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Geschichte im Fragment - Augustana-Hochschule Neuendettelsau

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sische Revolution; ein kurzfristiges Ereignis wie etwa das Erdbeben von Lissabon; eine<br />

Glaubensgemeinschaft, deren Mitglieder in der Diaspora leben (hier ohne die räumliche<br />

Kontinuität); der Bundeskanzler Adenauer. Das menschliche Individuum ist nur eine<br />

besondere Klasse des Individuellen, „deren Exemplare sich vor anderem Individuellen<br />

nicht zuletzt dadurch auszeichnen, daß sie sich ihrer Identität <strong>im</strong> zeitlichen Wandel ihrer<br />

Zustände bewußt sind“ 5 . Um das Individuelle erkennen zu können, ist aber nicht nur die<br />

raumzeitliche Best<strong>im</strong>mung nötig, sondern auch die Identifizierung als ein Identisches <strong>im</strong><br />

Verlauf der Zeit. Möglich ist dies dadurch, daß das Individuelle zum Allgemeinen in<br />

Beziehung gesetzt wird. Erst auf dem Hintergrund des Allgemeinen kann ein Individuelles<br />

erkannt werden. Impliziert ist darin auch eine gewisse Relativierung des Individuellen,<br />

insofern der Vergleich mit dem Allgemeinen <strong>im</strong>mer von einer best<strong>im</strong>mten Fragestellung<br />

geleitet ist und also perspektivisch und raumzeitlich determiniert ist. Impliziert<br />

ist <strong>im</strong> Verfahren des Vergleichs auch, daß die Geschichtswissenschaft sich<br />

durchaus mit dem Allgemeinen beschäftigt, also mit den Dingen, die nicht nur einmal<br />

vorkommen. Die vergleichende Geschichtsforschung arbeitet gerade in die andere<br />

Richtung, indem nicht vom Allgemeinen zum Individuellen hin spezifiziert, sondern<br />

von unterscheidenden Merkmalen abgesehen und generalisiert wird. 6 Der Gegenstand,<br />

auf den sich die Unterscheidungen von Allgemeinen und Individuellen bezieht, wird<br />

auch mit dem Terminus „historisches Faktum“ bezeichnet.<br />

5.3 Kausalität und Zufall<br />

Zur Beantwortung der Frage, wie es überhaupt zur Entstehung der unterschiedlichen und<br />

unterscheidbaren Fakten kommt, die in ihrer Zusammenschau <strong>Geschichte</strong> genannt werden,<br />

wird üblicherweise auf das Begriffspaar Kausalität und Zufall rekurriert. Mit dieser<br />

Frage hängt auch die Frage nach Kausalität und Freiheit zusammen. 7 Nun kann man von<br />

vornherein gegen die Anwendung des Kausalitätsprinzips in der <strong>Geschichte</strong> einwenden,<br />

daß wegen der Unübersehbarkeit der Ursachen für ein konkretes Ereignis dieses Prinzip<br />

nicht anwendbar ist. Man kann weiter einwenden, daß es die <strong>Geschichte</strong> mit menschlichem,<br />

das heißt intentionalem Handeln zu tun hat und insofern die Freiheit dem Kausalprinzip<br />

entgegensteht. 8 Gleichwohl empfiehlt es sich nicht, auf die Frage nach Kausalität<br />

in der <strong>Geschichte</strong> zu verzichten, sofern deutlich wird, daß „es in der Historie<br />

5 Faber, Theorie 50.<br />

6 Ein weiteres Verständnis von vergleichender <strong>Geschichte</strong> hat Philippe Ariès, Zeit und <strong>Geschichte</strong>,<br />

Frankfurt/M. 1988, 248, wenn er <strong>Geschichte</strong> versteht als „Vergleich zweier Strukturen, zweier füreinander<br />

transzendenter Strukturen“.<br />

7 Faber, Theorie 66ff. Schon Ranke wies darauf hin: „Gestehen wir ein, daß die <strong>Geschichte</strong> nie die<br />

Einheit eines philosophischen Systems haben kann; aber ohne inneren Zusammenhang ist sie nicht.<br />

Vor uns sehen wir eine Reihe von aufeinanderfolgenden, einander bedingenden Ereignissen. Wenn<br />

ich sage: bedingen, so heißt das freilich nicht durch absolute Notwendigkeit. Das Große ist vielmehr,<br />

daß die menschliche Freiheit überall in Anspruch genommen wird: die Historie verfolgt die Szenen<br />

der Freiheit; das macht ihren größten Reiz aus. […] Aber dabei waltet doch auch ein tiefer inniger<br />

Zusammenhang ob, von dem niemand ganz unabhängig ist, der überall eindringt. Der Freiheit zur<br />

Seite besteht die Notwendigkeit“ (zit. nach Faber, Theorie 67).<br />

8 Auch die Unterscheidung von Ursachen und Gründen ist in diesem Zusammenhang eine Infragestellung<br />

des Kausalitätsprinzips. Vgl. oben Kap. 1.3.<br />

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