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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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dingen und begrenzen. So zeigt die Historie die Grenzen möglicher Andersartigkeit unserer<br />

Zukunft, ohne deshalb auf die strukturale Bedingung möglicher Wiederholbarkeit<br />

verzichten zu müssen. Mit anderen Worten: Die berechtigte Kritik an der voluntaristischen<br />

Selbstgarantie utopischer Zukunftsplaner läßt sich nur leisten, wenn die Historie<br />

als magistra vitae ihre Lehre nicht nur aus der <strong>Geschichte</strong> ableitet, sondern ebenso aus<br />

den „Bewegungsstrukturen“ unserer <strong>Geschichte</strong>. Insofern kann die Unterscheidung von<br />

Erfahrungsraum und Erwartungshorizont nicht nur die D<strong>im</strong>ensionen der Ereignisgeschichte<br />

beschreiben, sondern muß auch auf die Strukturgeschichte Anwendung finden.<br />

Arthur C. Danto unterscheidet zwar auch zwischen Ereignis und Struktur, aber in anderer<br />

Weise. Für ihn sind Strukturen nicht in der <strong>Geschichte</strong> vorfindlich, sondern werden<br />

den Ereignissen, auf die sich die Betrachtung der <strong>Geschichte</strong> nur beziehen kann, unterlegt.<br />

29 Dies hängt mit seiner Grundthese zusammen, daß die Aufgabe des Historikers die<br />

„Organisierung“ der Vergangenheit ist. Er bestreitet <strong>im</strong> Gegensatz zu Koselleck die<br />

Möglichkeit, aus Ereignissen oder auch Strukturen Hinweise auf die Gestaltung der Zukunft<br />

erheben zu können. Denn wer das tut, der versucht eine <strong>Geschichte</strong> zu erzählen,<br />

bevor sie erzählt werden kann, weil die Ereignisse, auf die sie sich beziehen muß, noch<br />

nicht geschehen sind. Die narrative Organisationsstruktur von <strong>Geschichte</strong> verbietet es,<br />

Projektionen in die Zukunft zu entwerfen. Eine starke Version dieses Gedankens, zu der<br />

Danto aus sprachanalytischen Erwägungen neigt, würde sogar die Rede von einem Erwartungshorizont<br />

unmöglich machen. Eine schwächere Version könnte sich darauf beschränken,<br />

positive Aussagen über die Zukunft zurückzuweisen. Beide Versionen kranken<br />

jedoch daran, daß sie die narrative Organisationsstruktur von <strong>Geschichte</strong> auf geschehene<br />

Ereignisse beziehen. Dagegen ist einzuwenden, daß Sprache und Erzählung<br />

mit vergangenen Ereignissen auch spielen können und nicht nur Fakten berichten. Die in<br />

und mit der Sprache sich ausdrückende Möglichkeit der Kreativität, der Transzendierung<br />

dessen was ist, hin auf das, was sein kann, kommt bei Danto nicht in den Blick.<br />

Durch diese Möglichkeit wird aber ein Möglichkeitsraum von <strong>Geschichte</strong>, ein Erwartungshorizont<br />

aufgespannt, der die <strong>Geschichte</strong> der Zukunft mitgestalten kann. Ob dieser<br />

Möglichkeitsraum unüberschreitbare Grenzen hat, ist schwer zu beantworten. Sicher<br />

scheint aber, daß er geprägt ist von Strukturen und Fragestellungen, die in der vergangenen<br />

<strong>Geschichte</strong> ihre He<strong>im</strong>at haben. Utopien als fiktive Narration versuchen ja <strong>im</strong>mer,<br />

auf gegenwärtige Fragen Antworten für die Zukunft zu entwerfen, die oftmals geschichtswirksam<br />

geworden sind.<br />

5.5 Zusammenfassung<br />

Die Unterscheidung von Ereignis und Struktur in der <strong>Geschichte</strong> weist darauf hin, daß<br />

für die Konstruktion von <strong>Geschichte</strong> verschiedene Zeitd<strong>im</strong>ensionen in Anschlag zu<br />

bringen sind. <strong>Geschichte</strong> speist sich aus langen und kürzeren Zeiträumen. Best<strong>im</strong>mbare<br />

kurzfristige Zeiträume, Ereignisse, können längerfristige Strukturen konstituieren, ver-<br />

29 Danto, Analytische Philosophie der <strong>Geschichte</strong> 215: „Ich würde demnach sagen, daß jede Erzählung<br />

eine den Ereignissen unterlegte Struktur ist, die einige von ihnen mit anderen gruppiert, einige wiederum<br />

aussondert, weil es ihnen an Relevanz mangelt.“<br />

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