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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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6 Sprache und <strong>Geschichte</strong><br />

6.1 Einleitung<br />

<strong>Geschichte</strong> schreiben ist eine Art,<br />

sich das Vergangene vom Halse zu schaffen.<br />

Johann Wolfgang von Goethe<br />

<strong>Geschichte</strong> ist ein Wort, das die Weltwirklichkeit des Menschen qualifiziert. Als<br />

sprachlicher Ausdruck verweist „<strong>Geschichte</strong>“ darauf, daß der Zugang zu ihr nur über<br />

Sprache möglich ist. Sprache ist die conditio sine qua non von <strong>Geschichte</strong>. Sprache ermöglicht<br />

überhaupt erst ein Begreifen von Welt, ein Sich-Einordnen in der Welt und ein<br />

Verhalten zur Welt. Darum muß ein Sich-Befassen mit <strong>Geschichte</strong> das Phänomen der<br />

Sprachlichkeit von <strong>Geschichte</strong> beachten. Zugleich wird damit ein fundamentaler anthropologischer<br />

Sachverhalt angesprochen, denn Sprache und Sprachlichkeit zeichnet den<br />

Menschen elementar aus. 1 Sprache unterscheidet den Menschen von allen anderen Lebewesen.<br />

2 Wohl kommunizieren auch andere Lebewesen mit ihresgleichen und ihrer<br />

Umwelt, doch die Fähigkeit der Transzendierung von gegebenen Situationen eignet allein<br />

dem Menschen. 3 Sprache ist die Bedingung der Möglichkeit, nach Vergangenheit,<br />

Gegenwart und Zukunft zu fragen. Sprache ist die spezifische und allein dem Menschen<br />

eignende Fähigkeit, die Welt zu begreifen und über sein Weltverständnis zu kommunizieren.<br />

Sprache hat darin einen dialogischen, einen sozialen und einen geschichtlichen<br />

Charakter. 4 Dieser dreifache Charakter von Sprache läßt sich leicht aus der Besinnung<br />

auf die Entstehung und das Erlernen des Gebrauchs von Sprache sowie die Funktion<br />

von Sprache <strong>im</strong> alltäglichen Leben erheben.<br />

Sprache stellt den Menschen in eine Welt, die selbst schon sprachlich erschlossen bzw.<br />

konstruiert ist. Die Wahrnehmung von Welt als eines Gegenübers ist ein sprachlich<br />

vermittelter Prozeß. Darin zeigt sich die über die kommunikative Funktion hinausgehende<br />

kognitive Funktion der Sprache. Im Blick auf die <strong>Geschichte</strong> bedeutet das: „Der<br />

Mensch wird seiner <strong>Geschichte</strong> und seiner Geschichtlichkeit in und durch Sprache gewahr.“<br />

5<br />

Dieser Sachverhalt ist vor allem <strong>im</strong> 20. Jahrhundert neu und intensiv zur Geltung gebracht<br />

worden. Indiziert wird dies durch die Wendung von der Bewußtseinsphilosophie<br />

zur Sprachphilosophie, die auch <strong>im</strong> geschichtsphilosophischen Diskurs ihren Niederschlag<br />

gefunden hat (6.2).<br />

1<br />

Vgl. zur anthropologischen Bedeutung von Sprache exemplarisch Arnold Gehlen, Der Mensch. Seine<br />

Natur und seine Stellung in der Welt, Wiesbaden 1986 13 .<br />

2<br />

Aristoteles bezeichnet den Menschen in seiner Politeia als „zoon legon echon“, was man mit Albrecht<br />

Grözinger, Die Sprache des Menschen, München 1991, 18, als „dasjenige Lebewesen, das<br />

einer sprachlichen Vernünftigkeit mächtig ist“, übersetzen kann.<br />

3<br />

Allenfalls in sehr rud<strong>im</strong>entärer Form auch einigen höheren Pr<strong>im</strong>aten.<br />

4<br />

Vgl. Joach<strong>im</strong> Track, Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Reden von Gott, Göttingen<br />

1977, 16ff.<br />

5<br />

Track, Sprachkritische Untersuchungen 21.<br />

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