Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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Relation‹: die <strong>Geschichte</strong> interpretiert das Geschehen, der Text der <strong>Geschichte</strong> interpretiert<br />
die <strong>Geschichte</strong>; 3. als Dekodierungsrelation: der Text der <strong>Geschichte</strong> macht die<br />
<strong>Geschichte</strong> sichtbar, die <strong>Geschichte</strong> macht das Geschehen sichtbar.“ 33<br />
Dieses Beziehungssystem als Grundgegebenheit der Erfahrung von <strong>Geschichte</strong>, das sich<br />
selbst wieder nur sprachlich einholen läßt, gibt ein Korrelationsgefüge vor, das auch für<br />
eine Theologie der <strong>Geschichte</strong> Gültigkeit besitzt, sofern sie sich auf Aussagen über die<br />
Vergangenheit bezieht. Zugleich setzt es eine Geschichtstheologie als regionale, kontextuelle<br />
Art des Umgangs mit und der Interpretation von <strong>Geschichte</strong> ins Recht. Zu beschreiben<br />
und zu begründen wären nun die Spezifika einer Geschichtstheologie <strong>im</strong> Gegenüber<br />
zu analytischen oder anderen Geschichtsphilosophien.<br />
6.2.2.2 Sätze über die Zukunft<br />
Die analytische Geschichtsphilosophie lehnt es ab, die D<strong>im</strong>ension der Zukunft in ihre<br />
Überlegungen mit einzubeziehen. Danto gesteht zwar die Möglichkeit zukunfts-bezogener<br />
Prädikate zu, meint aber, daß sie in der Regel in vergangenheits-orientierte oder<br />
tempus-neutrale Prädikate umgewandelt werden könnten. Zukunfts-bezogene Aussagen<br />
würden merkwürdig anmuten, da mit ihnen so über die Zukunft gesprochen würde, wie<br />
man gewöhnlich nur über die Vergangenheit reden würde. 34 Eine analytische Geschichtsphilosophie<br />
kann derartige Prädikate daher nicht zum Gegenstand nehmen, <strong>im</strong><br />
Gegensatz zu substantialistischen Geschichtsphilosophen. Nun mag das <strong>im</strong> Blick auf<br />
Prädikate gelten. Da aber <strong>Geschichte</strong> vom Begriff her zumindest offen für die Zukunft<br />
ist, gilt es, sich über die sprachlichen Möglichkeiten zu vergewissern, die eine zukunftsbezogene<br />
Rede erlauben. Hier lassen sich durchaus Argumente beibringen. Zum einen<br />
kann man darauf verweisen, daß in einem komplexen Zeitverständnis die einfache Linearität<br />
von Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft miteinander verwoben ist, daß in<br />
Verbindung mit dem geschichtlichen Charakter von Erfahrung, Struktur und Handlung<br />
zumindest Prognosen über die Zukunft als möglich gedacht werden müssen. Und faktisch<br />
leben Menschen mit und von solchen Prognosen, Erwartungen und Antizipationen.<br />
Es ist ja gerade eine Eigenart menschlichen Bewußtseins, transzendieren zu können,<br />
also auch Zukunft zu entwerfen. Dabei haben zukunftsbezogene Sätze den Charakter<br />
von Hypothesen, die aber die Bedingung ihrer Bewahrheitung angeben. Ein zukunftsbezogener<br />
Satz wird in t etwa derart geäußert: p wird in t1 der Fall sein. Über die Wahrheit<br />
dieses Satzes kann in t2 entschieden werden, denn dann kann, anhand festzulegender<br />
Kriterien, entschieden werden, ob p in t1 der Fall war. Es geht <strong>im</strong> Blick auf die Wahrheit<br />
bei zukünftigen Sätzen also um eine zukünftige Verifikation. Man kann analog auch das<br />
Kriterien für die Falsifikation angeben.<br />
Davon abgesehen können zukunftsbezogene Sätze, anders als es Danto nahelegt, auch<br />
sinnvoll sein, insofern man vermittels der Sprechakttheorie und verwandter Sprachtheorien<br />
verschiedene Funktionen des Sprechens unterscheiden kann.<br />
33 Karlheinz Stierle, Geschehen, <strong>Geschichte</strong>, Text der <strong>Geschichte</strong>, in: PH 5, 530–534, hier 531.<br />
34 Danto, Analytische Philosophie 127f.<br />
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