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Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) - Schweizerische Gesellschaft für ...

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Artikel aus der Mitgliederzeitschrift «info» zum Thema<strong>Amyotrophe</strong> <strong>Lateralsklerose</strong> (<strong>ALS</strong>)


Durch TATen zu troST findenJean-Pierre Müller im info 1.07 – Seitenwechsel 1// Jupp SAile ALiAS Morrie in «dienSTAgs bei Morrie»Jupp Saile im info 1.07 – Seitenwechsel 4// Diagnose <strong>ALS</strong> – wAS nun?Harry Köppel im info 3.08 – Persönlich 7// «Der Lightwriter hALf uns in der letzten gemeinSAMen Zeitnoch zu koMMunizieren»Madelon Anderwert im info 3.09 – Persönlich 12// «Wenn du anfängST über DAS schickSAL zu hADern, koMMST dunicht mehr raus!»Martin Zutter im info 3.10 – Persönlich 17// Diagnose <strong>ALS</strong> – Wie geht es den Kindern?Christoph Köppel im info 3.10 – Seitenwechsel 222


info 01.07SEITENWECHSEL | | |Foto: zVgDurch Taten zu Trost findenDie <strong>ALS</strong> <strong>Amyotrophe</strong> <strong>Lateralsklerose</strong> ist ein schwerer Schicksalsschlag fürBetroffene und Angehörige. Aktives Verhalten statt passives Erdulden dieserunheilbaren Krankheit kann tröstende Stunden bescheren./ Jean-Pierre MüllerEs war im Februar 2004, als meine Frau und ich bemerkten,dass ihre Lippen hin und wieder und dann immer häufigerzuckten und ihre Aussprache an Verständlichkeit verlor. Kurzdarauf kamen Schwierigkeiten beim Schlucken dazu. Als wirim Mai 2005 mit unseren drei längst erwachsenen Kindernund drei Grosskindern im Familienkreis bei guter Launeunsere goldene Hochzeit feierten, spürten wir, dass da imHintergrund etwas lauerte.Im Juni dann vernahmen wir aufgrund elektrodiagnostischerUntersuchungen im Muskelzentrum / <strong>ALS</strong> clinic inSt.Gallen, dass meine geliebte Doris an <strong>ALS</strong> in ihrer bulbärenForm erkrankt war. Das Verdikt traf uns nicht ganzunvobereitet und wir waren nicht unter Schock, aber eine3


| | | 10 SEITENWECHSELinfo 01.07tiefe Traurigkeit ergriff uns, denn im Internet hatten unsereKinder schon gelesen, dass <strong>ALS</strong> unheilbar ist. Wir waren unsvon Anfang an im Klaren, dass wir über fünfzig Jahre langein gutes Leben gelebt haben und dass demzufolge weder Bitterkeitnoch Verzweiflung aufkommen durften. Auch wolltenwir möglichst tapfer sein und gemeinsam durch die Prüfunggehen, meine Frau leider als Betroffene, ich als lernfähigerBegleiter, Hausmann und Pfleger.Die ganze Familie war willens, so gut und so lange alsmöglich, ihre und auch unsere Lebensqualität zu erhalten. Diesgelang uns recht gut, trotz immer grösser werdenden SprechundSchluckproblemen sowie anderen Schwierigkeiten. Längsthatten Freunde und Nachbarn gemerkt, dass es Doris nichtgut ging. Wir orientierten sie alle mit einem Schreiben. Wirwaren in der Lage, Besucher bei uns willkommen zu heissen,an kulturellen Anlässen teilzunehmen, sonnige Tage mit einemBuch zu verbringen und das zu tun, was Herz und Seele gut tat.Doch die Krankheit glich einer Skiabfahrt, die ständig abwärtsgeht, anfänglich und manchmal sanft, dann steil, dann wiedersanfter, aber immer abwärts und ohne Zwischenhalt.Mithelfen, die Lebensqualität zu erhaltenBei aller Priorität für die Pflege meiner Frau spürten wir beide,dass zusätzlich «etwas Allgemeineres» im Kampf gegen <strong>ALS</strong>getan werden sollte. «Etwas», das <strong>ALS</strong>-Patienten zum Beispielhelfen würde, ihre Lebensqualität zu verbessern und längerhoch zu halten. Eine bescheidene Hilfe an Fachleute, also inerster Linie Mediziner, die praxisnah forschen.Aber wie konnten wir als Nicht-Mediziner helfen? Zudieser Frage war meine Antwort: Verbesserungsmassnahmenkosten auch Geld, also werde ich Fundraiser / Spendensammler.Als 75-jähriger, noch recht fitter früherer Wirtschaftsmann,der eine in ihrer Branche bekannte Firma geleitet und eineHandelskammer sowie einen bedeutenden Fachverband präsidierthatte, kannte ich viele Entscheidungsträger, die Spendengutheissen würden. Dachte ich. Ich erstellte ein informativesDossier über <strong>ALS</strong> und fand Unterstützung von einer bekannten4


