Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

02.12.2012 Aufrufe

„das eigentliche Wesen des Wortes überhaupt“ sei (381), sowie c) Sprache Abwesendes gegenwärtig sein läßt. 92 Dies bedeutet, daß sich „alles menschliche Wort letzten Endes einer unthematischen, verborgenen Gegenwart Gottes in der ‚Tiefendimension‘ des sprachlichen Bewußtseins (…) verdankt“ (383). Allerdings läßt sich die mythische Einheit von Gotteswort und Menschenwort nicht wieder herstellen. Doch besteht die Besonderheit des Redens von Gott darin, „daß es die über das Ganze der Welt und des Menschen entscheidende Wahrheit zur Sprache bringt“ (383). 2.7.4 Sprache und Geschichte Hinsichtlich des Verhältnisses von Sprache und Geschichte läßt sich aus den Überlegungen Pannenbergs nun folgendes sagen. Zum einen ist Sprache dem Denken und auch den Dingen, auf die sie sich bezieht, nachgeordnet. Die Ereignisse, Handlungen und Daten, die Geschichte bilden, werden sprachlich vermittelt. Das heißt, Geschichte wird nicht durch Sprache konstituiert, sondern mitgeteilt oder allenfalls dargestellt. Zum zweiten ist Sprache dadurch gekennzeichnet, daß sie antizipatorischen Charakter hat, insofern sie sich auf ein vorweggenommenes Ganzes bezieht und von diesem her erst Verständigung gelingen kann. Dies ist letztlich auch mit der Rede von der Inspiration gemeint. Darin ist impliziert, daß das Wort Gottes den Anfang der Geschichte bildet, zuallererst das Wort Gottes Geschichte konstituiert und das Handeln der Menschen einen nachgeordneten Aspekt darstellt. Näherin ist dieses Verständnis des Verhältnisses von Wort/Sprache und Geschichte bestimmt durch das trinitarische Verständnis Gottes, der, wenn man so will, in einem „Selbstgespräch“ performativ sprachhandelt und den Menschen an der kreativen Potenz des Wortes teilhaben läßt. Allerdings gilt dabei der bereits im Zusammenhang mit Handlung erwähnte Sachverhalt, daß Gott und Mensch nicht in Konkurrenz treten, sondern auf unterschiedlichen Ebenen agieren. Schließlich ist, theologisch gesehen, das Wort Gottes als die Tiefendimension der Sprache zu benennen. Da die mythische Verbindung von Menschenwort und Gotteswort nicht mehr möglich ist, kann die notwendige Unterscheidung und Beziehung durch den Bezug auf die Vollendung der Wahrheit in der Zukunft verstanden werden. Das Modell dieser Unterscheidung und Beziehung ist die Geschichte Jesu. Ich zitiere hier die entsprechende Passage: 93 „Wort Gottes wird dann nur dasjenige menschliche Wort heißen dürfen, das diese für jede geschichtliche Gegenwart noch verborgene, definitive Zukunft ansagt, und zwar so, daß in solcher Mitteilung die Zukunft Gottes von ihr selbst her gegenwärtig wird. Das ist nach christlicher Lehre in der Verkündigung und Geschichte Jesu geschehen, und darum kann der christliche Glaube Jesus als die Offenbarung des göttlichen Logos und so als das Wort Gottes verstehen. Doch ist nicht einmal in ihm die Verschiedenheit menschlichen Redens von der durch seine Freiheit hindurch sich ereignenden Selbstbekundung Gottes aufgehoben. Die Differenz der Geschichte Jesu, seines Weges ans Kreuz, von seiner Verkündigung der 92 Pannenberg kritisiert an a) und b), daß damit die anthropologische Phänomenbreite sprachlicher Strukturen als sekundär ausgeschlossen wird, da Sprache auf Mitteilung reduziert wird. Die bei Heidegger angedeutete Reduktion des Sprachverständnisses ist von Ebeling ins Theologische gewendet worden; vgl. unten 3.6. 93 Pannenberg, Anthropologie 384. 158

