Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

seiner Systematischen Theologie stärker als in „Offenbarung als Geschichte“ das Wort Gottes als Offenbarung in den Blick. 107 Zum anderen setzt sich Pannenberg von dem bei Barth und Bultmann vorfindlichen Zurücktreten der zeitlichen Zukünftigkeit der Ewigkeit Gottes ab, das bedingt war durch ein Verständnis des eschatologischen Gerichts Gottes über die Welt „als Ausdruck der zu jeder Zeit stattfindenden Konfrontation der Welt der Menschen mit der Ewigkeit Gottes“ 108 . Die biblische Zukunftseschatologie wurde ihres Charakters der Zukünftigkeit entkleidet und auf die jeweilige Gegenwart bezogen; anders gesagt, die urchristliche Eschatologie wurde, wie auch von Bultmann, entzeitlicht. 109 Motiviert war der Barthsche Ansatz durch seinen „Abwehrkampf“ gegen ein vielfältiges Geschichtsverständnis, das jedenfalls Geschichte als „wesentliche, maßgebliche Wirklichkeit“ betrachtete. 110 Gegenüber der Geschichte betonte Barth Gott als die maßgebliche Wirklichkeit. Und gegenüber dem Verlaufsaspekt der Zeit, der sich im Lauf der Geschichte manifestiert, betont Barth einerseits die Gegenwart des eschatologischen Gerichts, das das Ende der Geschichte bedeutet, 111 andererseits die zeitfreie Ewigkeit Gottes. 112 Pannenberg versucht in Aufnahme und Kritik gegenüber Barth sowohl ein anderes Verhältnis von Offenbarung und Geschichte als auch von Gott und Zeit zu entfalten. Auf diesem Hintergrund ist positiv zu würdigen, daß Pannenberg das Thema der Geschichte sowohl im Blick auf das Gottesverständnis als auch auf den Begriff der Offenbarung besonders hervorhebt. Er nimmt darin die Bedeutung des Themas und Begriffs der Geschichte in der Neuzeit auf und entwickelt seine Relevanz für die Theologie. Darin konkretisiert sich ein zweiter, positiv zu würdigender Aspekt, und zwar Pannenbergs Bemühen, den christlichen Glauben, und damit auch sein Gottes- und Offenbarungsverständnis als zumindest nicht unvernünftig aufzuweisen. In der Durchführung dieses Programms sind, wie dargestellt, viele anregende Aspekte zu entdecken, die Pannenberg seinem Grundansatz zu- und einordnet. Diese Integration neuerer Einsichten aus Philosophie, Natur- und Humanwissenschaften ist ein weiterer, positiv zu würdigender Aspekt von Pannenbergs theologischer Arbeit. Wolfhart Pannenberg hat sein Programm der Offenbarung als Geschichte auf seinem theologischen Denkweg immer weiter ausgebaut und verändert. Dabei ist Pannenberg 107 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 251ff. Dabei betont er vor allem, daß sich auch in der Sprache Antizipation vollziehe (277) und letztlich, gegen Ebeling, der Offenbarungsbegriff wohl eher eine Präzisierung der Wortgottesvorstellung bedeute als umgekehrt (262 und 280). 108 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 579. 109 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 580. Vgl. auch 640, wo Pannenberg im Blick auf die frühe dialektische Theologie formuliert, daß „die Ewigkeit Gottes – und also Gott selbst – als das jederzeitige Ende der Zeit“ aufgefaßt wurde. 110 Friedrich Beißer, Hoffnung und Vollendung (HST 15), Gütersloh 1993, 134f. Beißer charakterisiert das von Barth vorgefundene Geschichtsverständnis weiterhin so: „Geschichte entbirgt Wahrheit. Sie besitzt geradezu Offenbarungsqualität“ (135). Man könnte das – durchaus vielfältige – Programm des 19. Jahrhunderts mit dem Titel „Geschichte als Offenbarung“ versehen, vgl. Gustav Weth, Die Heilsgeschichte, München 1931, 60ff; wenn Pannenberg sein Programm „Offenbarung als Geschichte“ nennt, wird deutlich, daß er sich von jenem Geschichts- und Offenbarungsverständnis absetzt. 111 Karl Barth, Römerbrief 2. Aufl., 51: „Das Gericht Gottes ist das Ende der Geschichte, nicht der Anfang einer neuen zweiten Geschichte.“ 112 In der Kirchlichen Dogmatik wendet sich Barth aber wieder vom Verständnis eines zeittranszendenten Gottes ab und kommt zu einem Verständnis Gottes, der sich zeitlich gemacht hat. Vgl. Beißer, Hoffnung 127f sowie seine Darstellung der Barthschen Entwicklung 136ff. 162

