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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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die Gesetze vor. „Die Grammatik, d.h. die formale Gesetzmäßigkeit einer Sprache, regiert<br />

über die Semantik, d.h. über den möglichen Bedeutungsgehalt des Gesproche-<br />

nen.“ 28 Da es nun aber durchaus verschiedene „Zeitsprachen“ und kontextuelle Bedingungen<br />

für den Gegenstandsbezug unseres Sprechens gibt, und wenn sich die „Wirklichkeit“<br />

nur innerhalb einer solchen bedeutungsverleihenden Struktur zeigt, dann entsteht<br />

der Eindruck eines gesetzlosen Nebeneinander. Und darin wäre ein neuer historischer<br />

Relativismus begründet.<br />

Dagegen wendet sich nun Karl Acham, der daran festhalten will, „daß eben auch die<br />

subjektiven Situationsdeutungen durch die objektive Soziallage, in welcher sich der<br />

Deutende befindet, best<strong>im</strong>mt sind“ 29 . Er vermutet hinter den empirisch aufzeigbaren<br />

Gründen der Organisation der Vergangenheit „andere bewegende Mächte“ 30 , die sich<br />

aus den gesellschaftlichen Situationen und den daraus erzeugten Interessen in realer<br />

Weise erkennen lassen. Daß hier Ideologiekritik ansetzen kann, ist für Acham kein<br />

Grund, diese Kritik nun selbst unter Ideologieverdacht zu setzen. Die Form dieses Diskurses<br />

bestätigt nun aber wiederum die Analysen Dantos über die Bereiche, in denen<br />

über historische Aussagen sinnvoll gestritten werden kann.<br />

In ähnlicher Richtung, aber in anderer Weise kritisiert auch Ferdinand Fellmann, der<br />

davon ausgeht, daß „der Gegenstand der Geschichtsschreibung nicht in gleicher Weise<br />

durch seine Organisationsformen konstituiert wird, wie das bei den Naturwissenschaften<br />

der Fall ist, sondern daß es der Historiker <strong>im</strong>mer schon mit geformten Material zu tun<br />

hat“ 31 . Die Voraussetzungen und Bedingungen der Sprache des Historikers hätten mit<br />

der Frage nach der Konstitution des historischen Gegenstandes nichts zu tun. Der Weg<br />

über die Sprachanalyse, auch unter Ausweitung auf Sprachhandlungen, führe zu einer<br />

Hypostasierung der Tiefenstrukturen, die als Grammatik der Offenheit der <strong>Geschichte</strong><br />

nicht gerecht zu werden vermögen. 32<br />

Karlheinz Stierle geht über die zweigliedrige Konstitutionsrelation von Geschehen und<br />

Organisation des Geschehens als <strong>Geschichte</strong> hinaus, von der <strong>im</strong> wesentlichen auch<br />

Danto noch ausgeht. Er schlägt vor, Geschehen, <strong>Geschichte</strong> und Text der <strong>Geschichte</strong> als<br />

dreigliedrige Textkonstitutionsrelation in Ansatz zu bringen. „Diese Relation best<strong>im</strong>mt<br />

sich inhaltlich in dreifacher Hinsicht: 1. als Fundierungsrelation: das Geschehen fundiert<br />

die <strong>Geschichte</strong>, die <strong>Geschichte</strong> fundiert den Text der <strong>Geschichte</strong>; 2. als ›hermeneutische<br />

28<br />

Schaeffler, Einführung 256.<br />

29<br />

Karl Acham, Analytische Geschichtsphilosophie. Eine kritische Einführung, Freiburg/München<br />

1974, 133.<br />

30<br />

Acham, Analytische Geschichtsphilosophie 134.<br />

31<br />

Ferdinand Fellmann, Grenzen der Sprachanalyse, in PH 5, 528–530, hier 528.<br />

32<br />

Er meint abschließend 530: „Was die Sprachanalyse zum Begriff der historischen Wirklichkeit beizutragen<br />

hat, scheint mir ungefähr von A.C. Danto geleistet zu sein, und das ist gemessen am Aufwand<br />

analytischen Scharfsinns doch ziemlich enttäuschend. Das kann angesichts der unüberbrückbaren<br />

Trennung von Geschehen und <strong>Geschichte</strong> nicht verwundern. Das Kunststück, eine materiale<br />

Geschichtsphilosophie aus der Sprache der Geschichtsschreibung herauszupressen, wird nie und<br />

n<strong>im</strong>mer gelingen. Es ist daher an der Zeit, vor einer allzu extensiven Auffassung von Sprache zu<br />

warnen. Sprache, auch wenn sie <strong>im</strong> modischen Gewand der Sprachhandlung auftritt, darf nicht zum<br />

wissenschaftlichen Fetisch werden.“<br />

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