info 02.08SEITENWECHSEL9 |||Jupp Saile alias Morrie in«Dienstags bei Morrie»Haben Sie sich auch schon Gedanken gemacht über das Leben? Morrie Schwartzhat es. Der Soziologieprofessor bekam die Diagnose <strong>ALS</strong> (Amyothrophe <strong>Lateralsklerose</strong>).Seine letzte Vorlesung hielt er deshalb über das Leben und dasSterben - hier führte Simone Welten ein Gespräch mit Jupp Saile, der mit demTHEATER 58 Morrie Schwartz darstellte./ Jupp SaileSeit 2007 spielt die Theatergruppe 58 rund 60 Mal «Dienstagsbei Morrie». Das Stück handelt von Morrie Schwartz undseinem ehemaligen Studenten, der eigentlich meinte Trostspenden zu müssen. Stattdessen gerät er in eine tiefe Verbundenheitmit seinem Professor und lernt das Leben neuzu betrachten.Jupp Saile ist in Köln geboren und hat auf vielen BühnenDeutschlands und der Schweiz verschiedenste Charakteregespielt. Als gelernter Automechaniker kam er erst auf demzweiten Bildungsweg zu seiner Leidenschaft Theater. Mittlerweileist er pensioniert, spielt aber hie und da noch gerneeine «kleine» Rolle….Die Umsetzung des Stücks«Zuerst konnte ich mir das Theaterstück gar nicht so konkretvorstellen,» sagt Jupp Saile. Zum Einen war da dieser Text, dereigentlich gar kein Theaterstück ist, sondern eher ein Romanmit Dialogen. Zum Anderen die Krankheit <strong>ALS</strong> und das ThemaBehinderung. In Bezug auf die Ausführung, meint er, habe derRegisseur die Gruppe sehr gut an das Thema heran geführt.Eine starke Kraft zum Gelingen des Stücks war für Jupp Saileauch Morrie Schwartz selbst, der mit dem ungebrochenen Willenseine Geschichte festzuhalten ein Vermächtnis hinterlassenhat. Morrie selbst wollte, dass die Geschichte weiter geht.6