zur Aufrechterhaltung seines Grundansatzes genötigt, in der theologischen Bearbeitung immer mehr Grundlagen zu ergänzen. 113 Sein Interesse ist es, „alle Aspekte der Wirklichkeit in ihren wechselnden geschichtlichen und kulturellen Kontexten zu inte- grieren“ 114 . Dies geschieht in der Aufnahme neuerer philosophischer, theologischer und natur- und humanwissenschaftlicher Einsichten. Dazu kann man seine anthropologischen Überlegungen zählen, die die als Gottoffenheit interpretierte Weltoffenheit des Menschen 115 mit Überlegungen zum Charakter der Religion und der Religionen 116 angereichert haben. Weiter lassen sich seine verfeinerten wissenschaftstheoretischen Überlegungen zum Wahrheitscharakter theologischer Aussagen und ihrer Verifizierbarkeit 117 nennen. Und auch die Verbindung der geschichtsphilosophischen und -theologischen Problematik mit dem trinitarischen Gottesverständnis der Systematischen Theologie 118 läßt sich hier anführen. Pannenberg verwendet dabei zwei Begründungsstränge, die sich wechselseitig interpretieren und befruchten. Die eine Linie bezieht sich auf trinitätstheologische Argumentationsmuster, die offenbarungstheologisch fundiert sind. Die andere Linie gebraucht anthropologische und erkenntnistheoretische Argumente. Zwischen beiden Begründungssträngen oszilliert dabei die Bedeutung der Argumente als fundamentaltheologische Basisprinzipien theologischer Erkenntnis. Allerdings läßt sich bei Pannenberg durchaus eine Entwicklung erkennen, die von der Betonung systematischen Bedeutung der Verifizierbarkeit der Auferstehung Jesu hin zur Betonung von subjektiven Antizipationen, die freilich intersubjektiv bewährt werden müssen. Damit aber scheint letztlich die Vernunft die Basis für die Gotteserkenntnis abzugeben und die Perspektive des geschenkten bzw. offenbarten Glaubens als grundlegend für theologische Erkenntnis nicht hinreichend berücksichtigt zu sein. 119 Darüber hinaus lassen sich weitere kritische Anmerkungen machen. 2.8.2 Gott und Geschichte Pannenbergs Konzept einer Theologie der Geschichte bietet einen in sich geschlossenen Entwurf, sofern man sich auf die zugrundeliegenden Voraussetzungen einläßt. Diese Voraussetzungen sind aber nicht unumstritten. Erstens ist der vorausgesetzte Gottesgedanke im Blick auf seine Geschichtlichkeit zwar zu Recht als der dem christlich-jüdischen Traditionszusammenhang entsprechend formuliert. Wenn aber Gott sich in der Geschichte offenbart, sollte grundsätzlich eine „neue“ Offenbarung Gottes in der Geschichte möglich sein. 120 „Neu“ heißt in diesem Zusammenhang, daß ein raumzeitliches 113 Vgl. Christoph Schwöbel, Wolfhart Pannenberg, in: David Ford (Hg.), Theologen der Gegenwart, Paderborn 1993, 240–271, bes. 246–248 und 254f. 114 Schwöbel, Pannenberg 267. 115 Anthropologie in theologischer Perspektive 33ff und Systematische Theologie Bd. 2, 262ff. 116 Vgl. Systematische Theologie Bd. 1, 151ff. 117 Wissenschaftstheorie und Theologie 329ff und Systematische Theologie Bd. 1, 33ff und Bd. 3, 574ff. 118 Systematische Theologie Bd. 1, 355ff. 119 Vgl. dazu Schwöbel, Pannenberg 267, 269f. 120 Pannenberg führt aus, daß, wenn der Gedanke der Inkarnation ernst genommen werden soll, das „Sein Gottes nicht schlechthin von Geschichte ablösbar“ ist, sondern „ein Moment geschichtlichen Werdens in den Gottesgedanken eingeführt“ wird (Gott der Geschichte 84). Diese Geschichtlichkeit Gottes kann nun aber nicht mehr einfach eingezogen werden. 163

seiner Systematischen Theologie stärker als in „Offenbarung als <strong>Geschichte</strong>“ das Wort<br />

Gottes als Offenbarung in den Blick. 107<br />

Zum anderen setzt sich Pannenberg von dem bei Barth und Bultmann vorfindlichen Zurücktreten<br />

der zeitlichen Zukünftigkeit der Ewigkeit Gottes ab, das bedingt war durch<br />

ein Verständnis des eschatologischen Gerichts Gottes über die Welt „als Ausdruck der<br />

zu jeder Zeit stattfindenden Konfrontation der Welt der Menschen mit der Ewigkeit<br />

Gottes“ 108 . Die biblische Zukunftseschatologie wurde ihres Charakters der Zukünftigkeit<br />

entkleidet und auf die jeweilige Gegenwart bezogen; anders gesagt, die urchristliche<br />

