Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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3.2.4 Zeit, Ewigkeit und Augenblick<br />
Durch die relative Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Zukunft ist der geistigen Gegenwart<br />
als andere Seite der Gegenwart die Ewigkeit in der Zeit zu eigen. Diese gegenwärtige<br />
Ewigkeit in der Zeit ist nicht die absolute Ewigkeit Gottes, „wohl aber die<br />
aionische Ewigkeit der unsichtbaren Welt des H<strong>im</strong>mels, die mit der Zeit dieser sichtbaren<br />
Welt der Erde verbunden ist“ 51 . Die Ewigkeit in der Zeit wird darüber hinaus auch<br />
wahrgenommen „in der Tiefenerfahrung des Augenblicks“ 52 . Moltmann denkt sich dies<br />
in einer progressiven Art und Weise. „Über Gegenwart als Zeitpunkt und Gegenwart als<br />
Gleichzeitigkeit hinaus geht die Erfahrung der Gegenwart als Kairos. (…) Über Gegenwart<br />
als Kairos hinaus geht die Erfahrung der Gegenwart als Augenblick.“ 53 Geht es<br />
be<strong>im</strong> Kairos um die günstige Gelegenheit, die rechte Zeit, so geht es be<strong>im</strong> Augenblick<br />
um die erfüllte Zeit, eine mystische Tiefend<strong>im</strong>ension, um die Erfahrung der Fülle der<br />
Zeit, in der alle Zeit Gegenwart wird. 54 „Das ist mitten in der geschichtlichen Zeit zwar<br />
nur eine augenblickshafte Erfahrung der Ewigkeit, aber es ist eine Erfahrung der Ewigkeit.<br />
Hier ist Ewigkeit nicht nur Gleichzeitigkeit, sondern auch absolute Gegenwärtigkeit.“<br />
55 Auch in diesem Zusammenhang spricht Moltmann wieder von einer aionischen<br />
Ewigkeit, diesmal der des neuen Lebens der zukünftigen Welt, die wohl von der der unsichtbaren<br />
Welt des H<strong>im</strong>mels unterschieden ist.<br />
Kennzeichen der Ewigkeit ist die Fülle des Lebens. Wenn nun „der Austritt aus der Zeit<br />
<strong>im</strong> erfüllten Augenblick als Eintritt in die Ewigkeit erfahren wird“, dann „beginnt ewiges<br />
Leben schon hier und jetzt mitten <strong>im</strong> vergänglichen Leben und macht das irdische<br />
Leben zu einem Präludium seiner selbst“. 56<br />
Nach Moltmann war es „ein Irrtum der präsentischen Eschatologie, den gegenwärtigen<br />
Kairos mit dem eschatologischen Augenblick zu identifizieren und die Differenz nicht<br />
wahrzunehmen“. 57 Dieser Irrtum begann mit Kierkegaard und wurde von Barth und<br />
Bultmann jeweils weitergeführt. Der Kairos bzw. der „Tag des Heils“ muß aber ver-<br />
51 Das Kommen Gottes 319.<br />
52 Das Kommen Gottes 319.<br />
53 Das Kommen Gottes 319f.<br />
54 Moltmann verwendet die Ausdrücke Kairos und Augenblick in spezifischer, eher verunklarender<br />
Weise. Kairos kann <strong>im</strong> Griechischen zumindest auch den Zeitpunkt bezeichnen, der existentielle Bedeutung<br />
besitzt, weil er eine kontingent ermöglichte Situation ist, das Leben zu ergreifen. Auch neutestamentlich<br />
bezeichnet Kairos den von Gott qualifizierten Zeitpunkt (vgl. Theologisches Begriffslexikon<br />
zum Neuen Testament, Wuppertal 1979 2 , 1462ff). Paul Tillich (Systematische Theologie Bd.<br />
3, Frankfurt/M. 1984 4 , 419ff und ders., Der Widerstreit von Raum und Zeit. Schriften zur Geschichtsphilosophie,<br />
GW VI, Stuttgart 1963) verwendet den Ausdruck Kairos ebenfalls in diesem<br />
nicht nur die irdische Zeit nach ihren irdischen Möglichkeiten qualifizierendem Sinn, sondern in der<br />
Bedeutung eines transzendent qualifizierten Zeitpunktes. Moltmann reduziert hier den Sprachgebrauch<br />
auf die innerweltlich günstige Gelegenheit und bezeichnet den Zeitpunkt, an dem sich eine<br />
Verbindung irdischer Zeit mit der göttlichen Fülle der Zeit ereignet, als Augenblick. Hinsichtlich der<br />
umgangssprachlichen Verwendung des Ausdrucks Augenblick ist auch dies mißverständlich, da<br />
Augenblick eher einen beliebigen Zeitpunkt bezeichnet. Moltmann lädt den Ausdruck Augenblick<br />
mit den Gehalten des Ausdrucks Kairos auf.<br />
55 Das Kommen Gottes 320. Boethius definiert Ewigkeit ja bekanntermaßen: „Aeternitas … est interminabilis<br />
vitae tota … s<strong>im</strong>ul et perfecta possesio“ (De consolatione philosophiae, V, 6). Vgl. auch<br />
Thomas von Aquin, STh I, q 10 a 1.<br />
56 Das Kommen Gottes 321.<br />
57 Das Kommen Gottes 321.<br />
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