||| 10 SEITENWECHSELinfo 02.08Die Motivation für das StückMit <strong>ALS</strong> oder mit Muskelkrankheiten allgemein hatte JuppSaile in seinem bisherigen Leben keine Anknüpfungspunkte.Motiviert an dem Stück hat ihn die schauspielerische Herausforderung:«Es war zwar zunächst eine interessante Rollefür mich. Erst später kam da diese persönliche Sache mitrein.» Um das Stück so authentisch wie möglich umzusetzenund auch einen Bezug zum Thema zu schaffen, kam ThomasUnteregger dazu, ein <strong>ALS</strong> Betroffener, der ähnlich wie Morrieselbst <strong>ALS</strong> in der <strong>Gesellschaft</strong> publik machen möchte. «MitThomas erhielt das natürlich eine ganz neue Dimension! Wirwurden sozusagen alle Betroffene.»Einen <strong>ALS</strong> Betroffenen spielenDie Vorbereitungen zum Stück waren erstmal technischerNatur. Viel Zeit wurde mit dem Original zugebracht und dieeigentliche Vorbereitung bestand im Text lernen. Dadurch sei ermehr und mehr auf die spezifischen Symptome dieser Krankheitgestossen. Natürlich hat er dann auch Material gesammeltund viel über <strong>ALS</strong> gelernt. Mit den Proben kam dann derpraktische Prozess, «den langsamen Abbau der Muskulaturin die schauspielerischen Bewegungsabläufe zu integrieren.»Entscheidend für das Stück sei jedoch eindeutig die spirituelleSeite – das Vermächtnis von Morrie zu realisieren: «Lerne zusterben und du wirst lernen zu leben.» Eine grosse Herausforderungfür Jupp Saile war glaubwürdig zu sein. «UnsereRollen leben vom Menschlichen, von den Schwächen. DieserMann war jedoch eine Ikone, der eine nahezu perfekte Figurdarstellt - fast nicht spielbar.»Das Thema Sterben und Tod«Die Beschäftigung mit dem Thema vermittelt ein Gefühl,den Prozess schon selbst durchgemacht zu haben. Als ichdann selbst mit einer Todesangst konfrontiert wurde, warich überrascht, dass ich trotz der Beschäftigung mit Morriefürchterliche Angst hatte!» Für Jupp Saile hat die Erarbeitungdieses Stücks vor allem eine Sensibilisierung für das Thema7


||| 4 PERSÖNLICHinfo 03.08Diagnose <strong>ALS</strong> – Was nun?Im Juni 2007 fing alles an, als meine Zunge nicht mehr funktionierte wiegewohnt. Unser Hausarzt hat mich sofort zu einer Computer Tomographie (CT)angemeldet. Daraufhin wurde ich zum Neurologen verwiesen. Dieser eröffnetemir nach einer längeren Untersuchung, dass ich wahrscheinlich schwer kranksei, wollte sich aber vor den Untersuchungen der Uniklinik noch nicht festlegen./ Harry KöppelFotos: Vera MarkusHarry Köppel an der Fleischtheke der Migros: «Arbeiten ist für die Psychesehr wichtig.»Am 24. August 2007 teilte uns die Oberärztin mit, dass dieDiagnose bulbäre <strong>ALS</strong> gesichert sei. <strong>ALS</strong> bedeutet <strong>Amyotrophe</strong><strong>Lateralsklerose</strong> und ist eine schwere und zum Teil sehrrasch verlaufende chronische Krankheit, bei der im Hirn- undRückenmark jene Nervenzellen geschädigt werden, die für dieSteuerung der Muskeln verantwortlich sind. Treten die erstenSymptome im Bereich der Sprech-, Kau- und Schluckmusku-9


