Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

02.12.2012 Aufrufe

Menschheit ist ein biologischer Gattungsbegriff, der den Sachverhalt, daß immer nur konkrete Menschen Subjekte sind, unterschlägt. Der „Gattungsbegriff der Menschheit erfüllt nicht die Bedingungen, die es erlauben, von einem handelnden Subjekt zu sprechen“ 33 . Die Menschheit kann also nicht Subjekt der Geschichte sein, wohl aber ist sie Thema aller Geschichte. Auch den einzelnen Menschen als handelndes Subjekt der Geschichte zu betrachten ist nach Pannenberg nicht möglich, denn diese Ansicht ist letztlich ein „Surrogat für den in der Geschichte handelnden Gott“ 34 . Die Vernachlässigung des Handelns Gottes als Bezugspunkt der Geschichte tritt Gott aber zu nahe, weil sie die Macht Gottes über seine Schöpfung verletzt. „Man kann sich auf das Konzept einer autonomen Menschheitsgeschichte oder Weltgeschichte gar nicht einlassen ohne den biblischen Gott schon preisgegeben und auf die Rolle eines mehr oder weniger ohnmächtigen Zuschauers oder bestenfalls eines manichäischen Gegengottes reduziert zu haben.“ 35 Damit wird das Programm einer Theologie der Geschichte formuliert, an dem eine Reflexion auf die Bedingungen und Implikationen theologischer Rede von Geschichte nicht vorübergehen kann. 2.3.2 Mensch Neben Gott muß auch der Mensch als Subjekt der Geschichte thematisiert werden. Hier geht Pannenberg im Anschluß an Plessner, Gehlen und Portmann vom Menschen als exzentrischem und weltoffenem Wesen aus. Pannenberg bestimmt diese Offenheit letztlich als Gottoffenheit. 36 Dabei bedarf der Mensch, wie alle Geschöpfe, der „Zeit als Daseinsform“, um ihr Leben auf die Bestimmung hin gestalten zu können, die Gott ihnen gegeben hat. 37 Aussagen über den Menschen werden von Anthropologie und Geschichtsphilosophie in unterschiedlicher, sich letztlich widersprechender Hinsicht gemacht. Anthropologie fragt nach dem Wesen des Menschen, nach der immer gleichen Natur des Menschen, während Geschichtsphilosophie „den Prozeß seines Werdens auf seine ‚Bestimmung‘ hin thematisiert“ 38 . Wenn man allerdings von einer „zu allen Zeiten gleichen, allgemeinen Wesensnatur des Menschen ausgeht, bleibt der Geschichte nur untergeordnete Bedeutung für die Erkenntnis des Menschen“ 39 . Nipperdey stellte allerdings heraus, „daß auch anthropologische Strukturen geschichtlich wandelbar sind“ 40 . Pannenberg stellt fest, daß der „Grund solcher Veränderlichkeit (…) letztlich in der Exzentrizität des 33 Pannenberg, Weltgeschichte und Heilsgeschichte (in: PH 5, 307–323) 311; Pannenberg nimmt dabei Gedanken von Alfred Heuss, Zur Theorie der Weltgeschichte, 1968, auf. 34 Pannenberg, Weltgeschichte und Heilsgeschichte (PH 5) 311. 35 Pannenberg, Gott der Geschichte (KuD 23) 80. 36 Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen Bd. 2, München 1979, bezeichnet diesen Gedanken als eine „kühne Behauptung“. 37 Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 625. Vgl. Bd. 2, 117, wo auf die Selbständigkeit der Geschöpfe abgehoben wird; Bd. 2, 311 weist Pannenberg darauf hin, daß den dem Prozeß der Zeit unterworfenen Geschöpfen die Ganzheit des Daseins nicht erreichbar ist. 38 Wolfhart Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 474. 39 Pannenberg, Anthropologie 475. 40 Thomas Nipperdey, Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft, in: G. Schulz (Hg.), Geschichte heute – Positionen, Tendenzen, Probleme, 1973, 225–255, hier 227 (zit. nach Pannenberg, Anthropologie 476). 146