kommenden Gottesherrschaft ist die Explikation dieser Differenz zwischen dem Wort Gottes und dem Worte Jesu. Erst vom Ende dieser Geschichte her, im Ostergeschehen, wird erkennbar, daß durch Jesus Gott selbst geredet hat, nun aber in solcher Endgültigkeit, daß Wort Gottes fortan nur noch Bericht von dem durch Jesus Geschehenen sein kann. Das aber bedeutet, daß die menschliche Sprache im christlichen Glauben ihre mythische Mächtigkeit verliert. Sie verliert damit nicht ihre religiöse Tiefendimension, wohl aber die unmittelbare, inspirierte Einheit mit der göttlichen Wahrheit. Wenn sogar die Botschaft Jesu als menschliches Reden nicht unmittelbar die Wahrheit Gottes in sich trug, sondern erst durch seine Geschichte die Bestätigung ihrer göttlichen Vollmacht empfangen mußte, dann bleibt auch das christliche Reden von dem göttlichen Wort unterschieden, das sein Inhalt ist, aber seine Wahrheit nicht unmittelbar durch das Reden der Christen, sondern durch die Zukunft seines Reiches und durch dessen vorlaufende Zeichen bekundet.“ Dies bedeutet, daß die Wahrheit der Sprache von der Geschichte beglaubigt wird, daß also die Last der Begründung nicht der Sprache, sondern der Geschichte aufgeladen wird. Die menschliche Sprache (und damit auch das Denken?) wird entlastet, man könnte auch sagen, entmächtigt zugunsten der Geschichte und ihrer Zukunft. Dies aber genau durch die eine Geschichte des Jesus von Nazareth, die uns nur durch Sprache und Rede zugänglich ist. Das Gewicht im Verhältnis von Sprache und Geschichte wird also deutlich zur Geschichte hin verschoben. Ob Geschichte damit nicht überlastet ist, wird in der kritischen Würdigung zu prüfen sein. 2.8 Kritische Würdigung 2.8.1 Theologiegeschichtlicher Hintergrund Pannenberg setzt sich mit seinem Ansatz von drei anderen geschichtstheologischen Konzepten ab. 94 Das ist zum einen die heilsgeschichtliche Theologie. Der Begriff der Heilsgeschichte impliziert nach Ott 95 mehrere Aspekte. Erstens rekurriert er darauf, daß Gott am Menschen handelt und dieses Handeln bestimmt ist durch Heil und Gnade. Heil spricht dabei die kosmische Dimension, Gnade die personale Dimension an. Zweitens impliziert der Begriff der Heilsgeschichte, daß es um eine Geschichte geht; damit ist zunächst ganz allgemein die raumzeitliche Verknüpfung von Ereignissen und Geschehnissen thematisiert. Näherhin geht es aber um eine Geschichte, die den Menschen grundlegend betrifft. Geschichte ist dabei zunächst als unspezifischer Ausdruck für den Erfahrungs- und Lebenszusammenhang der Menschen gebraucht, deren grundlegender Aspekt auf die Geschichtlichkeit des Menschen abhebt, d.h., daß der Mensch erst vermittels einer Geschichte Identität findet und Welt versteht; in der Heilsgeschichte geht es um die Bestimmung des Menschen und der Welt und darin ist sie grundlegend betreffend. Drittens 94 Es „muß die Geschichtshaftigkeit des Heilsgeschehens heute in Auseinandersetzung mit der Existenztheologie, der heilsgeschichtlichen Theologie und mit den methodischen Grundsätzen der historisch-kritischen Forschung behauptet werden“, so Pannenberg, Heilsgeschehen und Geschichte, in: Grundfragen Bd. 1, 22f. Ich gehe hier zunächst auf die spezifisch theologischen Gesprächspartner Pannenbergs ein. Vgl. auch Hermann Fischer, Systematische Theologie, Stuttgart 1992, 200. Siehe auch Kim, Offenbarung Gottes 481f. 95 Vgl. Heinrich Ott, Art. Heilsgeschichte, RGG 3 Bd. 3, 187–189. 159

