Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

Handlungssubjekt ist auch, daß alles Handeln die Identität des Handelnden schon voraussetzt, zumindest für die Überbrückung der Zeitdifferenz zwischen Absicht und Ausführung einer Handlung. Je umfassender der Handlungsablauf, desto beständiger muß auch die Identität des Ausführenden sein. „Handlungen verdanken ihre Einheit der zeitüberbrückenden Identität des Handlungssubjekts“, die darum schon konstituiert sein muß, damit Handeln stattfinden kann. 78 Auch darum kann im Blick auf die Welt und die Geschichte im ganzen nur Gott als Handlungssubjekt vorgestellt werden, denn die Identität von menschlichen Personen ist erst im Werden auf ihrem Weg durch die Lebensgeschichte. 79 Das bedeutet auch, daß das Handeln Gottes nicht in Konkurrenz treten darf zum Naturgeschehen oder zum Wirken geschöpflicher Faktoren. „Gott und Mensch gehören als Handlungsprinzipien nicht derselben Ebene an, so daß zwischen ihnen Konkurrenz entstehen könnte.“ 80 In Pannenbergs Gotteslehre dient der Handlungsbegriff auch dazu, die Eigenschaften Gottes als handlungsleitende Instanzen durch die Perspektive auf das Ende hin einander kohärent zuzuordnen. Dies gelingt durch den Gedanken, daß das Subjekt des göttlichen Handelns die trinitarischen Personen sind, da das Subjektsein Gottes weder zu den drei Personen hinzutritt noch ihnen vorausgeht, sondern Ausdruck der Lebensgemeinschaft der drei Personen im Handeln ist. Subjekt ist Gott nur als trinitarischer, und nur als trinitarischer Gott kann er handeln. Insofern kann das Welthandeln Gottes auch als Wiederholung seiner ewigen Gottheit im Verhältnis zur Welt verstanden werden (421f). Dabei ist die „Zukunft der Welt (…) der Modus der Zeit, der der Ewigkeit Gottes am nächsten steht. (…). Das Ziel der Welt und ihrer Geschichte ist Gott näher als ihr Anfang. Darum ist das Handeln Gottes an der Welt eigentlich sein Kommen in die Welt in den Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft“ (422). 2.7 Sprache Sprache ist nach Pannenberg fundamental für alle Bereiche des kulturellen Lebens. 81 Dabei versteht Pannenberg die Sprache als Medium des Geistes. Die Bestimmung der Sprache als Medium weist darauf hin, daß sie eine Vermittlungsfunktion hat. Diese Vermittlungsfunktion läßt sich bei Pannenberg in zwei Richtungen feststellen. Zum einen geht es um die Vermittlung des Sinns des Wirklichen, der in der Sprache zur Darstellung kommt (328). Zum anderen geht es um die Vermittlung von Gott und Welt. nenberg in seiner Anthropologie im Kapitel über die „Grundlagen der Kultur“ (305ff) diesen Zusammenhang durch seine Gliederung an, ohne ihn jedoch zu explizieren. Dies hängt m.E. damit zusammen, daß sowohl die „Freiheit im Spiel“ als auch die „Sprache als Medium des Geistes“, und dabei auch das Verhältnis von Sprache und Handeln unter der Perspektive der Gottoffenheit des Menschen und seiner religiösen Dimension verhandelt werden. 78 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 231. Vgl. auch Bd. 1, 422. 79 Pannenberg beurteilt daher den anthropologischen Stellenwert des Handlungsbegriffs eher skeptisch, vgl. Systematische Theologie Bd. 2, 231f und Pannenberg, Anthropologie 356. 80 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 542. Ebenda betont Pannenberg: „Das Handeln der göttlichen Weltregierung bezieht sich also auf die Geschichte als ganze und äußert sich nicht in unvermittelten Eingriffen in das Wirken der geschöpflichen Ursachen.“ 81 Vgl. Pannenberg, Anthropologie 329. Die Seitenangaben in Klammern in diesem Abschnitt beziehen sich auf Pannenbergs Anthropologie. 154

