02.12.2012 Aufrufe

Zwanglos sozial engagiert - BruderhausDiakonie

Zwanglos sozial engagiert - BruderhausDiakonie

Zwanglos sozial engagiert - BruderhausDiakonie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>sozial</strong> • Ausgabe 4 | 2010<br />

Münsingen<br />

Ausweg für die Angehörigen<br />

Gibt’s das? Eine Ganztagesbetreuung von Montag bis Freitag für Menschen mit<br />

eingeschränkter Alltagskompetenz. Teilstationär und als niederschwelliges Angebot<br />

von der Pflegekasse mitfinanziert. Ja, das gibt’s. Bei der Diakoniegesellschaft Münsinger<br />

Alb, deren Träger die <strong>BruderhausDiakonie</strong> und die Samariterstiftung sind.<br />

Man kommt herein und ist mittendrin. Steht in einem<br />

großen, hellen, in herbstlichen Farben dekorierten<br />

Raum, in dem nichts an den ehemaligen Schle-<br />

cker-Markt erinnert. Hört das lebhafte Gemurmel<br />

und fröhliche Gelächter von Menschen, deren Runzeln<br />

wie die Jahresringe eines Baumstammes das<br />

fortgeschrittene Alter verraten. Der Tisch ist einladend<br />

gedeckt. Es gibt Kaffee und Kuchen. Die Gäste<br />

lächeln erwartungsvoll. Eine ältere Frau, deren graue<br />

Haare widerspenstig vom Kopf abstehen, wirkt ein<br />

wenig unruhig. Ihre Augen sind gerötet, als hätte sie<br />

geweint. Aus ihrer Kehle dringen hohe, unverständliche<br />

Laute. Sprechen kann sie nicht mehr. Zu weit ist<br />

die Erkrankung fortgeschritten, die im Gehirn irreversible<br />

Spuren hinterlässt.<br />

Trude Herb (Name geändert) war 60, als die Diagnose<br />

Demenz ihr Leben und das ihres Ehemannes auf den<br />

Kopf stellte. Seit zehn Jahren kümmert er sich um sie,<br />

seit einem guten halben Jahr mit Unterstützung der<br />

Diakoniegesellschaft Münsinger Alb. Wegen großer<br />

Nachfrage und im Hinblick auf die demografische<br />

Entwicklung bietet diese seit Mai eine Ganztagesbetreuung<br />

für Menschen mit Demenz, mit psychischen<br />

Erkrankungen oder geistigen Behinderungen an.<br />

Trude Herb und ihr Mann kamen am Eröffnungstag<br />

als Erste. „Um neun standen die beiden vor der Tür“,<br />

erinnert sich der Leiter der Diakoniegesellschaft, Lothar<br />

Schnizer. „Der Mann war angespannt und sichtlich<br />

überfordert.“ Für ihn erwies sich das Angebot<br />

als rettender Ausweg aus seiner Not. Zwei Tage pro<br />

Woche verbringt seine Frau in der Betreuungsgruppe<br />

– von Fachkräften und Freiwilligen liebevoll umsorgt.<br />

Ihr Mann nutzt die Zeit, um sich im Thermalbad, auf<br />

dem Motorrad oder in seiner Hobbywerkstatt vom<br />

anstrengenden Alltag an der Seite eines demenzkranken<br />

Menschen zu erholen. „Er hat sich positiv<br />

verändert“, sagt Lothar Schnizer, dem die Entlastung<br />

der Angehörigen ein großes Anliegen ist. Seine Kunden<br />

können feste Tage buchen. Sie können aber auch<br />

jede Woche neu entscheiden, an welchem Tag und<br />

für wie viele Stunden sie die Betreuung in Anspruch<br />

nehmen – in Notfällen auch von jetzt auf gleich.<br />

Dieser von Flexibilität und Spontaneität geprägte<br />

Geist wirkt sich positiv<br />

auf die Stimmung<br />

aus. Die Gäste wirken<br />

entspannt, jeder darf<br />

so sein, wie er ist. Nachdem<br />

Tassen und Teller<br />

abgeräumt sind, verteilt<br />

Carolin Witt rote Liederhefte.<br />

Die Ergotherapeutin<br />

und Leiterin der<br />

Tagesbetreuung weiß, wie wichtig das Singen für die<br />

Gäste ist. Fast alle haben früher im Chor gesungen<br />

und kennen die Volkslieder teilweise noch auswendig.<br />

Trude Herb kann zwar nicht mitsingen, aber sie<br />

kann mitsummen, mitschunkeln und mitklatschen.<br />

Sie kann auch Bälle fangen und bei der Gymnastik<br />

ihren Körper spüren. Wie hatte Carolin Witt gesagt:<br />

„Wir fördern vorhandene Fähigkeiten, statt die Menschen<br />

mit ihren Schwächen zu konfrontieren.“<br />

Die Tagesbetreuung hat noch weitere Vorteile. Sie<br />

fördert <strong>sozial</strong>e Kontakte und trägt dazu bei, dass die<br />

Betroffenen nicht so schnell ins Pflegeheim müssen.<br />

Die älteste Teilnehmerin, eine 92 Jahre alte Frau, lebt<br />

mit Unterstützung des ambulanten Pflegedienstes<br />

der Diakoniegesellschaft allein in ihrer Wohnung.<br />

Dreimal pro Woche nimmt sie das Ganztagsangebot<br />

wahr – das in dieser Form, so Lothar Schnizer, einzigartig<br />

in Baden-Württemberg sei. Der Leiter der Diakoniegesellschaft<br />

hat ehrgeizige Pläne. Bis Ende 2011<br />

soll es in Münsingen ein Kompetenzzentrum Demenz<br />

geben, das professionelle Beratung und gezielte ergo-<br />

therapeutische Behandlung vereinen soll. Ziel sei es,<br />

die Krankheit zu verzögern und damit die Lebensqualität<br />

zu steigern.<br />

Trude Herb sind solche Pläne egal. Hauptsache, für sie<br />

bleibt alles so, wie es ist. Mit vertrauten Menschen,<br />

wohltuenden Ritualen und einem treu sorgenden<br />

Mann, der sie nach einem anregenden Tag wieder mit<br />

nach Hause nimmt kaw Z<br />

REGIONEN<br />

Beim Singen und<br />

Schunkeln fühlen<br />

sich die Gäste<br />

wohl<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!