Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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02.12.2012 Aufrufe

schaft“ (182). Es ginge also letztlich um Skeptizismus überhaupt, und Danto sieht keine Verpflichtung, sich damit abzugeben. Der Kontrast zwischen Geschichte und Naturwissenschaft hinsichtlich übergreifender Organisationsschemata ist also gar nicht vorhanden. Nun könnte es noch einen Kontrast innerhalb der Geschichte geben, nämlich zwischen Geschichte, die diese Schemata verwendet und Geschichte, die diese nicht verwendet. Dabei stellt sich heraus, daß das Modell: „Hier ist Geschichte als Wirklichkeit, dort Geschichte als Zeugnis“, und Aufgabe des Historikers sei es, erstere mit Mitteln der letzteren zu reproduzieren, falsch ist, weil das nicht gelingen kann. Denn es kann keinen vollkommenen Bericht geben und es ist „der Natur der Sache gemäß“, „nicht eine Reproduktion, sondern eine Art Organisation der Vergangenheit sich zum Ziel zu setzen“ (183). Es zeigt sich dabei, daß der historische Relativismus insofern im Recht ist, „daß er in ganz allgemeiner Weise richtig ist und daß wir uns Geschichte nicht ohne Organisations-Schemata denken können, auch nicht ohne historisch organisierende Schemata, ganz zu schweigen von spezifischen menschlichen Interessen“ (183). Danto charakterisiert Geschichte darum dahingehend, „daß unsere gesamte Weise, die Vergangenheit zu organisieren, ursächlich mit unseren lokalen Interessen verknüpft ist, welches immer diese auch sein mögen“ (62). Darum ist es eine Leistung des Historikers, den Erzählstoff zu einer Geschichte zu organisieren. Und von seinem Organisations-Schema hängt ab, welche Ereignisse Träger von Bedeutung werden und welcher Art diese Bedeutung ist. Nun kann aber auch die Struktur, nach der Geschichte organisiert wird, sich geschichtlich ändern. 25 Solche Veränderungen sind nicht nur möglich, sondern existent. Allen historischen Erzähl-Kontexten ist aber gemeinsam, daß die Erzählstrukturen Erklärungsstrukturen sind. 6.2.2.1.5 Kritik und Fortführung der sprachanalytischen Einsichten Neben den Einsichten in die Logik historischer Sprache ist von den Analysen Dantos besonders festzuhalten, daß der Zusammenhang von Fragestellungen und Methoden ausdrücklich diskutiert wird. Dies ist nach Meinung Schaefflers der Grund, warum sich „die analytische Philosophie insgesamt (nicht nur auf geschichtsphilosophischem Felde) sich von ihren positivistischen Anfängen entfernt und in Richtung auf eine Neufassung der transzendental-philosophischen Fragestellung weiterentwickelt hat“ 26 . Konkret beruht dies darauf, daß der historische Gegenstand in den Erzähltext eingefügt wird und durch dessen Struktur definiert wird; er wird also „dem Formgesetz der historischen Erzählsprache apriori unterworfen“ 27 . Die Kategorie der Kausalität, die das Erklären erfordert, bestimmt wiederum die Form des Erzählens. So schreiben also die Form der Erzählsprache und die Struktur des Erklärungszusammenhangs den Inhalten 25 „Die Vergangenheit verändert sich vielleicht nicht, wohl aber die Weise, in der wir sie organisieren und strukturieren“, so Danto 268. 26 Richard Schaeffler, Einführung in die Geschichtsphilosophie, Darmstadt 1980, 2. erweiterte Auflage, 255. 27 Schaeffler, Einführung 225. 118