2.7.1 Sprache und Vernunft Der Sinn des Wirklichen ist auch Thema der Vernunft, diese aber ist nach Pannenberg der Sprache vorgeordnet. Allerdings ist die Vernunft auf Sprache als Medium der Sinndarstellung angewiesen. In der Diskussion um die Priorität von Sprache oder Denken tendiert Pannenberg zur Theorie einer vorgängigen Ausbildung von Intelligenz und Denken gegenüber dem Spracherwerb. Der Primat der Sprache, der sich in der Bedeutung der Sprachphilosophie niederschlägt, kündigt sich nach Pannenberg bei E. Cassirer an (330) und kommt in den Schriften des späten Heidegger, der auch hier eine Wende vollzogen hat, voll zum Tragen (330f). Nach Cassirer ist wissenschaftliches Weltbewußtsein als objektiviertes und erst in seiner Objektivation zu sich selbst gekommenes Bewußtsein insbesondere der Sprache, womit freilich noch nichts über die Geltung, sondern nur über die Genesis der begrifflichen Erkenntnis ausgesagt ist. Heidegger geht in „Sein und Zeit“ noch davon aus, daß die Sprache Ausdruck eines vorgängigen Verstehens darstellt. 82 Später geht er aber davon aus, daß der Mensch das Wesen einer Sache nur aus dem „Zuspruch der Sprache“ empfängt. „Denn eigentlich spricht die Sprache. Der Mensch spricht erst und nur, insofern er der Sprache entspricht, indem er auf ihren Zuruf hört.“ 83 In der Sache wurde diese Auffassung bereits durch Herders Preisschrift über den Ursprung der Sprache (1772) kritisiert, der sich gegen eine übernatürliche Deutung des Sprachursprungs wandte, aber dennoch einen Primat der Sprache gegenüber dem Denken vertrat (331f). Die Auffassung eines natürlichen Ursprungs der Sprache führte zum sog. Sprachrelativismus. Dieser vertritt die These, daß in der jeweiligen Sprache einer Kultur ihre charakteristische Weltauffassung so vorgezeichnet ist, daß sie „durch das Denken nur noch expliziert wird oder zumindest das Denken ‚kanalisiert‘“ (332). 84 Die Sprache gilt dabei „als Produkt und Ausdruck des Denkens“ (335). Die These der Sprachunabhängigkeit des Denkens zieht allerdings das Problem auf sich, daß das der Sprache gegenüber unabhängige Denken selbst nur durch Sprache als solches erfaßt werden kann. So bleibt zwar „die Möglichkeit einer Priorität des Gedankens vor dem sprachlichen Ausdruck bestehen“, aber „der Nachweis ihrer Tatsächlichkeit“ (335) wäre erst noch zu führen. Pannenberg sieht diesen Nachweis durch die Untersuchungen Piagets zur Entstehung der Sprache erbracht, denn es zeigt sich, daß die Ausbildung des Denkens im sensomotorischen Umgang mit der Umgebung des Kindes dem Spracherwerb eindeutig vorausgeht (339, 342, 350). 85 Der Sprache vorgängig ist somit eine Umgebung, auf die sie sich bezieht. In theologischer Sicht ist diese Umgebung näherhin als Schöpfung, als Ganzes der Wirklichkeit zu benennen. Die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung ist aber nicht nur eine 82 Heidegger, Sein und Zeit (GA 2), Frankfurt/M. 1977, § 31ff (142–167). 83 2 Heidegger, Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954 , 190. Ähnlich auch schon J.G. Hamann mit seinen Gedanken über die Sprache Gottes in allen Dingen. Anders als bei Hamann, für den die Sprache durch das fleischgewordene Wort zu den Menschen kommt, geschieht dies bei Heidegger durch die Inspiration des Dichters. Vgl. Pannenberg, Anthropologie 331. 84 Wird diese These strikt vertreten, so wären allerdings Übersetzung und Verstehen von fremden Sprachen nur schwer vorstellbar. 85 Vgl. auch oben im philosophischen Teil der Arbeit 1.2.2.1. und 1.2.2.2.1. 155

2.7.1 Sprache und Vernunft<br />

Der Sinn des Wirklichen ist auch Thema der Vernunft, diese aber ist nach Pannenberg<br />

der Sprache vorgeordnet. Allerdings ist die Vernunft auf Sprache als Medium der Sinndarstellung<br />

angewiesen. In der Diskussion um die Priorität von Sprache oder Denken<br />

tendiert Pannenberg zur Theorie einer vorgängigen Ausbildung von Intelligenz und<br />

