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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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ganisiert und darin für die Gegenwart fruchtbar wird, hängt von Vorentscheidungen ab,<br />

die den Charakter von Gründen und nicht von Ursachen haben. 55<br />

3. Bei der Organisation der Vergangenheit durch Sprache ist diese genauer zu verstehen<br />

als das „Zwischen“ zwischen Impression und Interpretation. Der sinnliche Zugang zu<br />

einer Außenwelt wird als solcher erst bewußt, wenn er in und mit der Sprache gewußt<br />

wird. Das Selbstbewußtsein des Menschen als auch das Bewußtsein einer Außenwelt ist<br />

sprachlich vermittelt. Dieser sprachliche Vorgang der Vermittlung ist passiv und aktiv<br />

zugleich, er ist rezeptiv und produktiv.<br />

4. Im Blick auf die <strong>Geschichte</strong> läßt sich dieser Vermittlungsvorgang in drei Abstraktionsstufen<br />

beschreiben. Diese Abstraktionsstufen sind in einem hermeneutischen Zirkel<br />

gegenseitig bedingt. Auf der ersten Stufe werden Wahrnehmungen von Veränderungen<br />

sich selbst oder anderen erzählt. Es ist dies die elementare Ebene der Erzählung. Auf<br />

einer zweiten Stufe werden diese Erzählungen als <strong>Geschichte</strong>n zueinander in Beziehung<br />

gesetzt. Sie werden geordnet, zusammengefaßt, systematisiert, interpretiert, einander<br />

angepaßt oder ausgeschieden. Auf der dritten Stufe wird auch dieser Vorgang in eine<br />

Erzählung gefaßt, die als Geschichtsphilosophie oder Metaerzählung bezeichnet werden<br />

kann. 56<br />

5. Die Sprache tut den Erfahrungen und Impressionen dann Gewalt an, wenn sie auf der<br />

dritten Stufe alternative Lesarten nicht mehr erlaubt. Sprache wird dann totalitär, ihr<br />

rezeptiver Charakter geht zugunsten des produktiven Charakters verloren. Wenn dies<br />

eintritt, verfehlt Sprache ihre ontologische Funktion, die Erkenntnis des Anderen zu ermöglichen.<br />

Statt dessen schließt sie das Andere aus. <strong>Geschichte</strong> als sprachliche Konstruktion<br />

muß darum die Grenzen der Sprache und damit ihre eigenen beachten, will sie<br />

sich nicht selbst ein Ende bereiten.<br />

55 Danto, Analytische Philosophie, unterscheidet zwischen Ursachen und Gründen. „Die Tatsache, daß<br />

es Ursachen für einen Glauben geben müsse, ist ganz offensichtlich unabhängig von der Frage, ob<br />

dieser Glaube zureichend begründet ist, und diese Frage ist entscheidbar, trotz eingestandener<br />

Unkenntnis der Ursachen, die auf den Menschen eingewirkt haben mögen, der sich zu jenem<br />

bekennt“ (162).<br />

56 Die Beziehung von Sprache und <strong>Geschichte</strong> muß in verschiedener Hinsicht expliziert werden. Ich<br />

möchte dies unter den Aspekten ‚Sprache als Voraussetzung von <strong>Geschichte</strong>‘, ‚Sprache als Form von<br />

<strong>Geschichte</strong>‘ und ‚Sprache als Gestaltung von <strong>Geschichte</strong>‘ tun. Diese Unterscheidungen schließen sich<br />

locker an Differenzierungen an, die Austin, Zur Theorie der Sprechakte, eingeführt hat und transformiert<br />

diese. Sprache und <strong>Geschichte</strong> lassen sich in gewisser Weise einander zuordnen wie Sprecher<br />

und Hörer in der Sprechakttheorie. Dabei entspricht die Zuordnung ‚Sprache als Voraussetzung von<br />

<strong>Geschichte</strong>‘ der Lokution, ‚Sprache als Form von <strong>Geschichte</strong>‘ der Illokution und ‚Sprache als Gestaltung<br />

von <strong>Geschichte</strong>‘ der Perlokution.<br />

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