Berlin - Edition dibue
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Fotoszene<br />
Die (In-)Diskretion des Auslösers<br />
Der geneigte Leser dieser Reihe wird<br />
festgestellt haben, dass ich in der Vergangenheit<br />
im Wesentlichen über die<br />
fotografische Qualität von Bildern und<br />
deren Bewertung geschrieben habe.<br />
Das ist ja auch sicherlich einer der<br />
wichtigsten Gesichtspunkte in der Fotografie.<br />
Außerhalb der journalistischen<br />
Funktion, also als reine Informationsvermittlung,<br />
nehmen wir Bilder als kreative<br />
Produkte war.<br />
Der Fotograf als Künstler, ist bemüht, in<br />
seinem Werk einen Teil seiner Seele zu<br />
implementieren. Etwas überzeichnet<br />
formuliert wird das Motiv zum Objekt<br />
des kreativen Schaffensprozesses degradiert.<br />
Das mag dem Objekt, so es sich um eine<br />
Landschaft, ein Gebäude oder auch ein<br />
Tier handelt, ziemlich egal sein.<br />
Aber was ist, wenn ein Mensch Gegenstand<br />
der fotografischen Begierde wird?<br />
Darf die fotografische Intention eines<br />
Fotografen die persönliche Spähre der<br />
abgebildeten Personen dominieren?<br />
Ich höre förmlich den Aufschrei »natürlich<br />
geht das nicht - die Würde des Menschen<br />
ist unantastbar«!<br />
Nun, die Bildrechte der Personen sind<br />
in den westlichen Ländern weitgehend<br />
geschützt - Persönlichkeiten des öffentlichen<br />
Lebens ausgeschlossen - wieso<br />
eigentlich?<br />
Wenn ich meinen Nachbarn fotografiere<br />
während er das Kindermädchen<br />
küsst und das Bild im Internet zeige,<br />
bekomme ich Ärger. Sollte mein Nachbar<br />
sich aber in der Vergangenheit um<br />
das Allgemeinwohl verdient gemacht<br />
haben und einen hohen politischen<br />
Rang bekleiden, bekomme ich für das<br />
gleich Bild eine Veröffentlichung in der<br />
»Bunten« - und ein saftiges Honorar!<br />
Das ist eine extreme Ungleichbehandlung!<br />
Oder?<br />
Es heißt dann häufig, Personen des<br />
öffentlichen Lebens müssen eben auch<br />
höheren moralischen Anforderungen<br />
genügen. Wieso eigentlich?<br />
Mir persönlich ist ein Politiker, der<br />
Arbeitsplätze schafft und ein Verhältnis<br />
64 brennpunkt 4/2011<br />
© Manfred Kriegelstein<br />
mit seiner Sekretärin hat lieber, als der<br />
treu sorgende Familienvater, der jeden<br />
Sonntag in die Kirche geht, aber politisch<br />
ein Versager ist!<br />
Bill Clinton war sicherlich nicht der<br />
schlechteste Präsident...<br />
Aber zurück zur Fotografie.<br />
Der Fotograf hat ja auch immer die<br />
Funktion eines Zeitzeugen, er nimmt<br />
mit seinen Augen die Umwelt wahr und<br />
macht aufmerksam.<br />
Aber wo ist die Grenze zwischen Hinweis<br />
und Diskretion?<br />
Will man zum Beispiel auf Missstände<br />
der Arbeitsmarktpolitik hinweisen und<br />
fotografiert die lange Schlange Wartender<br />
vor einem Jobcenter, diskreditiert<br />
man dann mit dem Bild die Menschen<br />
die dort anstehen oder rückt man<br />
eher gesellschaftliche Defizite in den<br />
Focus?<br />
Sie sehen, liebe Leser, es gibt keine<br />
sicheren Regeln an denen man sich als<br />
Fotograf orientieren kann. Ich denke,<br />
die Entscheidung den Auslöser zu betätigen<br />
- oder auch nicht - kann ein Fotograf<br />
immer nur für sich selbst treffen. Er<br />
alleine übernimmt dann auch die Verantwortung<br />
für seine Bilder. Aber auch<br />
nur so kann er eventuell in den Köpfen<br />
der Menschen etwas bewegen.<br />
Sicher haben die TV-Sender den größten<br />
Einfluss auf die Sichtweise der Menschen<br />
über aktuelle Ereignisse. Die Wirkung<br />
auf den Betrachter ist aber oft sehr<br />
flüchtig und selten nachhaltig.<br />
Wenn ich mir so die Berichterstattung<br />
über die schrecklichen Ereignisse in<br />
Japan vor Augen führe, dann ist mir<br />
eigentlich ein Zeitungsbild besonders in<br />
Erinnerung geblieben, es zeigt inmitten<br />
der Tsunami-Verwüstung einen blühenden<br />
Kirschbaum der allen Zerstörungen<br />
getrotzt hat...<br />
Ich habe lange überlegt, welches Bild ich<br />
zur Illustration dieses Textes nehmen soll.<br />
Meine Wahl fiel auf eine Aufnahme, die<br />
rein fotografisch gesehen, nicht meinen<br />
Qualitätskriterien für ein gutes Bild<br />
entspricht. Ich würde es wahrscheinlich<br />
nie in einer Ausstellung zeigen. Aber ich<br />
denke schon, dass der Inhalt geeignet ist<br />
mal darüber nachzudenken, wie gut es<br />
uns eigentlich geht...<br />
Manfred Kriegelstein