Menschen liegen“ dürfte, „die ihn dazu befähigt, sich vom unmittelbar Gegebenen zu distanzieren“ 41 . Im Verbund führen diese beiden Voraussetzungen dazu, daß die Einheit der Wirklichkeit und damit die Einheit der Geschichte von Gott her konstituiert ist und vom Menschen durch die Offenbarung Gottes als Einheit erkannt werden kann. Die Einheit der Geschichte bezieht ihr Ende in sich mit ein. Dieses Ende ist aber nur in dem Sinne anzusprechen, daß es sich in dem Ereignis der Auferweckung als singuläres Ereignis in der Geschichte vorweg ereignet hat. In dieser Prolepse des Endes wird das Ende der Geschichte antizipiert. 2.4 Ereignis und Struktur Die für die Geschichte grundlegende Struktur ist bei Pannenberg der lineare Prozeß auf die Zukunft Gottes hin. Dieser geschichtliche Prozeß ergibt sich nach Pannenberg zwingend aus dem christlich-jüdischen Gottesgedanken und dem darin implizierten Zeitverständnis, das sich von einem zirkulären oder mythischen Zeitverständnis unterscheidet. Erkennbar wird dieser zielgerichtete Prozeß durch die Geschichte des Handelns Gottes in der Geschichte Israels, vor allem aber durch das entscheidende Ereignis der Geschichte, das sich im Geschick des Jesus von Nazareth vollzieht. In diesem Ereignis wird das Ende, der telos der Geschichte vorweggenommen bzw. vorweg dargestellt. Das Ganze der Geschichte erschließt sich aus der Verschränkung von Ereignis und Struktur. Die Struktur, Geschichte als Offenbarung, ermöglicht das Ereignis. Das Ereignis, die Prolepse des Heils, erschließt die Struktur. Mit diesem Gedankengang vermeidet Pannenberg die in der geschichtsphilosophischen Diskussion auftauchende Dichotomie von Ereignis und Struktur. Der Ereignischarakter der Offenbarung Gottes als Geschichte prägt die Struktur, und umgekehrt ermöglicht die Struktur der Offenbarung als Geschichte die erschließende Kraft des Ereignisses. Die Verbindung von Ereignis und Struktur ist dabei in analoger Weise vorzustellen wie die Verbindung von Zeit und Ewigkeit. Ein singuläres, raumzeitlich datierbares Ereignis bekommt seine Bedeutung und seinen Sinn für die Geschichte dadurch, daß es sich der der Geschichte insgesamt Sinn verleihenden Struktur einschreibt bzw. durch Interpretation eingeschrieben wird und dadurch die Struktur im Ereignis sichtbar wird. In der Struktur ist zum einen die Bedeutung des singulären Ereignisses für sich, aber auch für die Struktur enthalten. Zum anderen wird die Struktur durch ein singuläres Ereignis, aber auch durch die strukturbildende Kraft des Zusammenhangs vieler bzw. aller bekannten, im theologischen Sinn offenbarenden Ereignisse, offenbar. Ereignis und Struktur bedingen und erschließen sich somit gegenseitig. In der Struktur wird das Ereignis gleichsam aufgehoben, die Struktur wird im Ereignis gegenwärtig. 42 Die antizipatorische Erkenntnis und Realität des Heils wird durch ein proleptisches Ereignis in Kraft gesetzt, umgekehrt wird die Prolepse des Heils erst durch die Möglichkeit der Antizipation erkennbar. Prolepse und Antizipation 41 Pannenberg, Anthropologie 476. Dabei spielen auch die Handlungsmöglichkeit und die Sprachfähigkeit des Menschen eine Rolle. Vgl. dazu unten 2.2.6 und 2.2.7. 42 Struktur und Ereignis verhalten sich hier gewissermaßen wie These und Antithese in der Hegelschen Dialektik. 147

Menschen liegen“ dürfte, „die ihn dazu befähigt, sich vom unmittelbar Gegebenen zu<br />

distanzieren“ 41 .<br />

Im Verbund führen diese beiden Voraussetzungen dazu, daß die Einheit der Wirklichkeit<br />

und damit die Einheit der <strong>Geschichte</strong> von Gott her konstituiert ist und vom Menschen<br />

durch die Offenbarung Gottes als Einheit erkannt werden kann. Die Einheit der<br />

