweislast versehen wird. 3.3.2 Verbalprolepse und Realprolepse Dieser vorsichtigere Umgang mit der Kategorie der Prolepse zeigt sich auch in der Unterscheidung von Verbalprolepse und Realprolepse. Wird Geschichte als Verheißungsgeschichte verstanden, dann bedeutet das, die Verheißung als Verbalprolepse des verheißenen Guten zu begreifen. 84 Diese Verbalprolepse ist, wie schon der Ausdruck sagt, eine verbal vermittelte Vorwegnahme der verheißenen Zukunft, die einen Erwartungsraum öffnet. Als sprachliche Konstruktion der Zukunft ist ihr Realitätsgehalt aber umstritten. 85 Die antizipierte Erfüllung der Verheißung, verstanden als Angeld und Unterpfand der vollendeten Erfüllung, kann man nach Moltmann dagegen Realprolepse nennen. 86 Im Ineinander und Miteinander von Verbalprolepse und Realprolepse zeigt sich auch ein Zusammenspiel von göttlicher und menschlicher Prolepse. Verbalprolepse kann verstanden werden als menschliche Möglichkeit; Realprolepse ist eine göttliche Möglichkeit, insofern Gott allein das Ganze der Geschichte kennt und es antizipatorisch realisieren kann. Diese Verknüpfung von Verbalprolepse und Realprolepse läßt sich nach Moltmann an der Geschichte Jesu Christi ablesen. Seine Verkündigung hat verbal proleptischen Charakter, sein Kreuz und seine Auferweckung haben real proleptischen 82 Der gekreuzigte Gott 151. 83 Der gekreuzigte Gott 152. 84 Vgl. Jürgen Moltmann, Zukunft der Schöpfung, München 1977, 56. 85 Dies ist die Kritik der analytischen Geschichtsphilosophie an Aussagen über die Zukunft; vgl. Arthur C. Danto, Analytische Philosophie der Geschichte, Frankfurt/M. 1980, sowie oben in dieser Arbeit 1.6.2.2. Moltmann macht sich diese Kritik implizit zu eigen, wenn er sagt: „Eschatologie kann nicht eine Reportage der zukünftigen Geschichte sein“ (Zukunft der Schöpfung 57). 86 Moltmann, Zukunft der Schöpfung 56. 184

Charakter. 87 „Weil und insofern der kommende Gott seine Zukunft geschichtlich vorweggibt, kann und soll der Mensch diese Zukunft in Erkenntnis und Tat vorwegnehmen.“ 88 Hiermit ist auch eine dialektische Verknüpfung von Geschichte und Eschatologie möglich, nach der Eschatologie geschichtlich zu verstehen und Geschichte eschatologisch zu begreifen ist. Das bedeutet, daß Eschatologie die Vorwegnahme der Zukunft der Geschichte mitten in der Geschichte formuliert, und daß geschichtliche Eschatologie möglich und notwendig ist aufgrund der eschatologischen Geschichte Jesu Christi. Das Novum in der Geschichte, das bei Moltmann eine zentrale Rolle spielt, 89 wird je nach Situation und Kontext hinsichtlich des „gleichen“ Ereignisses (im Sinne eines historischen Datums) je anders bestimmt und angesprochen. Noch allgemeiner läßt sich sagen, daß es „nackte Fakten“ gar nicht gibt, denn etwas kann nur in einem „Relations- und Verweisungszusammenhang (…) überhaupt wahrgenommen und ausgesagt werden“ 90 . Auch gilt, daß ohne einen erfaßten Zusammenhang das Individuelle sich nicht zeigt, zugleich aber alle entworfenen Zusammenhänge im Individuellen verifiziert werden müssen. 91 Dies wird auch bestätigt durch Überlegungen zum geschichtlichen Erkennen, die Moltmann im Anschluß an Dilthey anstellt. Da die eigene Bedeutung einzelner geschichtlicher Phänomene nur in ihrem Zusammenhang untereinander, und das heißt: nur im Blick auf das Ganze der Geschichte, erschlossen werden kann, dieses Ganze aber nicht vorhanden und überschaubar ist, da wir, aufs Ganze gesehen, weder am Ende der Geschichte, noch, aufs individuelle Lebensgeschichtliche gesehen, am Ende unseres Lebens stehen, ergibt sich eine Aporie. Andererseits können auch Momente der Vergangenheit, die wir erinnern, bedeutsam werden, soweit sie uns Möglichkeiten der Zukunft erschließen und damit die Gegenwart zu verantwortlichen Zwecksetzungen anleiten. 92 Dieser Sachverhalt, angewandt auf das Ereignis Kreuz und Auferweckung Jesu Christi im Zusammenhang der Geschichte, ist der Grund, weshalb das Ereignis Kreuz und Auferweckung Jesu Christi in seiner Bedeutung geschichtlich bleibend umstritten ist, eschatologisch jedoch antizipatorisch verstanden werden kann und muß und dadurch Hoffnung weckt. 3.3.3 Das Neue als Strukturmoment der Geschichte Anhand des für Moltmann wichtigen Begriffs des „Neuen“ in der Geschichte läßt sich das Problem von Ereignis und Struktur weiter erhellen. Für Moltmann erfüllt die eschatologische Zukunft Gottes die Gegenwart mit „Neuem“. 93 Theologisch bezeichnet der Begriff des Neuen die Parusie der eschatologischen Zukunft Gottes, philosophisch nimmt er Aspekte auf, die von einer Ontologie des „Noch-Nicht“ mit der Kategorie des 87 Man könnte diesen Gedanken auch fruchtbar mit der traditionellen Zwei-Naturen-Lehre verbinden. 88 Moltmann, Zukunft der Schöpfung 56. 89 Vgl. Moltmann, Perspektiven der Theologie 174ff. 90 Perspektiven der Theologie 79. 91 Perspektiven der Theologie 80. 92 Vgl. Jürgen Moltmann, Perspektiven der Theologie 130ff. 93 Gott in der Schöpfung 143f: „Das mit Zu-kunft bezeichnete Geschehen entwickelt sich nicht aus der Gegenwart, sondern konfrontiert die Gegenwart mit Neuem, es sei gut oder böse.“ 185