info 03.08PERSÖNLICH5 |||latur auf, spricht man von der bulbären Form.<strong>ALS</strong> ist nicht heilbar, meine Lebenszeit sei auf drei bis fünfJahre begrenzt, hiess es. In diesem Moment brach für mich dieWelt zusammen. Die erste Zeit nach der Diagnose brauchteich ausschliesslich dafür, psychisch wieder auf die Beine zukommen und Kraft zu schöpfen. Vor allem meine Frau warin dieser Zeit unentwegt für mich da. Aber auch meine zweiSöhne sowie die Eltern haben mir Halt gegeben und dafürkann ich mich nur bei ihnen bedanken.Mit der Krankheit lebenIm September 2007 entschloss ich mich offen mit meinerKrankheit umzugehen. Ich informierte meinen Arbeitgeber, dieMigros, und alle Mitarbeiter der Filiale, wo ich als Chef Metzgerarbeite. Da bei der bulbären <strong>ALS</strong> die Sprache sehr schnellbeeinträchtigt ist, wollte ich dadurch verhindern, dass die Leutemeinen, ich würde trinken oder weitere Gerüchte entstünden.Für meine Freunde und Bekannte habe ich eine Homepagegemacht, um für sie Informationen über <strong>ALS</strong> zugänglich zumachen. So konnte ich die Zusammentreffen geniessen undmusste nicht andauernd über die Krankheit sprechen.Hilfe in Anspruch nehmenAls nächster Schritt haben wir externe Hilfe geholt. Die <strong>Schweizerische</strong><strong>Gesellschaft</strong> für Muskelkranke führte eine <strong>ALS</strong> Selbsthilfe-und Kontaktgruppe in Basel, bei der ich mich meldete.Die Leiterin Yvonne Frei hat mich daraufhin zu Hause sehrumfassend über <strong>ALS</strong> als Krankheit, die sozialversicherungstechnischenBelange und über die diversen Hilfsmittel informiert.Sie war mir eine grosse Hilfe. Ihr Tipp, immer sehrfrühzeitig alles in die Wege zu leiten, war sehr wichtig. So habeich daraufhin den ersten Schritt gemacht und mich bei der IVangemeldet. Zusammen mit meinem Arbeitgeber konnten wirmeine Nachfolge und den Abbau meines Pensums einleiten. Ichbin sehr dankbar, dass mich mein Arbeitgeber so unterstütztund ich dadurch immer noch arbeiten kann. Dies ist für diePsyche sehr wichtig.10


||| 6 PERSÖNLICHinfo 03.08Die psychologische AufarbeitungDurch das Buchprojekt, das durch die <strong>Gesellschaft</strong> für Muskelkrankezustande gekommen ist, habe ich mit der WissenschaftsjournalistinHelga Kessler zusammen gearbeitet.Sie hat mich interviewt und mir Fragen zu verschiedenenLebensbereichen gestellt. Diese Gespräche waren anfangs sehrhart für mich. Doch mit der Zeit stellte ich fest, dass sie mirhalfen die Krankheit zu verarbeiten. Parallel konnte ich an denCare Trainings teilnehmen. Diese Anlässe sind nach Themenwie Atmung, Ernährung und Pflege strukturiert und leiten indiese teils schwierigen Alltagsbereiche eines <strong>ALS</strong>- Betroffenenein. Hier konnte ich wieder viele Informationen und fachlicheTipps bekommen und auch Hilfsmittel anschauen und testen.Das half mir meine Ängste abzubauen.Das Muskelzentrum BaselDies führt uns zum Muskelzentrum in Basel. Im November2007 hatte ich die erste Konsultation bei Dr. med. Kathi Schweikertund PD Dr. med. Markus Weber. Sie haben mir deutlichgesagt, dass eine Heilung nicht möglich ist. Aber sie würdenmir helfen solange wie möglich meine Lebensqualität zu erhalten.Immer auch abhängig vom Verlauf der Krankheit. Manmuss dazu wissen, dass die Verläufe bei <strong>ALS</strong> von Patient zuPatient verschieden sind. Also auch nicht zeitlich vorhersehbar.Mit dieser Information konnte ich natürlich wenig anfangen.Abgesehen von meiner leicht verwaschenen Aussprache ginges mir ja noch gut. Aber der Verlauf geht immer weiter, undalle drei Monate trifft man erneut die Ärzte.Jede Untersuchung beginnt mit einem ausführlichen Gesprächüber den allgemeinen Zustand. Es wird gefragt ob es neueProbleme gibt, wie sich der Zustand verändert hat seit demletzten Mal. Daraufhin folgt die zweite Untersuchung undeine komplexe Behandlungsstrategie wird beschlossen. Sowurde ich in die Physiotherapie geschickt und bei der Logopädieangemeldet. Es wurden meine Lunge, der Geschmackssinnuntersucht sowie eine Endoskopie meiner Stimmbänderdurchgeführt.11