„das eigentliche Wesen des Wortes überhaupt“ sei (381), sowie c) Sprache Abwesendes<br />

gegenwärtig sein läßt. 92 Dies bedeutet, daß sich „alles menschliche Wort letzten Endes<br />

einer unthematischen, verborgenen Gegenwart Gottes in der ‚Tiefend<strong>im</strong>ension‘ des<br />

sprachlichen Bewußtseins (…) verdankt“ (383). Allerdings läßt sich die mythische Einheit<br />

von Gotteswort und Menschenwort nicht wieder herstellen. Doch besteht die Besonderheit<br />

des Redens von Gott darin, „daß es die über das Ganze der Welt und des<br />

Menschen entscheidende Wahrheit zur Sprache bringt“ (383).<br />

2.7.4 Sprache und <strong>Geschichte</strong><br />

Hinsichtlich des Verhältnisses von Sprache und <strong>Geschichte</strong> läßt sich aus den Überlegungen<br />

Pannenbergs nun folgendes sagen. Zum einen ist Sprache dem Denken und<br />

auch den Dingen, auf die sie sich bezieht, nachgeordnet. Die Ereignisse, Handlungen<br />

und Daten, die <strong>Geschichte</strong> bilden, werden sprachlich vermittelt. Das heißt, <strong>Geschichte</strong><br />

wird nicht durch Sprache konstituiert, sondern mitgeteilt oder allenfalls dargestellt.<br />

Zum zweiten ist Sprache dadurch gekennzeichnet, daß sie antizipatorischen Charakter<br />

hat, insofern sie sich auf ein vorweggenommenes Ganzes bezieht und von diesem her<br />

erst Verständigung gelingen kann. Dies ist letztlich auch mit der Rede von der Inspiration<br />

gemeint. Darin ist <strong>im</strong>pliziert, daß das Wort Gottes den Anfang der <strong>Geschichte</strong><br />

bildet, zuallererst das Wort Gottes <strong>Geschichte</strong> konstituiert und das Handeln der Menschen<br />

einen nachgeordneten Aspekt darstellt. Näherin ist dieses Verständnis des Verhältnisses<br />

von Wort/Sprache und <strong>Geschichte</strong> best<strong>im</strong>mt durch das trinitarische Verständnis<br />

Gottes, der, wenn man so will, in einem „Selbstgespräch“ performativ sprachhandelt<br />

und den Menschen an der kreativen Potenz des Wortes teilhaben läßt.<br />

Allerdings gilt dabei der bereits <strong>im</strong> Zusammenhang mit Handlung erwähnte Sachverhalt,<br />

daß Gott und Mensch nicht in Konkurrenz treten, sondern auf unterschiedlichen Ebenen<br />

agieren.<br />

Schließlich ist, theologisch gesehen, das Wort Gottes als die Tiefend<strong>im</strong>ension der Sprache<br />

zu benennen. Da die mythische Verbindung von Menschenwort und Gotteswort<br />

nicht mehr möglich ist, kann die notwendige Unterscheidung und Beziehung durch den<br />

Bezug auf die Vollendung der Wahrheit in der Zukunft verstanden werden. Das Modell<br />

dieser Unterscheidung und Beziehung ist die <strong>Geschichte</strong> Jesu. Ich zitiere hier die entsprechende<br />

Passage: 93<br />

„Wort Gottes wird dann nur dasjenige menschliche Wort heißen dürfen, das diese für jede geschichtliche<br />

Gegenwart noch verborgene, definitive Zukunft ansagt, und zwar so, daß in solcher Mitteilung die Zukunft<br />

Gottes von ihr selbst her gegenwärtig wird. Das ist nach christlicher Lehre in der Verkündigung und<br />

<strong>Geschichte</strong> Jesu geschehen, und darum kann der christliche Glaube Jesus als die Offenbarung des göttlichen<br />

Logos und so als das Wort Gottes verstehen. Doch ist nicht einmal in ihm die Verschiedenheit<br />

menschlichen Redens von der durch seine Freiheit hindurch sich ereignenden Selbstbekundung Gottes<br />

aufgehoben. Die Differenz der <strong>Geschichte</strong> Jesu, seines Weges ans Kreuz, von seiner Verkündigung der<br />

92 Pannenberg kritisiert an a) und b), daß damit die anthropologische Phänomenbreite sprachlicher<br />

Strukturen als sekundär ausgeschlossen wird, da Sprache auf Mitteilung reduziert wird. Die bei Heidegger<br />

angedeutete Reduktion des Sprachverständnisses ist von Ebeling ins Theologische gewendet<br />

worden; vgl. unten 3.6.<br />

93 Pannenberg, Anthropologie 384.<br />

158

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!