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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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also einer dialogischen Beziehung seine Menschlichkeit und sein Ichbewußtsein gewinnt.<br />

Diese dialogische Beziehung erschließt sich in und mit der Sprache.<br />

Martin Heidegger macht in seiner späteren Phase <strong>im</strong>mer mehr die Sprache zum zentralen<br />

Thema. Anders als Herder und Humboldt geht er aber nicht vom sprechenden Menschen<br />

aus, sondern von der Sprache selbst, die dem Menschen als ontologische Größe<br />

voraus ist. 9 Über die Sprache können wir nur in und mit der Sprache sprechen. Hierin<br />

zeigt sich eine analoge Struktur zum Reden über die Zeit, das ebenfalls <strong>im</strong>mer in der<br />

Zeit stattfindet. Die ontologische Qualität von Sprache zeigt sich nach Heidegger darin,<br />

daß die Sprache ins Sein ruft. „Das Nennen verteilt nicht Titel, verwendet nicht Wörter,<br />

sondern ruft ins Wort. Das Nennen ruft. Das Rufen bringt sein Gerufenes näher.“ 10<br />

Lévinas gibt der Sprache in seinen meta-ontologischen Überlegungen eine spezifische<br />

Bedeutung für das Erkennen von Welt und Sein. Sprache gehört durch ihre amphibologische<br />

Struktur in die Ontologie. Zugleich ergibt sich aber das Problem, daß über die<br />

Sprache nur mit der Sprache verhandelt werden kann. Darin besteht die Analogie der<br />

Sprache mit der Zeit. Die Sprache hat zum Bewußtsein ein besonderes Verhältnis.<br />

„Denn bevor sie Gegenstand werden kann, ist sie das Organ, kraft dessen überhaupt Gegenstände<br />

vor das Bewußtsein treten. So fällt die Analyse der Sprache mit der Analyse<br />

des auf Gegenstände bezogenen Bewußtseins zusammen.“ 11 In Aufnahme der Überlegungen<br />

Husserls zur Intentionalität akzentuiert Lévinas die Sprache als die D<strong>im</strong>ension,<br />

in der das Erscheinen von Etwas als etwas deutlich wird. 12<br />

Hans-Georg Gadamer verzichtet in seiner hermeneutischen Sprachtheorie auf eine ontologische<br />

Überhöhung der Sprache, ohne den Gedanken der Sprache als Vorgegebenes<br />

und Unverfügbares zu verzichten. 13 Gadamers Interesse gilt dem Verstehen, das sich in<br />

einer „Horizontverschmelzung“ vollzieht, deren Medium die Sprache ist.<br />

Jürgen Habermas zieht in seiner ‚Theorie des kommunikativen Handelns‘ aus der<br />

grundlegenden Funktion der Sprache Konsequenzen für die gesellschaftlich-politische<br />

Praxis. In der Verbindung seiner Konsensustheorie der Wahrheit und einer idealen<br />

Sprechsituation, auch herrschaftsfreier Diskurs genannt, spricht er der Sprache eine<br />

normative Funktion zu, wobei gilt: „Das normative Fundament sprachlicher Verständigung<br />

ist mithin beides: antizipiert, aber als antizipierte Grundlage auch wirksam (…)<br />

9 Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache (GA I/12), Frankfurt/M. 1985. „Der Sprache nachdenken<br />

verlangt somit, daß wir auf das Sprechen der Sprache eingehen, um bei der Sprache, d.h. in ihrem<br />

Sprechen, nicht in unserem, den Aufenthalt zu nehmen“ (10). „Wir sprechen und sprechen von der<br />

Sprache. Das, wovon wir sprechen, die Sprache, ist uns stets schon voraus. Wir sprechen ihr ständig<br />

nur nach. So hängen wir fortwährend hinter dem zurück, was wir zuvor schon eingeholt haben müßten,<br />

um davon zu sprechen. Demnach bleiben wir, von der Sprache sprechend, in ein <strong>im</strong>merfort unzureichendes<br />

Sprechen verstrickt“ (168f).<br />

10 Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache 18.<br />

11 Wolfgang N. Krewani, Emmanuel Lévinas. Denker des Anderen, Freiburg/München 1992, 191.<br />

12 Vgl. auch Krewani, Lévinas 208ff; Emmanuel Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein<br />

geschieht, Freiburg/München 1992 (frz. 1978).<br />

13 Das eigentliche Gespräch ist „niemals das, das wir führen wollten. Vielmehr ist es <strong>im</strong> allgemeinen<br />

richtiger zu sagen, daß wir in ein Gespräch geraten, wenn nicht gar, daß wir uns in ein Gespräch verwickeln.<br />

Wie da ein Wort das andere gibt, wie das Gespräch seine Wendungen n<strong>im</strong>mt, seinen Fortgang<br />

und Ausgang findet, das mag sehr wohl eine Art Führung haben, aber in dieser Führung sind die<br />

Partner des Gesprächs weit weniger die Führenden als die Geführten. Was bei einem Gespräch<br />

‚herauskommt‘, weiß keiner vorher. Die Verständigung oder ihr Mißlingen ist wie ein Geschehen,<br />

das sich an uns vollzogen hat“ (Hans-Georg Gadamer, Hermeneutik I, Tübingen 1986, 387).<br />

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