info 03.08PERSÖNLICH7 |||Die multidisziplinäre BehandlungDiese ganzheitliche Behandlung des Muskelzentrums hat sichfür mich als sehr erfolgreich und wichtig erwiesen. In derLogopädie konnte ich meine Sprechweise umstellen, da ichmit der Kopfstimme mittlerweise nicht mehr sprechen konnte.Meine Physiotherapeuten kümmerten sich um den Muskelerhalt,meine Beweglichkeit und das Gleichgewicht. Parallel dazubesuche ich eine Atemtherapie in der Physiotherapie, wodurchich wieder besser atmen und sprechen kann. Und ich kannHarry Köppel bei der Untersuchung von Dr. med. Kathi Schweikertim Muskelzentrum Baselmich jederzeit dort melden wenn ich Probleme habe. So binich dankbar für dieses Netzwerk an Fachpersonen, das mirdurch das Muskelzentrum Basel zur Verfügung steht.Das Leben bis zum Schluss geniessenFür mich ist die Lebensqualität zentral geworden. Nur durchdie Zusammenarbeit und Hilfe von Vielen kann ich meine12


||| 8 PERSÖNLICHinfo 03.08«Diese Zeit hat michgelehrt, dass Vielesnicht mehr selbstverständlichist. Sei es einSpaziergang, bei demman den Wind undden Regen auf der Hautspürt oder ein spontanesEssen im Restaurantmit meiner Frau.»Lebensqualität so gut es geht erhalten. Hierfür möchte ich Allen danken, die michdarin unterstützen. Außerdem möchte ich das Leben geniessen. Diese Zeit hatmich gelehrt, dass Vieles nicht mehr selbstverständlich ist. Sei es ein Spaziergang,bei dem man Wind und Regen auf der Haut spürt oder ein spontanes Essen imRestaurant mit meiner Frau.Und ich reise wie noch nie: Dieses Jahr war ich im Goms im Wallis und in Barcelona.Mit meiner Frau habe ich eine Mittelmeer Kreuzfahrt gemacht. AnfangsSeptember flog ich mit einem Zeppelin. Bald darauf ging es für eine Woche nachRhodos. Dadurch konnte ich den <strong>ALS</strong> Tag leider nicht besuchen, aber wie schongesagt «Man soll das Leben geniessen!»Und ich hoffe, wie viele an <strong>ALS</strong> erkrankte Menschen, dass die «gute Zeit» noch solange wie möglich lange anhält, und die Leidenszeit zum Ende möglichst kurz ist.13


||| 4 PERSÖNLICHinfo 03.09Fotos: Vera MarkusDer Lightwriter half uns in der letztengemeinsamen Zeit noch zu kommunizierenMadelon Anderwert ist in Holland geboren und lebt schon seit 41 Jahren in derSchweiz. Ihr Mann, Bruno, ist vor knapp einem Jahr an <strong>Amyotrophe</strong>r <strong>Lateralsklerose</strong>(<strong>ALS</strong>) verstorben. In dieser Ausgabe berichtet Frau Anderwert über dieKrankheit ihres Mannes und wie der Lightwriter auch am Schluss der Krankheiteine Kommunikation noch möglich machte./ Madelon AnderwertMein Mann war als Bordtechniker bei der Swissair beruflichimmer viel unterwegs, während ich im Zürcher Weinland dieKinder gross zog und den Haushalt führte. Privat war er auchsozial sehr engagiert. Die letzten zehn Jahre arbeitete er alsFreiwilliger für die MS <strong>Gesellschaft</strong> im Züricher Weinland,organisierte die Transporte, begleitete Ausflüge und half denMS-Patienten unter anderem ein- und auszusteigen.14


