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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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3.2 Zeit und <strong>Geschichte</strong><br />

3.2.1 Futurum und Adventus<br />

Jürgen Moltmann entwickelt sein Zeitverständnis auf dem Hintergrund sowohl seines<br />

Gottesverständnisses als auch der philosophischen und physikalischen Diskussionslage<br />

zum Zeitbegriff. Sein Gottesverständnis ist für das Zeitverständnis insofern relevant, als<br />

er Gottes Sein nicht <strong>im</strong> Werden, sondern <strong>im</strong> Kommen ansiedelt. Präziser formuliert:<br />

Zum Wesen Gottes gehört weniger das futurum und mehr der adventus. 23 Die Unterscheidung<br />

von futurum und adventus entwickelt Moltmann zunächst aus sprachlichen<br />

Beobachtungen. Zukunft kann als „Futur“ verstanden werden, womit sie das bezeichnet,<br />

was aus Vergangenheit und Gegenwart wird. Sie ist damit „eine Form <strong>im</strong> Werdeprozeß<br />

der physis“ 24 . Wird hingegen das Futur als „Zukunft“ verstanden, so ist damit das bezeichnet,<br />

„was auf die Gegenwart zu-kommt“ 25 . Diese sprachliche Beobachtung verbindet<br />

Moltmann mit einer Interpretation von Offb 1,4. Dort wird die Zukunft an die<br />

Stelle des Futur gesetzt: „Friede von dem, der da ist und der da war und der da<br />

kommt.“ 26 Indem an der dritten Stelle nicht das Futur von Sein, sondern das Futur von<br />

Kommen gesetzt wird, wird der traditionelle Zeitbegriff <strong>im</strong> dritten Glied entscheidend<br />

verändert. „Gottes Sein ist <strong>im</strong> Kommen, nicht <strong>im</strong> Werden, darum vergeht es nicht, wenn<br />

es ankommt. Werden Gott und Zukunft so theologisch verbunden, dann ist das Sein<br />

Gottes eschatologisch zu denken und dann ist die Zukunft theologisch zu verstehen.<br />

Wird aber die Zukunft theologisch gedacht, dann gewinnt sie eine ständige Transzendenz<br />

gegenüber jeder Gegenwart und dann macht sie jede Gegenwart zu einer vorläufigen<br />

Gegenwart.“ 27<br />

Für das Gottesverständnis bedeutet das zweierlei. Zum einen ist der „Ort“ Gottes in der<br />

Zeit wesentlich als zukünftig zu verstehen sowohl <strong>im</strong> Sinne des futurischen als auch des<br />

kommenden. Zum anderen ist dazu aber in Beziehung zu setzen die Vor-Zeitigkeit<br />

Gottes, der als der ewige Gott Zeit erst ermöglicht. Der erste Aspekt wird bei Moltmann<br />

aufgenommen und entwickelt, indem er, wie oben gezeigt, die Kategorie der Verheißung<br />

als Ansage und Zusage versteht, die (zunächst) geschichtlich durch das Kommen<br />

Gottes eingeführt und weitergeführt wird. Den zweiten Aspekt n<strong>im</strong>mt Moltmann<br />

auf, indem er Zeit und Ewigkeit Gottes so miteinander verbindet, daß die Zeit gedacht<br />

wird als Folge der Selbstbeschränkung Gottes. „Gott läßt seiner Schöpfung Zeit, indem<br />

er seine Ewigkeit einschränkt. (…) Gott zog sich (…) gleichsam in seine Ewigkeit zu-<br />

23<br />

Vgl. etwa Jürgen Moltmann, Verschränkte Zeiten der <strong>Geschichte</strong>, in: EvTh 44/1984, 213–227, hier<br />

221.<br />

24<br />

Moltmann, Verschränkte Zeiten 221.<br />

25<br />

Moltmann, Verschränkte Zeiten 221.<br />

26<br />

Moltmann, Verschränkte Zeiten 221 zitiert Offb 1,4 allerdings nicht richtig: „Friede von dem, der da<br />

war, und der da ist, und der da kommt.“ Er formuliert den Gruß in das lineare Schema von Vergangenheit,<br />

Gegenwart und Zukunft um; dabei begibt er sich der Möglichkeit, auch von dieser Stelle<br />

aus eine für den christlichen Glauben relevante Prävalenz der Gegenwart, des gegenwärtigen Augenblicks,<br />

zu entwickeln. Vgl. auch die wörtliche Wiederholung dieser Passage in Moltmann, Gott in der<br />

Schöpfung 144, wo Offb 1,4 richtig zitiert ist.<br />

27<br />

Moltmann, Verschränkte Zeiten 221 (= Gott in der Schöpfung 144).<br />

173

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