Denken gegenüber dem Spracherwerb. Der Pr<strong>im</strong>at der Sprache, der sich in der Bedeutung<br />

der Sprachphilosophie niederschlägt, kündigt sich nach Pannenberg bei E. Cassirer<br />

an (330) und kommt in den Schriften des späten Heidegger, der auch hier eine Wende<br />

vollzogen hat, voll zum Tragen (330f). Nach Cassirer ist wissenschaftliches Weltbewußtsein<br />

als objektiviertes und erst in seiner Objektivation zu sich selbst gekommenes<br />

Bewußtsein insbesondere der Sprache, womit freilich noch nichts über die Geltung,<br />

sondern nur über die Genesis der begrifflichen Erkenntnis ausgesagt ist. Heidegger geht<br />

in „Sein und Zeit“ noch davon aus, daß die Sprache Ausdruck eines vorgängigen Verstehens<br />

darstellt. 82 Später geht er aber davon aus, daß der Mensch das Wesen einer Sache<br />

nur aus dem „Zuspruch der Sprache“ empfängt. „Denn eigentlich spricht die Sprache.<br />

Der Mensch spricht erst und nur, insofern er der Sprache entspricht, indem er auf<br />

ihren Zuruf hört.“ 83 In der Sache wurde diese Auffassung bereits durch Herders Preisschrift<br />

über den Ursprung der Sprache (1772) kritisiert, der sich gegen eine übernatürliche<br />

Deutung des Sprachursprungs wandte, aber dennoch einen Pr<strong>im</strong>at der Sprache gegenüber<br />

dem Denken vertrat (331f). Die Auffassung eines natürlichen Ursprungs der<br />

Sprache führte zum sog. Sprachrelativismus. Dieser vertritt die These, daß in der jeweiligen<br />

Sprache einer Kultur ihre charakteristische Weltauffassung so vorgezeichnet ist,<br />

daß sie „durch das Denken nur noch expliziert wird oder zumindest das Denken<br />

‚kanalisiert‘“ (332). 84 Die Sprache gilt dabei „als Produkt und Ausdruck des Denkens“<br />

(335). Die These der Sprachunabhängigkeit des Denkens zieht allerdings das Problem<br />

auf sich, daß das der Sprache gegenüber unabhängige Denken selbst nur durch Sprache<br />

als solches erfaßt werden kann. So bleibt zwar „die Möglichkeit einer Priorität des Gedankens<br />

vor dem sprachlichen Ausdruck bestehen“, aber „der Nachweis ihrer Tatsächlichkeit“<br />

(335) wäre erst noch zu führen. Pannenberg sieht diesen Nachweis durch die<br />

Untersuchungen Piagets zur Entstehung der Sprache erbracht, denn es zeigt sich, daß die<br />

Ausbildung des Denkens <strong>im</strong> sensomotorischen Umgang mit der Umgebung des Kindes<br />

dem Spracherwerb eindeutig vorausgeht (339, 342, 350). 85<br />

Der Sprache vorgängig ist somit eine Umgebung, auf die sie sich bezieht. In theologischer<br />

Sicht ist diese Umgebung näherhin als Schöpfung, als Ganzes der Wirklichkeit<br />

zu benennen. Die Beziehung des Menschen zu seiner Umgebung ist aber nicht nur eine<br />

82<br />

Heidegger, Sein und Zeit (GA 2), Frankfurt/M. 1977, § 31ff (142–167).<br />

83 2<br />

Heidegger, Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954 , 190. Ähnlich auch schon J.G. Hamann mit<br />

seinen Gedanken über die Sprache Gottes in allen Dingen. Anders als bei Hamann, für den die Sprache<br />

durch das fleischgewordene Wort zu den Menschen kommt, geschieht dies bei Heidegger durch<br />

die Inspiration des Dichters. Vgl. Pannenberg, Anthropologie 331.<br />

84<br />

Wird diese These strikt vertreten, so wären allerdings Übersetzung und Verstehen von fremden Sprachen<br />

nur schwer vorstellbar.<br />

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Vgl. auch oben <strong>im</strong> philosophischen Teil der Arbeit 1.2.2.1. und 1.2.2.2.1.<br />

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