<strong>Geschichte</strong> bezieht ihr Ende in sich mit ein. Dieses Ende ist aber nur in dem Sinne anzusprechen,<br />

daß es sich in dem Ereignis der Auferweckung als singuläres Ereignis in der<br />

<strong>Geschichte</strong> vorweg ereignet hat. In dieser Prolepse des Endes wird das Ende der <strong>Geschichte</strong><br />

antizipiert.<br />

2.4 Ereignis und Struktur<br />

Die für die <strong>Geschichte</strong> grundlegende Struktur ist bei Pannenberg der lineare Prozeß auf<br />

die Zukunft Gottes hin. Dieser geschichtliche Prozeß ergibt sich nach Pannenberg zwingend<br />

aus dem christlich-jüdischen Gottesgedanken und dem darin <strong>im</strong>plizierten Zeitverständnis,<br />

das sich von einem zirkulären oder mythischen Zeitverständnis unterscheidet.<br />

Erkennbar wird dieser zielgerichtete Prozeß durch die <strong>Geschichte</strong> des Handelns Gottes<br />

in der <strong>Geschichte</strong> Israels, vor allem aber durch das entscheidende Ereignis der <strong>Geschichte</strong>,<br />

das sich <strong>im</strong> Geschick des Jesus von Nazareth vollzieht. In diesem Ereignis<br />

wird das Ende, der telos der <strong>Geschichte</strong> vorweggenommen bzw. vorweg dargestellt. Das<br />

Ganze der <strong>Geschichte</strong> erschließt sich aus der Verschränkung von Ereignis und Struktur.<br />

Die Struktur, <strong>Geschichte</strong> als Offenbarung, ermöglicht das Ereignis. Das Ereignis, die<br />

Prolepse des Heils, erschließt die Struktur. Mit diesem Gedankengang vermeidet Pannenberg<br />

die in der geschichtsphilosophischen Diskussion auftauchende Dichotomie von<br />

Ereignis und Struktur. Der Ereignischarakter der Offenbarung Gottes als <strong>Geschichte</strong><br />

prägt die Struktur, und umgekehrt ermöglicht die Struktur der Offenbarung als <strong>Geschichte</strong><br />

die erschließende Kraft des Ereignisses. Die Verbindung von Ereignis und<br />

Struktur ist dabei in analoger Weise vorzustellen wie die Verbindung von Zeit und<br />

Ewigkeit. Ein singuläres, raumzeitlich datierbares Ereignis bekommt seine Bedeutung<br />

und seinen Sinn für die <strong>Geschichte</strong> dadurch, daß es sich der der <strong>Geschichte</strong> insgesamt<br />

Sinn verleihenden Struktur einschreibt bzw. durch Interpretation eingeschrieben wird<br />

und dadurch die Struktur <strong>im</strong> Ereignis sichtbar wird. In der Struktur ist zum einen die<br />

Bedeutung des singulären Ereignisses für sich, aber auch für die Struktur enthalten. Zum<br />

anderen wird die Struktur durch ein singuläres Ereignis, aber auch durch die strukturbildende<br />

Kraft des Zusammenhangs vieler bzw. aller bekannten, <strong>im</strong> theologischen Sinn<br />

offenbarenden Ereignisse, offenbar. Ereignis und Struktur bedingen und erschließen sich<br />

somit gegenseitig. In der Struktur wird das Ereignis gleichsam aufgehoben, die Struktur<br />

wird <strong>im</strong> Ereignis gegenwärtig. 42 Die antizipatorische Erkenntnis und Realität des Heils<br />

wird durch ein proleptisches Ereignis in Kraft gesetzt, umgekehrt wird die Prolepse des<br />

Heils erst durch die Möglichkeit der Antizipation erkennbar. Prolepse und Antizipation<br />

41 Pannenberg, Anthropologie 476. Dabei spielen auch die Handlungsmöglichkeit und die Sprachfähigkeit<br />

des Menschen eine Rolle. Vgl. dazu unten 2.2.6 und 2.2.7.<br />

42 Struktur und Ereignis verhalten sich hier gewissermaßen wie These und Antithese in der Hegelschen<br />

Dialektik.<br />

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