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Zwanglos sozial engagiert - BruderhausDiakonie

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10<br />

AKTUELL<br />

Mangelnde Bildung<br />

hat mit dem<br />

<strong>sozial</strong>en Milieu zu<br />

tun, nicht mit der<br />

Religion, sagen<br />

Bayram Ceran<br />

(links) und Andreas<br />

Foitzik<br />

<strong>sozial</strong> • Ausgabe 4 | 2010<br />

Migrationsdebatte<br />

Integrationsunfähig oder ausgegrenzt?<br />

Deutschland diskutiert über die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund.<br />

Im Blickpunkt stehen vor allem Muslime. Sie gelten vielen als integra-<br />

tionsunwillig. Andreas Foitzik und Bayram Ceran vom Jugendmigrationsdienst<br />

der <strong>BruderhausDiakonie</strong> wissen es besser.<br />

Der Ärger ist Andreas Foitzik deutlich anzumerken.<br />

„So eine Debatte wirft uns um Jahre zurück“, sagt er.<br />

Gemeint ist die erhitzte Diskussion über Muslime in<br />

Deutschland, über nicht integrationsfähige und nicht<br />

integrationswillige Einwanderer. Entzündet hat sie<br />

sich an einem Buch des ehemaligen Berliner Finanzsenators<br />

und Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin.<br />

Foitzik leitet den Jugendmigrationsdienst der <strong>BruderhausDiakonie</strong>,<br />

eine Einrichtung, die sich im Kreis<br />

Reutlingen und im Altkreis Nürtingen vorwiegend<br />

um junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />

kümmert. Wenn es denn ein Verdienst Thilo Sarrazins<br />

wäre, die Integrationsdebatte erneut angestoßen zu<br />

haben, dann wäre der Preis dafür deutlich zu hoch, ist<br />

Foitzik überzeugt. Denn der Ton der Polemik, die sich<br />

durch die Medien zieht, ist schrill: Die Integrationspolitik<br />

der Vergangenheit sei gescheitert, wird behauptet.<br />

Das Klima zwischen Deutschen und Migranten<br />

werde immer schlechter. Vor allem Migranten muslimischen<br />

Glaubens verweigerten beharrlich die Integration<br />

in die Mehrheitsgesellschaft, sie wollten mit<br />

Deutschen nichts zu tun haben.<br />

Sie seien politisch rückständig,<br />

religiös intolerant und hätten<br />

ein schwieriges Verhältnis zur<br />

Demokratie. Und sie seien meist<br />

ungebildet und richteten sich in<br />

Parallelgesellschaften ein, statt<br />

sich selbst um Bildung und Integration<br />

zu bemühen.<br />

„Das ist eine sehr harte Debatte, die viele Schichten<br />

trifft“, weiß der Sozialarbeiter Bayram Ceran, der<br />

beim Reutlinger Jugendmigrationsdienst die Kontakte<br />

zu Migrantenvereinen pflegt und an Schulen<br />

versucht, Kontakte und gegenseitiges Verständnis<br />

herzustellen zwischen Lehrern und Eltern mit Migrationshintergrund.<br />

Im Moment, so Ceran, erzählen<br />

selbst gut ausgebildete Akademiker mit türkischen<br />

Wurzeln von Ausgrenzung und Ablehnung. Und<br />

Jugendliche sprechen davon, dass sie sich als nicht<br />

mehr dazugehörig empfinden.<br />

„Der Netzwerkarbeit der Migrantenvereine zur Integration<br />

wurde durch die Debatte ein Dämpfer<br />

versetzt“, hat Ceran den Eindruck. Dabei setzten die<br />

Vereine sehr auf Begegnungen mit Deutschen.<br />

Foitzik und Ceran erleben einen deutlichen Unterschied<br />

zwischen dem, was an Debattenbeiträgen<br />

durch die Medien geistert, und ihrer täglichen Arbeit.<br />

Klar fehle es oft an Bildung in Migrantenfamilien.<br />

Aber, so wissen beide, mangelnde Bildung hat mit<br />

bestimmten <strong>sozial</strong>en Milieus zu tun, die gerne als<br />

bildungsfern bezeichnet werden – nicht mit der<br />

muslimischen Religionszugehörigkeit, wie viele behaupten.<br />

„In diesen Milieus gibt es zu vergleichbaren<br />

deutschen Gruppen keine Unterschiede“, betont Andreas<br />

Foitzik, „außer dem, dass Menschen mit muslimischem<br />

Hintergrund zunehmend einer antimuslimischen<br />

Haltung ausgesetzt sind – das allerdings<br />

schmälert ihre Bildungschancen zusätzlich.“<br />

Bayram Ceran hält es für ein großes Missverständnis,<br />

wenn unterstellt wird, türkische Familien wären nicht<br />

bildungsinteressiert: „Die haben oft nur keine konkrete<br />

Vorstellung, wie sie ihre Kinder unterstützen<br />

können“, sagt er. „Interpretiert wird dann: Die wollen<br />

nicht.“ Deshalb vermittelt Bayram Ceran Hausbesuche<br />

von Lehrern bei Migrantenfamilien. Oder er<br />

organisiert Väter-und-Söhne-Wochenenden an einer<br />

Reutlinger Realschule. Oder er unterstützt Ansprechpartner<br />

in den Migrantenvereinen: Kürzlich hat ein<br />

türkischer Verein mit Hilfe des Jugendmigrationsdienstes<br />

im Vereinsheim eine Leseecke eingerichtet.<br />

Dort laden türkischstämmige und deutsche Referenten,<br />

Vorleser und Autoren Kinder und Erwachsene<br />

ein, sich mit Büchern zu beschäftigen.<br />

Derzeit ist der Jugendmigrationsdienst der Bruder-<br />

hausDiakonie allein im Kreis Reutlingen in 15 Schulen<br />

tätig, rund 200 Jugendliche werden regelmäßig<br />

und intensiv einzeln betreut. Dennoch weiß Andreas<br />

Foitzik auch: „Die Pädagogik ist in gewisser Weise<br />

ohnmächtig gegenüber der Medienrealität.“ Die<br />

BILD-Zeitung hat im Zweifelsfall eben die stärkeren<br />

Bilder. msk Z

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