Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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standen werden als „eine zeitliche Vorwegnahme des eschatologischen Augenblicks“ 58 .<br />
Im Kairos des Glaubens geschieht „die geschichtliche Antizipation dessen, was <strong>im</strong> eschatologischen<br />
Augenblick an den Toten geschehen soll“. 59<br />
Der eschatologische Augenblick wird von Moltmann in Symmetrie zum ursprünglichen<br />
Augenblick gedacht. Ist jener der Augenblick der Selbstverschränkung Gottes, der seinem<br />
Schöpfungsratschluß entspringt und in dem der Schöpfung Raum und Zeit eingeräumt<br />
wird, so ist dieser der Augenblick der Selbstentschränkung, der dem Erlösungsratschluß<br />
entspringt und die zeitliche und räumliche Begrenzung der Schöpfung aufhebt.<br />
„Wie aus dem ursprünglichen Augenblick der anfängliche Augenblick der Zeit hervorgeht,<br />
so geht <strong>im</strong> letzten Augenblick die Zeit in die Ewigkeit über.“ 60 Die Ewigkeit wiederum<br />
ist erfüllte Zeit, Zeit des ewigen Lebens, die als Zeit der ewigen Lebendigkeit<br />
vorgestellt werden muß. Diese aionische Zeit kann nicht mehr als Zeitpfeil gedacht werden,<br />
sondern wird als Zeitkreis vorgestellt. „Die zielgerichtete Zeit der <strong>Geschichte</strong> vollendet<br />
sich in den zyklischen Bewegungen der ewigen Daseinsfreude <strong>im</strong> unablässigen<br />
Lobpreis des allgegenwärtigen Gottes.“ 61<br />
Moltmann reflektiert auf das Dilemma, das sich ergibt, wenn man einerseits Zeit durch<br />
Veränderlichkeit best<strong>im</strong>mt sieht, andererseits Ewigkeit mit Unveränderlichkeit zusammendenkt.<br />
Aus diesem Dilemma gibt es einen Ausweg, wenn Ewigkeit sich nicht durch<br />
Unveränderlichkeit auszeichnet, sondern wenn sie verstanden wird als die Fülle schöpferischen<br />
Lebens. Die Einheit von Zeit und Ewigkeit stellt sich dann nicht als ontologisches<br />
Problem, sondern als <strong>im</strong> schöpferischen Wort Gottes ermöglicht und gegeben.<br />
Dabei wird die Ewigkeit, verstanden als Fülle schöpferischen Lebens, für die Zeit geöffnet<br />
durch eine Aktivität Gottes. Diese Aktivität kann mit Barth verstanden werden als<br />
Gottes Schöpfungsratschluß, aber auch mit G. Scholem als Selbstverschränkung Gottes.<br />
Beides meint die Selbstbest<strong>im</strong>mung Gottes zum Schöpfer. Dieser „Augenblick“ der<br />
Selbstbest<strong>im</strong>mung Gottes zum Schöpfer wird von Moltmann als „ursprünglicher Augenblick“<br />
bezeichnet; damit ist jener Moment gemeint, in dem Gott durch seinen Entschluß<br />
(zur Schöpfung bzw. Selbstverschränkung) die Bedingung für die Möglichkeit der Zeit<br />
schafft. Dieser „ursprüngliche Augenblick“ setzt den „anfänglichen Augenblick“ aus<br />
sich heraus, mit dem die geschöpfliche Zeit <strong>im</strong> Schöpfungsakt beginnt.<br />
Die geschöpfliche Zeit ist die vergängliche Zeit, die aber einen doppelten Aspekt bei<br />
sich trägt. Sie partizipiert einerseits an der aionischen Zeit des H<strong>im</strong>mels, die als Zeitkreis<br />
vorgestellt wird. Sie ist andererseits die vergängliche Zeit, die als Zeitpfeil dargestellt<br />
werden kann. Im und durch den Akt der Schöpfung erhält die irdische Zeit diesen<br />
Doppelaspekt.<br />
Die irdische Zeit als vergängliche Zeit wird von Moltmann weiterhin charakterisiert<br />
durch ihre konstruktiven und destruktiven Möglichkeiten. In ihren konstruktiven Möglichkeiten<br />
ist die vergängliche Zeit die Zeit der Verheißung. Ihr Wesen ist Zukünftigkeit.<br />
Allerdings ist sie nicht nur durch Vergänglichkeit gekennzeichnet, sondern auch durch<br />
58 Das Kommen Gottes 323.<br />
59 Das Kommen Gottes 323.<br />
60 Das Kommen Gottes 324.<br />
61 Das Kommen Gottes 324.<br />
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