info 03.09PERSÖNLICH5 |||Madelon Anderwertam Grab ihres Mannes.Die KrankheitNie hätten wir uns gedacht, dass auch er eines Tages einenRollstuhl brauchen würde. Die Diagnose <strong>ALS</strong> erhielten wirim März 2007. Im September 2006 waren wir noch auf einerReise in Kanada und haben viel Englisch gesprochen. Daswar alles gar kein Problem. Erst als wir wieder zu Hausewaren, habe ich bemerkt, dass er manchmal so undeutlichsprach. Ich musste ihn oft auffordern «sag das noch mal, ichhab dich nicht verstanden». Das «r» konnte er fast gar nichtmehr aussprechen. Er ging zum Hausarzt und wurde an denNeurologen verwiesen. Daraufhin folgte die Diagnose. Dochwas heisst das, was bedeutet «<strong>ALS</strong>»? Der Arzt sagte, er hat nocheine Lebenserwartung zwischen drei Monaten und 20 Jahren.Doch worauf stellt man sich ein mit so einer Aussage?Wir sind daraufhin ans Muskelzentrum/ <strong>ALS</strong> Clinic St.Gallen verwiesen worden und waren in sehr guten Händendort. Doch auch das kann dieses Schicksal nicht lindern. Beimeinem Mann hat sich rasch abgezeichnet, dass es ein relativschneller Verlauf von <strong>ALS</strong> war. Er litt an der bulbären Form,bei der die im Hirnstamm liegenden motorischen Nervenzellenzuerst betroffen sind, d.h. der Abbau der Muskulatur begannrund um den Sprach-, Kau- und Schluckapparat.Man tut, was zu tun istIch habe meinen Mann sehr geliebt und <strong>ALS</strong> ist eine herzzerreissendeund brutale Krankheit - sowohl für die Betroffenenselbst, als auch vor allem für die Partner und Angehörigen.Mein Mann hat immer gesagt, er habe seine Kranheit angenommen,jedoch nie akzeptiert. Doch es gibt wenig zu entscheiden,zu diskutieren; denn eigentlich hat man ja keine Wahl. Mantut, was zu tun ist.Mein Mann war eher ein introvertierter Typ, hat wenigergeredet, so dass ich dann noch mehr redete und er antwortete.Das ging auch relativ lange gut, später musste er sich dann miteinem kleinen Block und Stift behelfen. Gut ein Jahr nach derDiagnose, im Frühjahr 2008 war für uns klar, dass wir etwasmachen mussten, denn er konnte sich gar nicht mehr ausdrü-15


||| 6 PERSÖNLICHinfo 03.09Der Lightwriter - bis zum Schluss das Mittel zur Kommunikation.cken. Und wie können zwei Menschen den Alltag meistern,ohne irgendwie kommunizieren zu können, und zusätzlichin so einer Situation, wo plötzlich eine Art zeitliche Grenzeentsteht und es doch noch so viel zu sagen gäbe?Der Verlust der SpracheDer Verlust der Sprache war für uns das Schlimmste. Natürlichwar es auch tragisch, als er langsam die Kraft in seinenBeinen verlor und er zunehmend stürzte. Doch dann konnteer Gehstöcke benutzen und später einen Rollator oder einenRollstuhl. Schlimm war auch der Schritt zur künstlichenErnährung mit einer Magensonde, denn spätestens dann wirdklar, dass der letzte Rest an Lebensqualität langsam schwindet.Doch der Verlust der Sprache beendet auf eine eigentümlicheWeise die Art der Beziehung. Er will etwas sagen, doch kannes nicht, er braucht Hilfe und kann nicht beschreiben welcherArt. Ganz zu schweigen von den Gefühlen, die alle irgendwieauf der Strecke bleiben.So haben wir uns schon früh nach einer Sprachlösung16


