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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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6.2.3 Postmoderne Sprachkritik<br />

Danto geht in seinem analytischen Zugriff auf die Sprache der <strong>Geschichte</strong> davon aus,<br />

daß der richtige Gebrauch der Sprache <strong>Geschichte</strong> als Organisation von Ereignissen ermöglicht<br />

und setzt dabei eine gewisse Einheit der Sprache voraus. Dieses Vertrauen in<br />

die Kraft der Sprache teilt er mit Jürgen Habermas, der in seiner Theorie kommunikativen<br />

Handelns zumindest den Idealfall gelingender Kommunikation und damit Verstehen<br />

und Gestaltung von Welt anvisiert. Dieses Vertrauen in die Kraft der Sprache ist<br />

aber nicht mehr ungebrochen. Jean-François Lyotard bestreitet gerade die Einheit der<br />

Sprache. In Fortführung von Husserl und Wittgenstein 35 zeigt er auf, daß Sätze als Ereignis<br />

verstanden werden müssen. Lyotard geht damit hinter den Einsatz be<strong>im</strong> Sprachspiel<br />

zurück. Jeder Satz trägt ein Universum mit sich. „Sender und Empfänger werden<br />

<strong>im</strong> Universum, das der Satz darstellt, situiert, genauso wie der Referent des Satzes und<br />

die Bedeutung. So wird <strong>im</strong> Fall eines einfachen kognitiven Satzes etwa der Referent<br />

(Tür) <strong>im</strong> Bezug auf seine Bedeutung (ist offen) situiert. Die Einführung und Ermittlung<br />

dessen, was der Satz darstellt, und ob er der Fall ist, erfordern Benennung (Namen und<br />

Eigennamen), Bezeichnung (raum-zeitliche Lokalisation) und Bedeutung (dem Referenten<br />

wird eine Bedeutung zugesprochen). Beides, die Ermittlung dessen, was der Satz<br />

darstellt und – <strong>im</strong> kognitiven Diskurs – die Ermittlung dessen, was der Fall ist, sind unabschließbar.<br />

Es handelt sich um bisherige Festlegungen, vor allem <strong>im</strong> Blick auf die<br />

möglichen Bedeutungen und die damit gegebene Beschreibung von Namen und Eigennamen.<br />

Im Blick auf die Ermittlung, ob etwas der Fall ist, geht es um bisher bewährte<br />

Ermittlung und die daraus ableitbare Zuversicht.“ 36 Sätze müssen verkettet werden. Das<br />

Wie dieser Verkettung ist offen. Die Verkettung von Sätzen führt zu unterschiedlichen<br />

Diskursarten. Diskursart meint bei Lyotard den Verwendungszusammenhang von Sätzen.<br />

Unterschiedliche Diskursarten haben je spezifische Zwecke, die Sätze unterschiedlicher<br />

Regelsysteme (etwa Argumentieren, Beschreiben, Erzählen, Fragen usw.) miteinander<br />

verknüpfen können. 37 Sätze gewinnen ihre Bedeutung durch die Verwendung in<br />

einer Diskursart. 38 Ein Satz kann in einer Diskursart aber auch deplaziert sein. Weder<br />

für die Verkettung von Sätzen in einer Diskursart noch für die Übergänge zwischen verschiedenen<br />

Diskursarten gibt es eine einheitliche Regel. Zwar sind Konsense über die<br />

Verkettung von Sätzen wie für die Übergänge zwischen den Diskursarten nötig, aber sie<br />

sind vorübergehend. 39 Mit seinem Einsatz be<strong>im</strong> Satz kritisiert Lyotard <strong>im</strong>plizit eine<br />

Sprachphilosophie, die Sprache als ontologische Entität versteht. 40 Mit seinen Hinweisen<br />

auf die Notwendigkeit und Möglichkeit der Verknüpfung n<strong>im</strong>mt er zugleich dem<br />

Vorwurf der Beliebigkeit den Wind aus den Segeln. <strong>Geschichte</strong> als Produkt der Sprache<br />

35 Vgl. dazu Joach<strong>im</strong> Track, Dogmatik als Phänomenologie?, in: MJTh VI. Phänomenologie, hg. v.<br />

Wilfried Härle / Reiner Preul, Marburg 1994, 11–44.<br />

36 J. Track, Dogmatik als Phänomenologie? 31.<br />

37 Jean-François Lyotard, Der Widerstreit, München 1989 2 , 10; Nr. 185: „Die Diskursarten sind<br />

Strategien.“ Vgl. auch Nr. 183, sowie zur Bedeutung von Diskursarten insgesamt ebd. 215ff. Siehe<br />

auch Walter Reese-Schäfer, Lyotard zur Einführung, Hamburg 1989 2 , 60f.<br />

38 „Die Darstellung eines Satzes erfährt eine Best<strong>im</strong>mung durch Gattungen [der französische Ausdruck<br />

genres wird auch mit „Diskursarten“ übersetzt, KFG] nur dann, wenn sie <strong>im</strong> Universum eines anderen<br />

Satzes situiert wird“ (Lyotard, Der Widerstreit Nr. 117).<br />

39 J.-F. Lyotard, Der Widerstreit Nr. 196 u. 217.<br />

40 „Denn man kann beschreiben: Die Sprache ist dies und das, nicht aber zeigen: Und das hier ist die<br />

Sprache. Die Totalität ist nicht vorzeigbar“ (Lyotard, Der Widerstreit Nr. 85).<br />

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