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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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lierung wird verständlich, wenn man zwischen einer ontisch-historischen und noetischeschatologischen<br />

Sichtweise differenziert. Historisch wird die <strong>Geschichte</strong> Jesu vom Anfang<br />

her erzählt, noetisch ist der Blick auf diese <strong>Geschichte</strong> aber vom Ende her auf sie<br />

gerichtet. Der Gekreuzigte wurde also „<strong>im</strong> Licht seiner Auferweckung und seine Auferweckung<br />

<strong>im</strong> Licht seiner Zukunft <strong>im</strong> kommenden Gott und seiner Herrlichkeit begriffen.<br />

Darum wurde seine historische Kreuzigung als das eschatologische Gerichtsereignis<br />

begriffen und seine Auferweckung als verborgene Vorwegnahme des eschatologischen<br />

Reiches der Herrlichkeit, in dem die Toten auferweckt werden. Die „Zukunft“, von der<br />

man in seiner Auferweckung den ersten realen Vor-schein wahrnahm, wurde nicht als<br />

zukünftige <strong>Geschichte</strong> und also als Teil der Vergänglichkeit, sondern eschatologisch als<br />

Zukunft der <strong>Geschichte</strong> und also als Vorschuß der neuen Schöpfung verstanden.<br />

„Ostern“ war ein Vorschein und eine Realantizipation der qualitativ neuen Zukunft<br />

Gottes und der neuen Schöpfung mitten in der Leidensgeschichte der Welt.“ 77 Dabei<br />

leuchtet die Osterhoffnung „nicht nur nach vorne in das unbekannte Novum der durch<br />

sie eröffneten <strong>Geschichte</strong>, sondern zugleich nach rückwärts auf die Totenfelder der <strong>Geschichte</strong><br />

und mitten darin zuerst auf den einen Gekreuzigten, der in jenem Vorschein<br />

erschien“ 78 . In Kreuz und Auferstehung Jesu wird also deutlich, daß ein geschichtliches<br />

Verständnis konstitutiv bezogen ist auf die Zukunft. „Seine eigene Geschichtlichkeit<br />

entsteht erst aus dem eschatologischen Zusammenhang Jesu mit seiner Zukunft, die er<br />

wahrn<strong>im</strong>mt.“ 79<br />

Hierin zeigt sich ein Doppeltes. Zum einen muß das Christusereignis verstanden werden<br />

als das Geschehen, das <strong>Geschichte</strong> ermöglicht. Im Christusereignis, genauer: in der Auferweckung,<br />

wird der <strong>Geschichte</strong> die eschatologische Zukunft als neue Möglichkeit erschlossen.<br />

Und dies gerade darum, weil sie nicht ein „möglicher Prozeß in der Weltgeschichte“<br />

ist, „sondern der eschatologische Prozeß mit der Weltgeschichte“. Darin kann<br />

die Auferweckung verstanden werden „als ein „geschichte-stiftendes Ereignis“ (…), von<br />

dem her alle übrige <strong>Geschichte</strong> erhellt, in Frage gestellt und verändert wird“ 80 . Die Bedeutung<br />

des Christusereignisses besteht also darin, daß durch dieses singuläre unüberbietbare<br />

Ereignis die Zukunft in die <strong>Geschichte</strong> einbezogen wird, oder anders: die Zukunft<br />

als konstitutiv für <strong>Geschichte</strong> erwiesen wird. 81 Zum anderen aber vollzieht sich<br />

77 Der gekreuzigte Gott 150.<br />

78 Der gekreuzigte Gott 150.<br />

79 Der gekreuzigte Gott 151.<br />

80 Theologie der Hoffnung 163. „Das Prozeßdatum der Auferweckung Jesu enthüllt den wahren Erwartungshorizont<br />

aller <strong>Geschichte</strong>. Darum ist der vielgesuchte ‚Sinn der <strong>Geschichte</strong>‘ in ebendiesem<br />

Prozeß gelegen“ (Jürgen Moltmann, Perspektiven der Theologie 226). „Das Christusgeschehen der<br />

Auferstehung ist insofern „geschichtlich“, als es <strong>Geschichte</strong> stiftet, indem es neue Zukunft eröffnet:<br />

Gegenwart ist von diesem Ereignis der Vergangenheit, das doch kein vergangenes Ereignis ist, für<br />

die Zukunft als Zeit der Hoffnung erschlossen“ (ebd. 282).<br />

81 Moltmann entwickelt diesen Gedankengang nicht nur <strong>im</strong> Blick auf die Auferweckung, sondern auch<br />

<strong>im</strong> Blick auf das Kreuz. „Die <strong>im</strong> Kreuzestod Jesu auf Golgatha konkrete „<strong>Geschichte</strong> Gottes“ hat<br />

darum alle Tiefen und Abgründe der menschlichen <strong>Geschichte</strong> in sich und kann darum als die <strong>Geschichte</strong><br />

der <strong>Geschichte</strong> verstanden werden. Alle menschliche <strong>Geschichte</strong>, wie sehr sie von Schuld<br />

und Tod best<strong>im</strong>mt sein mag, ist in dieser „<strong>Geschichte</strong> Gottes“, d.h. in der Trinität, aufgehoben und in<br />

die Zukunft der „<strong>Geschichte</strong> Gottes“ integriert“ (Der gekreuzigte Gott 233). Mit dem Ausdruck<br />

„aufgehoben“ wird dabei eine Assoziation an Hegels Geschichtsphilosophie evoziert, die die Frage<br />

veranlaßt, ob damit die <strong>Geschichte</strong> der Welt damit auch an ihr definitives Ende gekommen ist, oder<br />

ob es doch die Möglichkeit des Neuen noch gibt. Anders gefragt: Kann die „<strong>Geschichte</strong> Gottes“ der<br />

<strong>Geschichte</strong> der Welt noch Neues ermöglichen?<br />

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