Eschatologie wurde, wie auch von Bultmann, entzeitlicht. 109 Motiviert war der<br />

Barthsche Ansatz durch seinen „Abwehrkampf“ gegen ein vielfältiges Geschichtsverständnis,<br />

das jedenfalls <strong>Geschichte</strong> als „wesentliche, maßgebliche Wirklichkeit“ betrachtete.<br />

110 Gegenüber der <strong>Geschichte</strong> betonte Barth Gott als die maßgebliche Wirklichkeit.<br />

Und gegenüber dem Verlaufsaspekt der Zeit, der sich <strong>im</strong> Lauf der <strong>Geschichte</strong><br />

manifestiert, betont Barth einerseits die Gegenwart des eschatologischen Gerichts, das<br />

das Ende der <strong>Geschichte</strong> bedeutet, 111 andererseits die zeitfreie Ewigkeit Gottes. 112 Pannenberg<br />

versucht in Aufnahme und Kritik gegenüber Barth sowohl ein anderes Verhältnis<br />

von Offenbarung und <strong>Geschichte</strong> als auch von Gott und Zeit zu entfalten.<br />

Auf diesem Hintergrund ist positiv zu würdigen, daß Pannenberg das Thema der <strong>Geschichte</strong><br />

sowohl <strong>im</strong> Blick auf das Gottesverständnis als auch auf den Begriff der Offenbarung<br />

besonders hervorhebt. Er n<strong>im</strong>mt darin die Bedeutung des Themas und Begriffs<br />

der <strong>Geschichte</strong> in der Neuzeit auf und entwickelt seine Relevanz für die Theologie.<br />

Darin konkretisiert sich ein zweiter, positiv zu würdigender Aspekt, und zwar Pannenbergs<br />

Bemühen, den christlichen Glauben, und damit auch sein Gottes- und Offenbarungsverständnis<br />

als zumindest nicht unvernünftig aufzuweisen. In der Durchführung<br />

dieses Programms sind, wie dargestellt, viele anregende Aspekte zu entdecken, die Pannenberg<br />

seinem Grundansatz zu- und einordnet. Diese Integration neuerer Einsichten<br />

aus Philosophie, Natur- und Humanwissenschaften ist ein weiterer, positiv zu würdigender<br />

Aspekt von Pannenbergs theologischer Arbeit.<br />

Wolfhart Pannenberg hat sein Programm der Offenbarung als <strong>Geschichte</strong> auf seinem<br />

theologischen Denkweg <strong>im</strong>mer weiter ausgebaut und verändert. Dabei ist Pannenberg<br />

107 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 251ff. Dabei betont er vor allem, daß sich auch in der<br />

Sprache Antizipation vollziehe (277) und letztlich, gegen Ebeling, der Offenbarungsbegriff wohl<br />

eher eine Präzisierung der Wortgottesvorstellung bedeute als umgekehrt (262 und 280).<br />

108 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 579.<br />

109 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 580. Vgl. auch 640, wo Pannenberg <strong>im</strong> Blick auf die<br />

frühe dialektische Theologie formuliert, daß „die Ewigkeit Gottes – und also Gott selbst – als das jederzeitige<br />

Ende der Zeit“ aufgefaßt wurde.<br />

110 Friedrich Beißer, Hoffnung und Vollendung (HST 15), Gütersloh 1993, 134f. Beißer charakterisiert<br />

das von Barth vorgefundene Geschichtsverständnis weiterhin so: „<strong>Geschichte</strong> entbirgt Wahrheit. Sie<br />

besitzt geradezu Offenbarungsqualität“ (135). Man könnte das – durchaus vielfältige – Programm des<br />

19. Jahrhunderts mit dem Titel „<strong>Geschichte</strong> als Offenbarung“ versehen, vgl. Gustav Weth, Die Heilsgeschichte,<br />

München 1931, 60ff; wenn Pannenberg sein Programm „Offenbarung als <strong>Geschichte</strong>“<br />

nennt, wird deutlich, daß er sich von jenem Geschichts- und Offenbarungsverständnis absetzt.<br />

111 Karl Barth, Römerbrief 2. Aufl., 51: „Das Gericht Gottes ist das Ende der <strong>Geschichte</strong>, nicht der<br />

Anfang einer neuen zweiten <strong>Geschichte</strong>.“<br />

112 In der Kirchlichen Dogmatik wendet sich Barth aber wieder vom Verständnis eines zeittranszendenten<br />

Gottes ab und kommt zu einem Verständnis Gottes, der sich zeitlich gemacht hat. Vgl.<br />

Beißer, Hoffnung 127f sowie seine Darstellung der Barthschen Entwicklung 136ff.<br />

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