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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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6.3.2 Rezeption und Produktion<br />

Der performative Aspekt von Sprache sowie das Verständnis von Sprache als Handeln<br />

legen es nahe, <strong>im</strong> Blick auf die <strong>Geschichte</strong> den produktiven Charakter der Sprache zu<br />

betonen. Sprache macht <strong>Geschichte</strong>. Zugleich vermag Sprache Welt und <strong>Geschichte</strong> zu<br />

transzendieren und somit einen Gesamtzusammenhang zu entwickeln. Die Geschichtsphilosophien<br />

des deutschen Idealismus, aber auch alle anderen Gesamtanschauungen<br />

der Welt verdanken sich diesem produktiven Charakter der Sprache. Die Möglichkeiten<br />

der Sprache erlauben aber nicht nur ein „Daß“ der Entwicklung von Gesamtanschauungen,<br />

sondern in ihrer Vielgestaltigkeit und Wandelbarkeit kann auch das „Wie“ dieser<br />

Geschichtserzählungen variieren. Die Sprache des Mythos ist eine andere als die der<br />

Geschichtsphilosophie. Dennoch sind diese Unterschiede nicht gänzlich kontingent; sie<br />

sind geschichtlich in dem Sinne, daß sie an Raum und Zeit gebunden sind, daß Geschehen<br />

und der Geist einer Zeit sich seine Sprache und Gestalt zur Formulierung seiner <strong>Geschichte</strong><br />

und Anschauung sucht. Dem produktiven Aspekt der Sprache korrespondiert<br />

darum ein rezeptiver. Der Sprache ist ihr „Material“ über die unmittelbaren Impressionen<br />

<strong>im</strong>mer schon vorgegeben; sie ist ein Reflex. Durch den sprachlichen Zugriff auf<br />

diese Impressionen werden diese aber auch gestaltet. Die Dialektik von Rezeption und<br />

Produktion betrifft nicht nur die Sprache, sondern auch die Sprechenden. Sie verwenden<br />

<strong>im</strong>mer schon eine Sprache, die sie vorfinden; <strong>im</strong> Gebrauch dieser Sprache aber gestalten<br />

sie diese auch, finden und erfinden neue Ausdrücke und Ausdrucksformen.<br />

Auf die <strong>Geschichte</strong> angewendet bedeutet dieser Sachverhalt, daß Veränderungen, Ereignisse,<br />

Geschehen der Sprache vorläufig sind. Sie werden <strong>Geschichte</strong> durch ihre sprachliche<br />

Gestaltung, pr<strong>im</strong>är als Erzählung. Die Formulierung von <strong>Geschichte</strong>(n) unterliegt<br />

der Dialektik von Rezeption und Produktion. Und dies sowohl auf der Ebene dessen,<br />

was man als Erfahrung von <strong>Geschichte</strong> bezeichnen könnte, womit ich das Erleben dessen<br />

meine, was in der <strong>Geschichte</strong> dann formuliert und formatiert wird, als auch auf der<br />

Ebene der Formatierung dieser Erfahrungen in der Formulierung von <strong>Geschichte</strong>(n).<br />

6.4 Zusammenfassung<br />

1. Die Überlegungen der Sprach- und Bewußtseinsphilosophie haben gezeigt, daß Sprache<br />

ein anthropologisches Grunddatum ist, das ein Verstehen und Verhalten des Menschen<br />

erst ermöglicht. Sprache hat darin eine philosophisch fundamentale Bedeutung.<br />

Die Überlegungen <strong>im</strong> Blick auf eine ontologische Best<strong>im</strong>mung der Sprache weisen darauf<br />

hin, daß Sprache die Bedingung der Möglichkeit einer Relationsontologie ist. Sie ist<br />

das notwendige Medium, in dem Welt erfahren und gestaltet werden kann.<br />

2. Die Erörterungen der analytischen Geschichtsphilosophie führen zu der Einsicht, daß<br />

die Frage nach der Verifikation von historischen Aussagen von der Frage nach dem Sinn<br />

dieser Aussagen unterschieden werden muß. Weiter wurde deutlich, daß die wesentliche<br />

Funktion von Sätzen über Vergangenheit die Organisation gegenwärtiger Erfahrung ist.<br />

Dabei ist das „Daß“ der Vergangenheit unhintergehbar. „Wie“ Vergangenheit aber or-<br />

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