info 03.09PERSÖNLICH7 |||In Gedenken an ihren Mann Bruno.umgesehen und sind zuerst auf das Projekt «Meine eigeneStimme» gestossen. Dafür wurde die Stimme von meinemMann aufgenommen, als er noch relativ gut sprechen konnte.Doch die Implementierung wäre sehr teuer geworden unddas Gerät war zu schwer, als dass er es immer hätte bei sichtragen können, so dass wir von dem Projekt abgesehen haben.Umso glücklicher waren wir, als wir über die <strong>Gesellschaft</strong> fürMuskelkranke zu einem «Lightwriter» gekommen sind, daswar im Frühling 2008, also ein Jahr nach der Diagnose.Der LightwriterDer Lightwriter ist ein handliches Gerät mit einem kleinenDisplay, das zur Kommunikation dient. Er hat so mit einerTastatur seine Fragen und Aussagen formulieren können unddiese wurden auf dem Display angezeigt. Es hätte auch eineSprachwiedergabe gegeben, allerdings war das so eine Computerstimme,die uns gar nicht gefallen hat, darum haben wirvon der Sprachwiedergabe abgesehen.Da Bruno recht schnell tippen konnte und auch seine17


||| 8 PERSÖNLICHinfo 03.09Fingerfertigkeit sehr lange intakt blieb, konnte er sich mit demLightwriter mitteilen. Auch wenn wir in einer Gruppe waren,konnte er eine Mitteilung speichern und das Gerät in dieRunde geben. Er trug das Gerät immer bei sich, was auch eingrosser Vorteil war. Natürlich ersetzt so was nicht die Sprache,ein ausführliches Gespräch war nicht mehr möglich, aber esdeckt immerhin das Grundbedürfnis an Kommunikation unddas reichte für das Nötigste.Und auch jetzt im Nachhinein bin ich froh, dass wir auchdie letzten Monate noch miteinander «sprechen» konnten under mir so das Wichtigste mitteilen konnte. Daher gilt meingrosser Dank der <strong>Gesellschaft</strong> für Muskelkranke, die diesesofortige Hilfe zur Verfügung gestellt hat. Es hätte noch vieleDienstleistungen und Veranstaltungen gegeben, die ich oderwir beide gerne besucht hätten, doch unsere Zeit war so kurzund die Kraft nahm stetig ab, so dass wir schlussendlich diemeiste Zeit gemeinsam für den Alltag aufbrachten.Ein neuer LebensabschnittFür mich bleibt jetzt die Zeit für mich alleine. Vielleicht besucheich jetzt auch einmal eine Veranstaltung für Hinterbliebene von<strong>ALS</strong>-Betroffenen. Und ich geniesse das Leben mit meinen Kindernund Kleinkindern und hoffe, dass ich nicht noch einmaldas Schicksal einer so brutalen Krankheit antreffen werde.// Eine Dienstleistung der <strong>Gesellschaft</strong> für MuskelkrankeDie <strong>Gesellschaft</strong> für Muskelkranke verleiht kostenlosLightwriter – und nun auch das modernere Modell Speakout– an Betroffene Mitglieder der <strong>Gesellschaft</strong>. Zudem hatsie ihre Dienstleistungen im Hilfsmittelbereich in Zusammenarbeitmit Active Communication ausgebaut, mit demZiel, den Bezug von Hilfsmitteln zeitlich zu verbessern undmehr Hilfsmittel zur Verfügung stellen zu können. WeitereInformationen erhalten Sie über die Geschäftsstelle.18


