Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

sind somit die zwei Seiten der gleichen Medaille. 43 Im Blick auf die Geschichte Gottes mit der Welt und den Menschen kommt dabei dem Jesusgeschehen eine besondere Bedeutung zu. 44 2.5 Zeit Theologische Aussagen über die Zeit müssen sich, wie alle theologische Aussagen, als Implikationen des christlich-jüdischen Traditionszusammenhangs erweisen. Aufgrund der Fundamentalunterscheidung von Gott und Welt sind auch Aussagen über die Zeit in dieser Weise zu differenzieren. Das Verständnis der Zeit der Welt drückt sich in verschiedenen Vorstellungen aus. Das christliche Verständnis der Zeit greift auf das israelitische zurück, das sich wiederum signifikant von außerisraelitischen Verständnissen unterscheidet. Das signifikant Andere ist dabei das geschichtliche Bewußtsein. Pannenberg greift zur Fundierung dieser Aussage auf Ergebnisse der alttestamentlichen Forschung zurück. 45 Nach Hartmut Gese, der die Forschungsergebnisse von M. Eliade, G. v. Rad und W. Eichrodt aufnimmt und weiterführt, besteht die Besonderheit des israelitischen Geschichtsbewußtseins darin, daß die Geschichte von Gottes Verheißungen auf ein Ziel zuläuft und daß der Bund Gottes infolgedessen nicht urbildliches, urzeitliches Ereignis ist, sondern ein historischer Prozeß. Die außerisraelitischen Geschichtsvorstellungen sind demgegenüber einem zyklischen Zeitverständnis verhaftet. Die Zeit Gottes ist eine andere als die Zeit der Welt. Zu den Eigenschaften Gottes gehört seine Unvergänglichkeit. 46 Die Zeit Gottes ist daher als Ewigkeit zu beschreiben. Wenn Gottes Zeit und Existenz als „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Ps 90,2) gedacht wird, dann bedeutet das: „von unvordenklicher Vergangenheit bis in die fernste Zukunft“, denn das Hebräische „besitzt bekanntlich keine andere Bezeichnung für Ewigkeit als die unbegrenzte Dauer, sei es in Richtung auf die Zukunft oder zurück in die Vergangenheit“ 47 . Das bedeutet jedoch nicht, daß Ewigkeit im Alten Testament nur prozessual, als unbegrenzte Zeit gedacht worden wäre. Vielmehr ist jede Zeit vor Gottes Augen, ist jede Zeit ihm gegenwärtig. Das drückt die Vorstellung des Himmels als Wohnung Gottes aus, wenn dabei von der rein räumlichen Vorstellung abstrahiert wird und der Himmel als der Ort vorgestellt wird, an dem „Entscheidungen über das irdische Geschehen getroffen werden“ 48 . Im Neuen Testament finden sich analoge Vorstellungen in der Johannesapokalypse, bei Paulus und bei Markus. 49 Seit Augustin gilt die Zeit als mit der Welt geschaffen. Gott hat die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Welt auch die Zeit geschaffen. 50 Augustin verstand Zeit als abhängig von der (körperlichen) Bewegung, also erst im Zusammenhang der Schöpfung. Augustin hat damit den Bezug der Zeit der Welt 43 Wobei eine Medaille lt. Duden eine Gedenk- oder Schaumünze ohne Geldwert ist. 44 Vgl. Pannenberg, Kerygma und Geschichte (Grundfragen Bd. 1), 89, Anm. 19 45 Vgl. Pannenberg, Heilsgeschehen und Geschichte 23, Anm. 2. 46 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 433. 47 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 434. 48 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 435. 49 Vgl. auch zum Folgenden, Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 435ff. 50 Augustin, Confessiones Lib. XI. 148