die Gesetze vor. „Die Grammatik, d.h. die formale Gesetzmäßigkeit einer Sprache, regiert über die Semantik, d.h. über den möglichen Bedeutungsgehalt des Gesproche- nen.“ 28 Da es nun aber durchaus verschiedene „Zeitsprachen“ und kontextuelle Bedingungen für den Gegenstandsbezug unseres Sprechens gibt, und wenn sich die „Wirklichkeit“ nur innerhalb einer solchen bedeutungsverleihenden Struktur zeigt, dann entsteht der Eindruck eines gesetzlosen Nebeneinander. Und darin wäre ein neuer historischer Relativismus begründet. Dagegen wendet sich nun Karl Acham, der daran festhalten will, „daß eben auch die subjektiven Situationsdeutungen durch die objektive Soziallage, in welcher sich der Deutende befindet, bestimmt sind“ 29 . Er vermutet hinter den empirisch aufzeigbaren Gründen der Organisation der Vergangenheit „andere bewegende Mächte“ 30 , die sich aus den gesellschaftlichen Situationen und den daraus erzeugten Interessen in realer Weise erkennen lassen. Daß hier Ideologiekritik ansetzen kann, ist für Acham kein Grund, diese Kritik nun selbst unter Ideologieverdacht zu setzen. Die Form dieses Diskurses bestätigt nun aber wiederum die Analysen Dantos über die Bereiche, in denen über historische Aussagen sinnvoll gestritten werden kann. In ähnlicher Richtung, aber in anderer Weise kritisiert auch Ferdinand Fellmann, der davon ausgeht, daß „der Gegenstand der Geschichtsschreibung nicht in gleicher Weise durch seine Organisationsformen konstituiert wird, wie das bei den Naturwissenschaften der Fall ist, sondern daß es der Historiker immer schon mit geformten Material zu tun hat“ 31 . Die Voraussetzungen und Bedingungen der Sprache des Historikers hätten mit der Frage nach der Konstitution des historischen Gegenstandes nichts zu tun. Der Weg über die Sprachanalyse, auch unter Ausweitung auf Sprachhandlungen, führe zu einer Hypostasierung der Tiefenstrukturen, die als Grammatik der Offenheit der Geschichte nicht gerecht zu werden vermögen. 32 Karlheinz Stierle geht über die zweigliedrige Konstitutionsrelation von Geschehen und Organisation des Geschehens als Geschichte hinaus, von der im wesentlichen auch Danto noch ausgeht. Er schlägt vor, Geschehen, Geschichte und Text der Geschichte als dreigliedrige Textkonstitutionsrelation in Ansatz zu bringen. „Diese Relation bestimmt sich inhaltlich in dreifacher Hinsicht: 1. als Fundierungsrelation: das Geschehen fundiert die Geschichte, die Geschichte fundiert den Text der Geschichte; 2. als ›hermeneutische 28 Schaeffler, Einführung 256. 29 Karl Acham, Analytische Geschichtsphilosophie. Eine kritische Einführung, Freiburg/München 1974, 133. 30 Acham, Analytische Geschichtsphilosophie 134. 31 Ferdinand Fellmann, Grenzen der Sprachanalyse, in PH 5, 528–530, hier 528. 32 Er meint abschließend 530: „Was die Sprachanalyse zum Begriff der historischen Wirklichkeit beizutragen hat, scheint mir ungefähr von A.C. Danto geleistet zu sein, und das ist gemessen am Aufwand analytischen Scharfsinns doch ziemlich enttäuschend. Das kann angesichts der unüberbrückbaren Trennung von Geschehen und Geschichte nicht verwundern. Das Kunststück, eine materiale Geschichtsphilosophie aus der Sprache der Geschichtsschreibung herauszupressen, wird nie und nimmer gelingen. Es ist daher an der Zeit, vor einer allzu extensiven Auffassung von Sprache zu warnen. Sprache, auch wenn sie im modischen Gewand der Sprachhandlung auftritt, darf nicht zum wissenschaftlichen Fetisch werden.“ 119

schaft“ (182). Es ginge also letztlich um Skeptizismus überhaupt, und Danto sieht keine Verpflichtung,<br />

sich damit abzugeben.<br />

Der Kontrast zwischen <strong>Geschichte</strong> und Naturwissenschaft hinsichtlich übergreifender<br />

