Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Fall auch das Ende der Philosophie. Es kann für die Geschichtsphilosophie per definitionem<br />
keinen Abbruch der <strong>Geschichte</strong> geben, weil sie dann ihres Gegenstandes verlustig<br />
würde. Der philosophisch konsequent gedachte Abbruch der <strong>Geschichte</strong> bedeutete<br />
auch das Ende der Philosophie. Dennoch muß katastrophisches Denken aus der Geschichtsphilosophie<br />
nicht ausgeschlossen werden. Es erhält jedoch notwendig den Charakter<br />
des Vorläufigen, womit wir bei der Verknüpfung der Vorstellung der Frist mit der<br />
Geschichtsphilosophie wären.<br />
2.2.1.3 Das Moratorium und die Geschichtsphilosophie<br />
Kritiker der Vorstellung einer Vollendung der <strong>Geschichte</strong> unter universalhistorischem<br />
Aspekt verzichten auf die Konstruktion einer einheitlichen <strong>Geschichte</strong>. J.-F. Lyotard<br />
drückt das aus mit seinem Verzicht auf „große Erzählungen“ 20 , O. Marquard mit seinem<br />
„Lob der Buntheit“ und seinem Plädoyer für eine „Multiversalgeschichte“ statt einer<br />
Universalgeschichte 21 , H. Lübbe mit seinen Hinweisen auf die museale Gegenwartskultur,<br />
die der Vergewisserung herkunftsbest<strong>im</strong>mter Identitäten dient. 22 <strong>Geschichte</strong> als<br />
Einheit ist an ihr Ende gekommen, aber als Möglichkeit ist sie gegenwärtig. <strong>Geschichte</strong><br />
wird dabei als etwas beständig Vorläufiges verstanden, das Chancen und Gefahren in<br />
sich birgt. <strong>Geschichte</strong> ist ein bis auf weiteres gewährtes Moratorium.<br />
2.2.2 Erkenntnistheoretische Aspekte<br />
2.2.2.1 Vollendung unter erkenntnistheoretischem Aspekt<br />
Um Vollendung der <strong>Geschichte</strong> <strong>im</strong> traditionellen Sinn denken zu können, muß ein universales<br />
Geschichtskonzept vorausgesetzt werden. Den Überblick über die <strong>Geschichte</strong><br />
kann man nur vom Ende der <strong>Geschichte</strong> oder von einem Standpunkt außerhalb der <strong>Geschichte</strong><br />
haben. Das setzt ein starkes, universales Subjekt als Gegenüber und Gestalter<br />
der <strong>Geschichte</strong> voraus. Der Begriff der Antizipation scheint erkenntnistheoretisch eine<br />
Möglichkeit zu sein, das Ende der <strong>Geschichte</strong> in diesem Sinn denkbar zu machen. 23<br />
2.2.2.2 Abbruch unter erkenntnistheoretischem Aspekt<br />
Erkenntnistheoretisch erfolgte der Bruch mit Universalkonzepten der <strong>Geschichte</strong> aus der<br />
Einsicht heraus, daß jedes Erkennen selbst geschichtlich ist. In der Geschichtswissenschaft<br />
ergab sich die Entwicklung weg von Universalgeschichten hin zu detaillierteren<br />
Fragestellungen. Die teilweise katastrophischen Perspektiven, die sich für die <strong>Geschichte</strong><br />
aus der historischen Arbeit ergaben, verstärkten noch die Kritik an Universalkonzepten.<br />
Von der <strong>Geschichte</strong> ist kein Heil zu erwarten, sie besteht aus einem<br />
„Trümmerhaufen“ (Benjamin). Es konnte also nur noch um <strong>Geschichte</strong>n en detail ge-<br />
20<br />
21<br />
Vgl. Lyotard, Das postmoderne Wissen.<br />
Odo Marquard, Universalgeschichte und Multiversalgeschichte, in: ders., Apologie des Zufälligen,<br />
Stuttgart 1986, 54–75.<br />
22<br />
Hermann Lübbe, Historismus oder die Erfahrung der Kontingenz religiöser Kultur, in: Wahrheitsansprüche<br />
der Religionen heute, hg. v. W. Oelmüller, Paderborn 1986 (Kolloquien zur Gegenwartsphilosophie;<br />
Religion und Philosophie Band 2).<br />
23<br />
Vgl. dazu Kugelmann, Antizipation.<br />
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