Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

02.12.2012 Aufrufe

ziehung in das Leben Gottes zur Teilhabe an seiner ewigen Herrlichkeit. Damit wird sowohl die Differenz des ewigen Gottes von der Zeitlichkeit der Geschöpfe als auch die Bewegung ihrer Einbeziehung in die ewige Gegenwart Gottes zum Ausdruck gebracht. 57 Aus der Perspektive der Zeit gewinnt die vollendete Ewigkeit als Zukunft der erstrebten Vollendung Bedeutung. „Die Zukunft wird damit konstitutiv für das Wesen der Zeit, weil nur von ihr her dem Zeitlichen jene Ganzheit zuteil werden kann, die die Einheit und Kontinuität des Prozesses der Zeit ermöglicht.“ 58 Mit dem oben 59 skizzierten Gedanken der Antizipation und Prolepse gelingt es Pannenberg, diese Vollendung der Ganzheit des Lebens, anders gesprochen: das Heil schon in der Zeit prinzipiell erfahrbar erscheinen zu lassen. Die in der christlichen Tradition oftmals vorherrschende Orientierung an der Zukunft des Heils hat diese proleptische Struktur mit ihrer Hervorhebung der Gegenwart weithin übersehen. Pannenberg entwickelt von seinem beschriebenen Zeitverständnis her, das sowohl an der Ewigkeit Gottes als auch an der Bewegung als Konstitutionsbedingungen für Zeit orientiert ist, ein Verständnis der Gottesherrschaft, in deren Zukunft Zeit und Ewigkeit sich zusammenschließen. „In ihr [der Zukunft der Gottesherrschaft, KFG] schließt die Ewigkeit sich mit der Zeit zusammen. Sie ist der Ort der Ewigkeit selbst in der Zeit, der Ort Gottes in seinem Verhältnis zur Welt, Ausgangspunkt seines Handelns im Anbruch seiner Zukunft für seine Geschöpfe, Quelle der Kraftwirkungen seines Geistes.“ 60 Während aber für Plotin „das Suchen nach dem zukünftig Ganzen ein leerer Wahn in der Endlosigkeit des Fortgangs der Zeit“ blieb, ermöglichte Augustin durch die Entdeckung des Phänomens der zeitüberbrückenden Gegenwart eine „gebrochene Analogie menschlichen Zeiterlebens zur simultanen Gegenwart der Ewigkeit“. 61 Am Beispiel des Hörens von Melodien wies Augustin darauf hin, daß wir durch Erinnerung und Erwartung Vergangenes und Zukünftiges uns gegenwärtig halten „in einer Dauer, die dadurch ermöglicht wird, daß die Aufmerksamkeit (attentio) das unserer Seele Gegenwärtige gleichsam ausdehnt auf das Vergangene und Künftige“. 62 Dieses Verständnis der Dauer läßt sich nach Pannenberg mit der Vermittlung von Zeit und Ewigkeit durch die eschatologische Zukunft der Gottesherrschaft verbinden. „Alle zeitüberbrückende Dauer und alle Erfahrung solcher Dauer im Strom der Zeit kann als Antizipation der eschatologischen 57 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 440f. Diese trinitarische Vermittlung fehlt auch bei Plotin, der die Differenz von Zeit und Ewigkeit nur mythisch als „Fall“ der Seele aus der ursprünglichen Einheit beschreiben konnte. 58 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 441. Daß der Übergang der Zeit in die Ewigkeit tatsächlich Ganzheit, d.h. Teilhabe an Gottes eigenem Leben bedeutet, entscheidet sich nach Pannenberg im Gericht, „in welchem das zeitliche Dasein mit der Ewigkeit Gottes konfrontiert wird. Insofern die Ewigkeit der Zeit entgegengesetzt ist, hat ihr Verhältnis zur Zeit tatsächlich die Form des Gerichts“ (Systematische Theologie Bd. 3, 639f). Joachim Ringleben, Gottes Sein, Handeln und Werden, rekonstruiert auf dem Hintergrund der Christologie Pannenbergs das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit folgendermaßen: „Zeit ist zu denken als Sich-Vorauslaufen bzw. -Vorwegsein der Ewigkeit, und Ewigkeit ist das, was sich in der Zeit, als Zeitlichkeit sich selber voraussetzt. Zeit ist werden der Ewigkeit zu sich, Ewigkeit das, was in der Zeit sich mit sich zusammenschließt“ (471). 59 2.2.2. 60 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 442. 61 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 442; vgl. auch Systematische Theologie Bd. 3, 606. 62 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 442f sowie Bd. 2, 112; Augustin, Conf. XI, 26,33. Vgl. auch Kersting, Selbstbewußtsein, in: Zeiterfahrung und Personalität, sowie oben 1.2.2 in dieser Arbeit. 150

