Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Bedeutung und Geschehenszusammenhang erschließen sich gegenseitig. Pannenberg<br />
ergänzt deshalb diesen Gedanken mit einer Überlegung zum Ganzen der <strong>Geschichte</strong>.<br />
Demnach erschließt sich der Sinn der <strong>Geschichte</strong> als ganzes sowie jedes einzelnen Ereignisses<br />
erst vom Ende der <strong>Geschichte</strong> her. Dies ergibt sich aus dem Gedanken, daß<br />
<strong>Geschichte</strong> ein lebendiger Prozeß der Überlieferung ist. Wenn <strong>Geschichte</strong> durch Interpretation<br />
konstituiert wird, dann kann die Strittigkeit dieser Interpretationen erst am<br />
Ende der <strong>Geschichte</strong> entschieden werden.<br />
2.2.2.2 Antizipation und Prolepse<br />
Um innerhalb der <strong>Geschichte</strong> von Sinn und Bedeutung reden zu können, muß dieses<br />
Ende antizipiert werden. Nach Pannenberg weist daher jede Interpretation eine proleptische<br />
Struktur auf. „Jede behauptete Bedeutung beruht auf einem Vorgriff, auf einer<br />
Antizipation jener letzten Zukunft, in deren Licht die wahre Bedeutung jedes einzelnen<br />
Ereignisses erst und gültig aussagbar wäre.“ 21 Abgesehen davon, daß Pannenberg von<br />
vornherein von einem Sinn in der <strong>Geschichte</strong> und den einzelnen Ereignissen ausgeht,<br />
was in philosophischer Sicht <strong>im</strong>merhin umstritten ist, 22 muß es geschichtliche Ereignisse<br />
geben, die den letzten Sinn proleptisch erschließen, wenn überhaupt von einem<br />
derartigen universalen Sinn innerhalb der <strong>Geschichte</strong> gesprochen werden können soll.<br />
Für den christlichen Glauben ist dieses Ereignis das Christusgeschehen. Damit diesem<br />
Ereignis aber seine erschließende Kraft zukommen kann, muß es historisch verifiziert<br />
werden können. Pannenberg behauptet nun: „Im Unterschied zu besonderen Erscheinungen<br />
der Gottheit ist die Geschichtsoffenbarung jedem, der Augen hat zu sehen, offen.“<br />
Gott offenbart sich indirekt, „auf der Ebene des menschlich Sichtbaren“. Die Offenbarungserkenntnis<br />
ist nicht übernatürlich und bestätigt nicht nur, was Menschen kraft<br />
ihrer Vernunft schon wissen. Andererseits „ist der Heilige Geist nicht die Bedingung,<br />
ohne die das Christusgeschehen nicht als Offenbarung erkannt werden könnte“ 23 . Damit<br />
wird das historische Erkennen zum Kriterium für die Offenbarungserkenntnis. Erkennen<br />
bezieht sich dabei nicht auf bruta facta, sondern auf Ereignisse in ihrem überlieferungsgeschichtlichen<br />
Kontext.<br />
thematisiert und das Jesusgeschehen als eines qualifiziert, durch das „das Ganze allererst als solches<br />
konstituiert wird, während alle anderen Begebenheiten nur durch ihren Bezug auf dieses besondere<br />
Geschehen einen Bezug zum Ganzen der Wirklichkeit haben“.<br />
21 Pannenberg, Glaube und Vernunft, in: Grundfragen Bd. 1, 248. Sachlich entsprechend formuliert<br />
Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 573: „Auf dem Weg ihrer <strong>Geschichte</strong> in der Zeit existieren<br />
die Dinge und Menschen nur durch Antizipation dessen, was sie <strong>im</strong> Lichte ihrer letzten Zukunft,<br />
des Advents Gottes, sein werden.“ Der Begriff der Antizipation, dessen Relevanz sich aus der<br />
Zukunftsbezogenheit der Verkündigung des Gottesreiches durch Jesus ergibt, gewinnt dogmatische<br />
Bedeutung dadurch, daß die Exegese „als wesentliche Komponente des Begründungszusammenhangs<br />
christlicher Dogmatik fungiert“, so Lothar Kugelmann, Antizipation. Eine begriffsgeschichtliche<br />
Untersuchung, Göttingen 1986, 275.<br />
22 Vgl. Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart 1963 3 , 175: „Die menschliche <strong>Geschichte</strong><br />
ist eine Erfahrung dauernden Scheiterns“. Geschichtliche Ereignisse enthalten darum „nicht<br />
den mindesten Hinweis auf einen umfassenden letzten Sinn“.<br />
23 Die Zitate aus W. Pannenberg, Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung, in: Offenbarung<br />
als <strong>Geschichte</strong>, hg. v. W. Pannenberg, Göttingen 1982 5 , 91–114, hier 98 und 100. Vgl. dazu Paul<br />
Althaus, Offenbarung als <strong>Geschichte</strong> und Glaube. Bemerkungen zu Wolfhart Pannenbergs Begriff<br />
der Offenbarung, in: ThLZ 87/1962, 321–330.<br />
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