zur Ewigkeit Gottes vernachlässigt. Das Spezifikum der Unvergänglichkeit und der Zeitlosigkeit der Ewigkeit findet seine Entsprechung im Platonismus. Dabei stehen aber die Zeit der Welt und die Ewigkeit Gottes unverbunden nebeneinander. Demgegenüber geht Plotin einen Schritt weiter, „indem er den Begriff der Ewigkeit als Gegenwart der Ganzheit des Lebens bestimmte“ 51 . Worauf es hierbei ankommt, ist der Aspekt der Ganzheit, der in einer nur linearen, prozessualen Zeitvorstellung nicht einbezogen werden kann. Weiterhin ist diese Ganzheit konstitutive Voraussetzung für die Möglichkeit der Inbeziehungsetzung der getrennten Zeitmomente unserer Zeiterfahrung. Das Verhältnis zur Ganzheit des Lebens ist allerdings in der Zeit ein anderes als in der Ewigkeit. In der Ewigkeit ist es das „Vollendet-Unendliche im Ganzen“, in der Zeit „das Immer-im-Nacheinander ins Unendliche“. 52 Mit diesem Rekurs auf Plotin gelingt es Pannenberg, Zeit und Ewigkeit nicht als absoluten Gegensatz, sondern als Begründungsverhältnis zu rekonstruieren. 53 Auch in diesem Zusammenhang taucht der Gedanke der Prolepse wieder auf, wenn Pannenberg schreibt: „Mit der eschatologischen Zukunft tritt Gottes Ewigkeit in die Zeit ein, und von dort her ist sie allem Zeitlichen, das dieser Zukunft vorhergeht, schöpferisch gegenwärtig. (…) Auf dem Weg ihrer Geschichte in der Zeit existieren die Dinge und Menschen nur durch Antizipation dessen, was sie im Lichte ihrer letzten Zukunft, des Advents Gottes, sein werden. Auch Gottes Offenbarung in der Geschichte hat die Form einer Antizipation der definitiven Manifestation seiner ewigen und allmächtigen Gottheit im Ereignis der Vollendung aller Zeit und Geschichte.“ 54 Nach Pannenberg ist die Zeit der Geschichte somit in einer doppelten Weise in der Zeit Gottes begründet. Zum einen im Akt der Schöpfung 55 selbst, zum anderen in der Zukunft, dem Advent Gottes, die schöpferisch und antizipatorisch in der Zeit wirksam ist. Die Verbindung der Linearität und damit der Geschichtlichkeit der Zeit mit der Ewigkeit Gottes läßt sich nach Pannenberg aus dem Gottesbegriff entwickeln. In der Trinitätslehre wird Gott verstanden als in sich differenzierte Einheit, die nach Barth auch „ein Vorher und Nachher“ einschließe. 56 Dieses Vorher und Nachher läßt sich zwar nur aus der ökonomischen Trinität erkennen, aber aufgrund der Einsicht in die Identität von ökonomischer und immanenter Trinität ist dieses Vorher und Nachher auch auf die Wirklichkeit Gottes selbst zu übertragen. Die Lehre von der immanenten Trinität begründet nämlich die Vorstellung einer Vielheit in der Lebensganzheit des einen Gottes, die ihm gegenwärtig ist. Und die Lehre vom heilsökonomischen Wirken der trinitarischen Personen begründet das Dasein einer Vielheit von Geschöpfen und ihre Einbe- 51 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 436. 52 Plotin, Enn. III,7,11, zit. nach Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 436. 53 Allerdings läßt sich die Zeit nicht aus einem Begriff der Ewigkeit ableiten, weil jeder Versuch, einen Ursprung der Zeit sich vorzustellen, immer schon Zeit voraussetzen muß. Plotin hat daher den Übergang von der Ewigkeit zur Zeit als Sprung aufgefaßt und diesen als „Fall“ beschrieben; vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 116. 54 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 573. 55 Zur Konstitution von Raum und Zeit in der Schöpfung vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 2, 105ff. 56 Karl Barth, KD II/2, 639f; Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 438. Pannenberg weist darauf hin, daß die Revision der traditionellen Entgegensetzung von Zeit und Ewigkeit von Karl Barth besonders energisch betrieben worden ist, aber z.B. auch von Paul Tillich, der allerdings die trinitätstheologische Begründung vernachlässigt; a.a.O. 440. 149

sind somit die zwei Seiten der gleichen Medaille. 43 Im Blick auf die <strong>Geschichte</strong> Gottes<br />

mit der Welt und den Menschen kommt dabei dem Jesusgeschehen eine besondere Bedeutung<br />

zu. 44<br />

2.5 Zeit<br />

Theologische Aussagen über die Zeit müssen sich, wie alle theologische Aussagen, als<br />