Zukunft einer Teilhabe der Geschöpfe an der Ewigkeit Gottes aufgefaßt werden. Damit kommt auch in den Blick, wie das schöpferische Handeln des ewigen Gottes in der Zeit als Anbruch seiner eschatologischen Zukunft im Dasein seiner Geschöpfe genauer verstanden werden kann.“ 63 Hier wäre allerdings kritisch einzuwenden, daß diese Erfahrung von Dauer nicht allen Geschöpfen, sondern nur dem Menschen eignet. Und weiter, daß die Antizipation dann nicht christologisch, sondern schöpfungstheologisch zu verorten ist. 2.6 Handeln Für Pannenberg ist „der Begriff des ‚Handelns‘ im ‚engeren Sinne‘ durch den Bezug auf Ziele definiert“, „die durch das Handeln erreicht werden sollen“. 64 „Handlung“ wird dabei von „Verhalten“ und von „Tätigkeit“ unterschieden. „Verhalten“ ist gekennzeichnet durch äußerliche oder innerliche Stimulation, so daß darunter auch passive Verhaltensweisen wie Erleiden oder Sichüberlassen zu zählen sind. 65 Eine „Tätigkeit“ ist dadurch gekennzeichnet, daß bei ihrem Ausüben nicht zwischen Mittel und Zweck unterschieden wird. 66 Diese Unterscheidung ist aber konstitutiv für den Handlungsbegriff. Denn beim Begriff der Handlung differenziert Pannenberg im Anschluß an H. Reiner und D. v. Hildebrand zwischen einer „Stellungnahme“ zum Ziel oder Zweck, dem die Handlung gilt, und dem eigentlichen Handlungsvorsatz. 67 Handeln und Ziel werden also unterschieden. Um ein Ziel erreichen zu können, wird momentan zwischen Ziel und Mittel zu Erreichung des Ziels unterschieden, um von daher die Schritte zur Erreichung des Ziels planen und ausführen zu können. Andererseits wird aber das Ziel bereits antizipiert. Und „je mehr die einzelnen Momente einer Handlung gekonnt sind – etwa beim Spiel eines Musikstücks – desto mehr nähert sich die Handlung dem Charakter der Praxis, wird sie als Handlung aufgehoben und so zum reinen Spiel, zur reinen Darstellung. Im Spiel ist der Täter unmittelbar bei sich selbst, indem er zugleich momentan aufgeht im Vollzug des Spieles. In der Handlung dagegen ist der Handelnde nur in der Antizipation des Ziels mit sich eins.“ 68 Dies impliziert eine Entfremdung des Handelnden vom Ziel, da dieser sich auf die Mittel zur Erreichung des Ziels konzentrieren muß. Andererseits ist von der Struktur des Handelns mit seinen Elementen Handlungsvorsatz, Stellungnahme zum Handlungsziel und Durchführung der Handlung ein Überblick über das Gesamt der Handlung nötig, den nur ein Wesen besitzen kann, daß als „Ich“ und „Subjekt“ eine Einheit bildet. 69 Da aber diese Einheit des Ich beim Menschen erst durch Identitätsbildungsprozesse entsteht, kann menschliches Handeln die 63 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 443; Bd. 3, 583 formuliert Pannenberg: „Als Zukunft der Welt und ihrer Vollendung also wird Gott endgültig auch als ihr Schöpfer erwiesen sein.“ 64 Pannenberg, Anthropologie 353. Über diesen Ausgangspunkt besteht heute weitgehend Einverständnis, vgl. auch oben 1.3 in dieser Arbeit. 65 Pannenberg, Anthropologie 353, Anm. 141, im Anschluß an W. Kamlah. 66 Pannenberg, Anthropologie 354 und 355. 67 Pannenberg, Anthropologie 354. 68 Pannenberg, Anthropologie 355. 69 Pannenberg, Anthropologie 355f. „Die Einheit des Ich als Subjekt also ist für die Handlung grundlegend. Die Handlung ist überhaupt der einzige Lebensbereich, für den der Begriff des Subjekts zuständig und unentbehrlich ist“ (356). 151

ziehung in das Leben Gottes zur Teilhabe an seiner ewigen Herrlichkeit. Damit wird<br />

sowohl die Differenz des ewigen Gottes von der Zeitlichkeit der Geschöpfe als auch die<br />

Bewegung ihrer Einbeziehung in die ewige Gegenwart Gottes zum Ausdruck gebracht. 57<br />

Aus der Perspektive der Zeit gewinnt die vollendete Ewigkeit als Zukunft der erstrebten<br />

