mittendrin - 3/2010
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Selbstständig leben<br />
Ayse Yucas langer Weg zur ersten eigenen Wohnung<br />
Ayse Yuca spielt am liebsten<br />
„Solitär“ und „Spiel mit<br />
Vier“ mit ihren Freunden,<br />
ihre Lieblingsfarbe ist Rosa, sie<br />
liebt Schmuck und hübsche Hüte.<br />
Sie ist ein fröhlicher, geselliger<br />
Mensch und möchte gerne öfter<br />
Bilder malen, sie liebt vor allem<br />
Blumen. Gerade hat sie ihre erste<br />
eigene Wohnung bezogen.<br />
Das klingt nach einer jungen Frau,<br />
die ins Erwachsenenleben startet,<br />
aber Ayse ist heute 48 Jahre alt und<br />
erlebt den normalen Prozess des<br />
Erwachsenwerdens erst nach einer<br />
langen Verzögerung, denn sie sitzt<br />
seit einem schweren Unfall in den<br />
1980er-Jahren im Rollstuhl. Sie<br />
kann nur ihre rechte Hand bewegen<br />
und ist auf ständige Unterstützung<br />
angewiesen. Geistig ist sie voll da,<br />
aber ohne Rollstuhl könnte sie sich<br />
nicht fortbewegen, ohne Sprachcomputer<br />
nur bruchstückhaft kommunizieren.<br />
Seit 1986 kümmert sich Waldemar<br />
Rink um Ayse. Der<br />
ehemalige Lehrer und Schulpfarrer<br />
unterrichtete Ayse in der<br />
Friedrich-List-Schule in Kassel, wo<br />
die junge Frau vor dem Unfall Abitur<br />
machte. Als er dann von ihrem<br />
Schicksal hörte, half er den Eltern,<br />
ihre Tochter in einem Heim unterzubringen.<br />
Später wurde er Ayses<br />
gesetzlicher Betreuer.<br />
Lebensmut<br />
Schwierige Zeiten und neue<br />
Perspektiven<br />
Vor 25 Jahren war es noch schwierig, einen so schwer eingeschränkten<br />
Menschen wie Ayse Yuca an einem geeigneten Platz<br />
unterzubringen. So pendelte sie zwischen Klinik und Altenheim.<br />
„Es war schrecklich, die alten Leute so wegsterben zu sehen“, erzählt<br />
Ayse heute. Sie war unglücklich und deshalb sehr froh, als<br />
sie mithilfe von Herrn Rink vor acht Jahren endlich einen guten<br />
Platz in den Waberner Wohnstätten fand. Nach einiger Eingewöhnungszeit<br />
fühlte sich Ayse wohl. Hier hatte sie die Möglichkeit,<br />
sich mithilfe ihrer Betreuer ganz auf ihre eigene Entwicklung zu<br />
konzentrieren. Anfang <strong>2010</strong> war es ihr möglich, aus der Tagesförderstätte<br />
in die Intensiv Betreute Arbeit (IBA) zu wechseln.<br />
„In dieser Gruppe arbeiten fünf Leute. Ayse braucht aufgrund ihrer<br />
Einschränkungen Hilfsmittel und öfter Handreichungen vom<br />
Betreuer. Ihr Ziel ist es aber, in die Handmontage zu wechseln“,<br />
erklärt Frau Grenzer, Gruppenbetreuerin in der IBA. Von acht bis<br />
vierzehn Uhr zählt Ayse Schrauben fürs<br />
VW-Werk ab, zehn Stück gehören in je-<br />
den Beutel. Wenn es nichts zu zählen gibt,<br />
klebt sie Etiketten auf Verpackungen.<br />
Mehr Selbstständigkeit<br />
„Ich möchte gerne eine eigene Wohnung“,<br />
äußerte Ayse eines Tages ihren dringendsten<br />
Herzenswunsch. Zunächst schien das<br />
ihrem Betreuer illusorisch, aber dann tat<br />
er sich mit Klaus Bertram, Abteilungsleiter<br />
in Wabern, zusammen, um für Ayse<br />
eine Möglichkeit zu finden, nach so langer<br />
Zeit möglichst selbstständig zu leben.<br />
Seit Juli ist Ayses Wunsch nun in Erfüllung<br />
gegangen. Mit der 24-Stunden-Assistenz<br />
des FAB e. V. und<br />
der psycho-sozialen Betreuung durch die<br />
Waberner Wohnstätten ist es möglich,<br />
dass sie ihren Alltag bewältigt.<br />
Nun muss sich Ayse daran gewöhnen,<br />
ihre Assistenten selbst anzuleiten und eigenverantwortlich<br />
zu haushalten. Wichtige<br />
Anschaffungen müssen zuerst eingeplant,<br />
dafür gespart und Anträge gestellt<br />
werden. Als Nächstes stehen ein Internetzugang<br />
und – was für Ayse eine sehr<br />
große Investition bedeutet – automatisch<br />
öffnende Haus- und Wohnungstüren auf<br />
dem Programm. Verreisen und andere<br />
Sonderausgaben sind deshalb für Ayse<br />
erst einmal gestrichen.<br />
EINFACH GESAGT<br />
Ayse ist ein türkischer Vor-Name<br />
So spricht man das: Aische<br />
Selbstständig leben mit Behinderung<br />
Ayse hatte als junge Frau einen schweren Unfall.<br />
Seitdem kann sie nicht mehr laufen.<br />
Sie sitzt im Rollstuhl.<br />
Sie kann nur ihre rechte Hand bewegen.<br />
Ayse Yuca kann auch nicht sprechen.<br />
Aber sie hat einen Sprach-Computer.<br />
Damit kann sie anderen mitteilen, was sie möchte.<br />
Erst gab es keinen guten Wohn-Platz<br />
Vor 25 Jahren musste Sie im Altenheim und<br />
im Krankenhaus wohnen. Sie war sehr unglücklich.<br />
Fotos: Markus W. Lambrecht<br />
Dann gab es einen guten Wohn-Platz<br />
Erst vor 8 Jahren konnte sie in die<br />
Waberner Wohnstätten ziehen.<br />
Dabei hat ihr Waldemar Rink geholfen.<br />
Er ist Lehrer und Pfarrer.<br />
Ayse war froh über den guten Wohn-Platz.<br />
Hier konnte sie sich ganz auf ihre Entwicklung konzentrieren.<br />
Dadurch hat sie auch einen besseren Arbeits-Platz gefunden.<br />
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