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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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nur nicht alles durch jedes. Welche Begründung zählt oder zählen soll, kann nur <strong>im</strong><br />

theoretischen Vorgriff entschieden werden. Koselleck stellt dazu folgende Kriterien /<br />

Prämissen auf:<br />

– Die Faktizität ex post ermittelter Ereignisse ist nie identisch mit der als ehedem wirklich<br />

zu deutenden Totalität vergangener Zusammenhänge. Jedes historisch eruierte und<br />

dargebotene Ereignis lebt von der Fiktion des Faktischen, die Wirklichkeit selbst ist<br />

vergangen.<br />

– Der Wirklichkeitsgehalt vergangener Ereignisse, die erzählt werden, ist also – erkenntnistheoretisch<br />

gesehen – nicht größer als der Wirklichkeitsgehalt vergangener Strukturen.<br />

– Der Fiktionalität der erzählten Ereignisse entspricht auf der Ebene der Strukturen der<br />

hypothetische Charakter ihrer „Realität“.<br />

Daher gilt: „Kein Einzelereignis läßt sich sprachlich mit Kategorien gleicher Einmaligkeit<br />

erzählen, die das Einzelereignis zu haben beanspruchen darf“ 25 ; Begriffe enthalten<br />

strukturale Möglichkeiten, sie werden zu Formalkategorien, die als Bedingungen möglicher<br />

<strong>Geschichte</strong> gesetzt werden. Erst Begriffe mit dem Anspruch auf Dauer, wiederholbare<br />

Anwendungsmöglichkeit und empirische Einlösbarkeit, also Begriffe mit<br />

strukturalen Gehalten, geben den Weg frei, wie eine ehemals „wirkliche“ <strong>Geschichte</strong><br />

heute überhaupt als möglich erscheinen und somit dargestellt werden kann. 26<br />

Koselleck weist in diesem Zusammenhang wieder auf die nur bedingte Möglichkeit hin,<br />

aus der <strong>Geschichte</strong> zu lernen 27 : Wo Historie über die Möglichkeit wiederholbarer Ereignisse<br />

belehrt, dort muß sie genügend strukturelle Bedingungen aufweisen, die so etwas<br />

wie ein analoges Ereignis hervorlocken können. Verändern sich aber die strukturellen<br />

Bedingungen selber, dann muß, wie in der Neuzeit, die Historie zunächst über die sich<br />

ändernden Strukturen belehren. Das ist der Impuls der „Historischen Schule“. Die Einmaligkeit<br />

der Ereignisse – theoretische Prämisse des Historismus wie des Fortschritts –<br />

kennt keine Wiederholbarkeit und läßt deshalb keine unvermittelte Nutzanweisung zu.<br />

Für die Neuzeit gilt: „Der Strukturwandel wird zum Ereignis.“ 28<br />

Die Geschichtsphilosophie unterrichtet nach Koselleck über die Vergangenheit, um daraus<br />

Lehren und Handlungsanweisungen für die Zukunft ableiten zu können. Es ist der<br />

Versuch, die Erfahrung einer „neuen Zeit“ zu begreifen. Der langfristige Strukturwandel<br />

mit sich kürzenden Zeitspannen provozierte Voraussagen, die auf die Bedingungen<br />

möglicher Zukunft, nicht auf deren konkrete Einzelergebnisse zielen. Damit gewinnt die<br />

Einzelgeschichte einen Stellenwert für strukturale Aussagen, für das prozessuale Geschehen.<br />

Die Historie verweist auf Bedingungen möglicher Zukunft, die nicht allein aus der<br />

Summe der Einzelereignisse ableitbar sind. Aber in den von ihr erforschten Ereignissen<br />

zeichnen sich Strukturen ab, die den Handlungsspielraum der Zukunft zugleich be-<br />

25 Koselleck, Vergangene Zukunft 154.<br />

26 Was diese Einsicht für die <strong>Geschichte</strong> und die theologischen Begriffe von Kreuz und Auferstehung<br />

bedeutet, wird uns noch beschäftigen müssen.<br />

27 Vgl. dazu insgesamt Koselleck: Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos <strong>im</strong> Horizont<br />

neuzeitlich bewegter <strong>Geschichte</strong>, in: ders., Vergangene Zukunft 38–66.<br />

28 Dieser Satz Kosellecks findet sich in der überarbeiteten Fassung in Braudel, Historiker 123.<br />

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