Vollendung Bedeutung. „Die Zukunft wird damit konstitutiv für das Wesen der Zeit,<br />

weil nur von ihr her dem Zeitlichen jene Ganzheit zuteil werden kann, die die Einheit<br />

und Kontinuität des Prozesses der Zeit ermöglicht.“ 58<br />

Mit dem oben 59 skizzierten Gedanken der Antizipation und Prolepse gelingt es Pannenberg,<br />

diese Vollendung der Ganzheit des Lebens, anders gesprochen: das Heil schon in<br />

der Zeit prinzipiell erfahrbar erscheinen zu lassen. Die in der christlichen Tradition oftmals<br />

vorherrschende Orientierung an der Zukunft des Heils hat diese proleptische<br />

Struktur mit ihrer Hervorhebung der Gegenwart weithin übersehen. Pannenberg entwickelt<br />

von seinem beschriebenen Zeitverständnis her, das sowohl an der Ewigkeit<br />

Gottes als auch an der Bewegung als Konstitutionsbedingungen für Zeit orientiert ist,<br />

ein Verständnis der Gottesherrschaft, in deren Zukunft Zeit und Ewigkeit sich zusammenschließen.<br />

„In ihr [der Zukunft der Gottesherrschaft, KFG] schließt die Ewigkeit<br />

sich mit der Zeit zusammen. Sie ist der Ort der Ewigkeit selbst in der Zeit, der Ort Gottes<br />

in seinem Verhältnis zur Welt, Ausgangspunkt seines Handelns <strong>im</strong> Anbruch seiner<br />

Zukunft für seine Geschöpfe, Quelle der Kraftwirkungen seines Geistes.“ 60 Während<br />

aber für Plotin „das Suchen nach dem zukünftig Ganzen ein leerer Wahn in der Endlosigkeit<br />

des Fortgangs der Zeit“ blieb, ermöglichte Augustin durch die Entdeckung des<br />

Phänomens der zeitüberbrückenden Gegenwart eine „gebrochene Analogie menschlichen<br />

Zeiterlebens zur s<strong>im</strong>ultanen Gegenwart der Ewigkeit“. 61 Am Beispiel des Hörens<br />

von Melodien wies Augustin darauf hin, daß wir durch Erinnerung und Erwartung Vergangenes<br />

und Zukünftiges uns gegenwärtig halten „in einer Dauer, die dadurch ermöglicht<br />

wird, daß die Aufmerksamkeit (attentio) das unserer Seele Gegenwärtige gleichsam<br />

ausdehnt auf das Vergangene und Künftige“. 62 Dieses Verständnis der Dauer läßt<br />

sich nach Pannenberg mit der Vermittlung von Zeit und Ewigkeit durch die eschatologische<br />

Zukunft der Gottesherrschaft verbinden. „Alle zeitüberbrückende Dauer und alle<br />

Erfahrung solcher Dauer <strong>im</strong> Strom der Zeit kann als Antizipation der eschatologischen<br />

57 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 440f. Diese trinitarische Vermittlung fehlt auch bei<br />

Plotin, der die Differenz von Zeit und Ewigkeit nur mythisch als „Fall“ der Seele aus der ursprünglichen<br />

Einheit beschreiben konnte.<br />

58 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 441. Daß der Übergang der Zeit in die Ewigkeit tatsächlich<br />

Ganzheit, d.h. Teilhabe an Gottes eigenem Leben bedeutet, entscheidet sich nach Pannenberg<br />

<strong>im</strong> Gericht, „in welchem das zeitliche Dasein mit der Ewigkeit Gottes konfrontiert wird. Insofern<br />

die Ewigkeit der Zeit entgegengesetzt ist, hat ihr Verhältnis zur Zeit tatsächlich die Form des<br />

Gerichts“ (Systematische Theologie Bd. 3, 639f). Joach<strong>im</strong> Ringleben, Gottes Sein, Handeln und<br />

Werden, rekonstruiert auf dem Hintergrund der Christologie Pannenbergs das Verhältnis von Zeit<br />

und Ewigkeit folgendermaßen: „Zeit ist zu denken als Sich-Vorauslaufen bzw. -Vorwegsein der<br />

Ewigkeit, und Ewigkeit ist das, was sich in der Zeit, als Zeitlichkeit sich selber voraussetzt. Zeit ist<br />

werden der Ewigkeit zu sich, Ewigkeit das, was in der Zeit sich mit sich zusammenschließt“ (471).<br />

59 2.2.2.<br />

60 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 442.<br />

61 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 442; vgl. auch Systematische Theologie Bd. 3, 606.<br />

62 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 442f sowie Bd. 2, 112; Augustin, Conf. XI, 26,33. Vgl.<br />

auch Kersting, Selbstbewußtsein, in: Zeiterfahrung und Personalität, sowie oben 1.2.2 in dieser Arbeit.<br />

150

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!