Charakter. 87 „Weil und insofern der kommende Gott seine Zukunft geschichtlich vorweggibt,<br />

kann und soll der Mensch diese Zukunft in Erkenntnis und Tat vorwegnehmen.“<br />

88 Hiermit ist auch eine dialektische Verknüpfung von <strong>Geschichte</strong> und Eschatologie<br />

möglich, nach der Eschatologie geschichtlich zu verstehen und <strong>Geschichte</strong><br />

eschatologisch zu begreifen ist. Das bedeutet, daß Eschatologie die Vorwegnahme der<br />

Zukunft der <strong>Geschichte</strong> mitten in der <strong>Geschichte</strong> formuliert, und daß geschichtliche<br />

Eschatologie möglich und notwendig ist aufgrund der eschatologischen <strong>Geschichte</strong> Jesu<br />

Christi. Das Novum in der <strong>Geschichte</strong>, das bei Moltmann eine zentrale Rolle spielt, 89<br />

wird je nach Situation und Kontext hinsichtlich des „gleichen“ Ereignisses (<strong>im</strong> Sinne<br />

eines historischen Datums) je anders best<strong>im</strong>mt und angesprochen. Noch allgemeiner<br />

läßt sich sagen, daß es „nackte Fakten“ gar nicht gibt, denn etwas kann nur in einem<br />

„Relations- und Verweisungszusammenhang (…) überhaupt wahrgenommen und<br />

ausgesagt werden“ 90 . Auch gilt, daß ohne einen erfaßten Zusammenhang das Individuelle<br />

sich nicht zeigt, zugleich aber alle entworfenen Zusammenhänge <strong>im</strong> Individuellen<br />

verifiziert werden müssen. 91<br />

Dies wird auch bestätigt durch Überlegungen zum geschichtlichen Erkennen, die Moltmann<br />

<strong>im</strong> Anschluß an Dilthey anstellt. Da die eigene Bedeutung einzelner geschichtlicher<br />

Phänomene nur in ihrem Zusammenhang untereinander, und das heißt: nur <strong>im</strong><br />

Blick auf das Ganze der <strong>Geschichte</strong>, erschlossen werden kann, dieses Ganze aber nicht<br />

vorhanden und überschaubar ist, da wir, aufs Ganze gesehen, weder am Ende der <strong>Geschichte</strong>,<br />

noch, aufs individuelle Lebensgeschichtliche gesehen, am Ende unseres Lebens<br />

stehen, ergibt sich eine Aporie. Andererseits können auch Momente der Vergangenheit,<br />

die wir erinnern, bedeutsam werden, soweit sie uns Möglichkeiten der Zukunft<br />

erschließen und damit die Gegenwart zu verantwortlichen Zwecksetzungen anleiten. 92<br />

Dieser Sachverhalt, angewandt auf das Ereignis Kreuz und Auferweckung Jesu Christi<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang der <strong>Geschichte</strong>, ist der Grund, weshalb das Ereignis Kreuz und Auferweckung<br />

Jesu Christi in seiner Bedeutung geschichtlich bleibend umstritten ist,<br />

eschatologisch jedoch antizipatorisch verstanden werden kann und muß und dadurch<br />

Hoffnung weckt.<br />

3.3.3 Das Neue als Strukturmoment der <strong>Geschichte</strong><br />

Anhand des für Moltmann wichtigen Begriffs des „Neuen“ in der <strong>Geschichte</strong> läßt sich<br />

das Problem von Ereignis und Struktur weiter erhellen. Für Moltmann erfüllt die<br />

eschatologische Zukunft Gottes die Gegenwart mit „Neuem“. 93 Theologisch bezeichnet<br />

der Begriff des Neuen die Parusie der eschatologischen Zukunft Gottes, philosophisch<br />

n<strong>im</strong>mt er Aspekte auf, die von einer Ontologie des „Noch-Nicht“ mit der Kategorie des<br />

87 Man könnte diesen Gedanken auch fruchtbar mit der traditionellen Zwei-Naturen-Lehre verbinden.<br />

88 Moltmann, Zukunft der Schöpfung 56.<br />

89 Vgl. Moltmann, Perspektiven der Theologie 174ff.<br />

90 Perspektiven der Theologie 79.<br />

91 Perspektiven der Theologie 80.<br />

92 Vgl. Jürgen Moltmann, Perspektiven der Theologie 130ff.<br />

93 Gott in der Schöpfung 143f: „Das mit Zu-kunft bezeichnete Geschehen entwickelt sich nicht aus der<br />

Gegenwart, sondern konfrontiert die Gegenwart mit Neuem, es sei gut oder böse.“<br />

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