Organisationsschemata ist also gar nicht vorhanden. Nun könnte es noch einen Kontrast<br />

innerhalb der <strong>Geschichte</strong> geben, nämlich zwischen <strong>Geschichte</strong>, die diese Schemata verwendet<br />

und <strong>Geschichte</strong>, die diese nicht verwendet.<br />

Dabei stellt sich heraus, daß das Modell: „Hier ist <strong>Geschichte</strong> als Wirklichkeit, dort <strong>Geschichte</strong><br />

als Zeugnis“, und Aufgabe des Historikers sei es, erstere mit Mitteln der letzteren<br />

zu reproduzieren, falsch ist, weil das nicht gelingen kann. Denn es kann keinen vollkommenen<br />

Bericht geben und es ist „der Natur der Sache gemäß“, „nicht eine Reproduktion,<br />

sondern eine Art Organisation der Vergangenheit sich zum Ziel zu setzen“<br />

(183).<br />

Es zeigt sich dabei, daß der historische Relativismus insofern <strong>im</strong> Recht ist, „daß er in<br />

ganz allgemeiner Weise richtig ist und daß wir uns <strong>Geschichte</strong> nicht ohne Organisations-Schemata<br />

denken können, auch nicht ohne historisch organisierende Schemata,<br />

ganz zu schweigen von spezifischen menschlichen Interessen“ (183). Danto charakterisiert<br />

<strong>Geschichte</strong> darum dahingehend, „daß unsere gesamte Weise, die Vergangenheit zu<br />

organisieren, ursächlich mit unseren lokalen Interessen verknüpft ist, welches <strong>im</strong>mer<br />

diese auch sein mögen“ (62).<br />

Darum ist es eine Leistung des Historikers, den Erzählstoff zu einer <strong>Geschichte</strong> zu organisieren.<br />

Und von seinem Organisations-Schema hängt ab, welche Ereignisse Träger<br />

von Bedeutung werden und welcher Art diese Bedeutung ist. Nun kann aber auch die<br />

Struktur, nach der <strong>Geschichte</strong> organisiert wird, sich geschichtlich ändern. 25 Solche Veränderungen<br />

sind nicht nur möglich, sondern existent. Allen historischen Erzähl-Kontexten<br />

ist aber gemeinsam, daß die Erzählstrukturen Erklärungsstrukturen sind.<br />

6.2.2.1.5 Kritik und Fortführung der sprachanalytischen Einsichten<br />

Neben den Einsichten in die Logik historischer Sprache ist von den Analysen Dantos<br />

besonders festzuhalten, daß der Zusammenhang von Fragestellungen und Methoden<br />

ausdrücklich diskutiert wird. Dies ist nach Meinung Schaefflers der Grund, warum sich<br />

„die analytische Philosophie insgesamt (nicht nur auf geschichtsphilosophischem Felde)<br />

sich von ihren positivistischen Anfängen entfernt und in Richtung auf eine Neufassung<br />

der transzendental-philosophischen Fragestellung weiterentwickelt hat“ 26 .<br />

Konkret beruht dies darauf, daß der historische Gegenstand in den Erzähltext eingefügt<br />

wird und durch dessen Struktur definiert wird; er wird also „dem Formgesetz der historischen<br />

Erzählsprache apriori unterworfen“ 27 . Die Kategorie der Kausalität, die das Erklären<br />

erfordert, best<strong>im</strong>mt wiederum die Form des Erzählens. So schreiben also die<br />

Form der Erzählsprache und die Struktur des Erklärungszusammenhangs den Inhalten<br />

25 „Die Vergangenheit verändert sich vielleicht nicht, wohl aber die Weise, in der wir sie organisieren<br />

und strukturieren“, so Danto 268.<br />

26 Richard Schaeffler, Einführung in die Geschichtsphilosophie, Darmstadt 1980, 2. erweiterte Auflage,<br />

255.<br />

27 Schaeffler, Einführung 225.<br />

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