Implikationen des christlich-jüdischen Traditionszusammenhangs erweisen. Aufgrund<br />

der Fundamentalunterscheidung von Gott und Welt sind auch Aussagen über die Zeit in<br />

dieser Weise zu differenzieren.<br />

Das Verständnis der Zeit der Welt drückt sich in verschiedenen Vorstellungen aus. Das<br />

christliche Verständnis der Zeit greift auf das israelitische zurück, das sich wiederum<br />

signifikant von außerisraelitischen Verständnissen unterscheidet. Das signifikant Andere<br />

ist dabei das geschichtliche Bewußtsein. Pannenberg greift zur Fundierung dieser Aussage<br />

auf Ergebnisse der alttestamentlichen Forschung zurück. 45 Nach Hartmut Gese, der<br />

die Forschungsergebnisse von M. Eliade, G. v. Rad und W. Eichrodt aufn<strong>im</strong>mt und<br />

weiterführt, besteht die Besonderheit des israelitischen Geschichtsbewußtseins darin,<br />

daß die <strong>Geschichte</strong> von Gottes Verheißungen auf ein Ziel zuläuft und daß der Bund<br />

Gottes infolgedessen nicht urbildliches, urzeitliches Ereignis ist, sondern ein historischer<br />

Prozeß. Die außerisraelitischen Geschichtsvorstellungen sind demgegenüber<br />

einem zyklischen Zeitverständnis verhaftet.<br />

Die Zeit Gottes ist eine andere als die Zeit der Welt. Zu den Eigenschaften Gottes gehört<br />

seine Unvergänglichkeit. 46 Die Zeit Gottes ist daher als Ewigkeit zu beschreiben. Wenn<br />

Gottes Zeit und Existenz als „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Ps 90,2) gedacht wird, dann<br />

bedeutet das: „von unvordenklicher Vergangenheit bis in die fernste Zukunft“, denn das<br />

Hebräische „besitzt bekanntlich keine andere Bezeichnung für Ewigkeit als die unbegrenzte<br />

Dauer, sei es in Richtung auf die Zukunft oder zurück in die Vergangenheit“ 47 .<br />

Das bedeutet jedoch nicht, daß Ewigkeit <strong>im</strong> Alten Testament nur prozessual, als unbegrenzte<br />

Zeit gedacht worden wäre. Vielmehr ist jede Zeit vor Gottes Augen, ist jede Zeit<br />

ihm gegenwärtig. Das drückt die Vorstellung des H<strong>im</strong>mels als Wohnung Gottes aus,<br />

wenn dabei von der rein räumlichen Vorstellung abstrahiert wird und der H<strong>im</strong>mel als<br />

der Ort vorgestellt wird, an dem „Entscheidungen über das irdische Geschehen getroffen<br />

werden“ 48 . Im Neuen Testament finden sich analoge Vorstellungen in der Johannesapokalypse,<br />

bei Paulus und bei Markus. 49 Seit Augustin gilt die Zeit als mit der Welt<br />

geschaffen. Gott hat die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Welt auch die Zeit geschaffen.<br />

50 Augustin verstand Zeit als abhängig von der (körperlichen) Bewegung, also<br />

erst <strong>im</strong> Zusammenhang der Schöpfung. Augustin hat damit den Bezug der Zeit der Welt<br />

43 Wobei eine Medaille lt. Duden eine Gedenk- oder Schaumünze ohne Geldwert ist.<br />

44 Vgl. Pannenberg, Kerygma und <strong>Geschichte</strong> (Grundfragen Bd. 1), 89, Anm. 19<br />

45 Vgl. Pannenberg, Heilsgeschehen und <strong>Geschichte</strong> 23, Anm. 2.<br />

46 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 433.<br />

47 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 434.<br />

48 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 435.<br />

49 Vgl. auch zum Folgenden, Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 1, 435ff.<br />

50 Augustin, Confessiones Lib. XI.<br />

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