| | | 4 PERSÖNLICHinfo 03.10«Wenn du anfängst über das Schicksal zuhadern, kommst du nicht mehr raus!»Martin Zutter ist Mitte 50 und wurde 2007 mit dem Verdacht auf <strong>Amyotrophe</strong><strong>Lateralsklerose</strong> (<strong>ALS</strong>) konfrontiert. Dieser Verdacht war verwirrend undführte dazu, dass er die Krankheit zuerst nicht ernst genommen hat.Doch der Verdacht bestätigte sich. Trotzdem – oder gerade deswegen – packtMartin Zutter sein Leben an und macht das Beste aus allem, was noch geht./ Das Gespräch mit Martin Zutter führte Simone ManapDie <strong>Amyotrophe</strong> <strong>Lateralsklerose</strong> (<strong>ALS</strong>) ist eine schwere chronische,unheilbare Krankheit, bei der in Hirn- und Rückenmarkjene Nervenzellen geschädigt werden, die für die Steuerungder Muskeln verantwortlich sind. In diesem Interview sprichtMartin Zutter über die Diagnose, die Veränderungen im Alltagund im Leben, wie auch über die Zukunft. Viel von dieserSensibilität und Intensität, mit der Martin Zutter sein Lebengestaltet, würde uns allen gut tun.Wie war für dich der Moment der Diagnose?Dieses Verdachtsmoment war verwirrend. Ich dachte, es ist janur ein Verdacht. Das hat dazu geführt, dass ich für die nächstenpaar Wochen der Krankheit gegenüber auf Abwehrhaltunggestanden habe. Schliesslich hatte ich schon seit vielleicht zweiJahren verschiedene Symptome. Aber so wurden die einzelnenSymptome behandelt; Magnesium gegen Krämpfe, Schmerzmittelgegen Hüft- oder Rückenschmerzen, Aufbautrainingsgegen Kraftverlust und Gehschwierigkeiten usw. Erst als ichstarke Faszikulationen (Muskelzuckungen) bekam, hat michmein Arzt zu ersten Abklärungen ins Inselspital geschickt.Wann ist für dich der Punkt gekommen, wo du dein Lebenneu angepackt hast?Das hat für mich schon einen Moment gedauert. Mit den nahenVerwandten haben wir zwar zwei bis drei Monate später gesprochen.Im Geschäft und in der Öffentlichkeit habe ich lange19


info 03.10 PERSÖNLICH 5 | | |Fotos: Vera Markus«Flamme ist natürlich viel mehr als nur ein Hilfshund. Er ist immer in meiner Nähe,so dass ich nicht mehr alleine bin.»nichts erzählt. Da hatte sich schon eine ungeheure Angst breitgemacht; wie reagieren die Leute darauf? Was passiert mitmir, wenn ich gar nichts mehr kann? Im Herbst 2008 war ichin der Rehaklinik in Leukerbad. Diese Zeit hat mich gelehrtauf meinen Körper zu hören und die Krankheit anzunehmen.Danach habe ich mich entschieden, die Arbeit aufzugeben unddie verbleibende Zeit mit meiner Familie zu geniessen.Was sind die gravierendsten Veränderungen, die <strong>ALS</strong> mitsich gebracht hat für dich?Anfangs hatte ich stark mit den materiellen Verlusten gekämpft.Wir haben das Haus verkauft, das Segelboot, schliesslich dasAuto. Du bist von heute auf Morgen niemand mehr; ohne Führerschein,Funktion und Verantwortung – in unserer <strong>Gesellschaft</strong>sind diese Werte elementar. Da stellst du dir dann schondie Frage, wozu hast du das alles gemacht?20


| | | 6 PERSÖNLICHinfo 03.10Flamme in Aktion: er hilft Martin Zutter gefühlvoll beim Socken ausziehen.Das Positive daran ist, dass ich viel intensiver lebe. Auchstressfrei – das ist in unserer <strong>Gesellschaft</strong> ja kaum noch möglich.Im Umgang mit so einer Krankheit lernt man, oder mussman lernen, auf den Körper zu hören, sich nicht zu sehrbeeinflussen oder bewerten zu lassen, sich nicht stressen zulassen… das ist für mich sehr wichtig. Sobald man anfängtmit dem Schicksal zu hadern, kommt man aus den Fragen«wieso ich?», «warum das?», nicht mehr raus. Das führt zuzerstörerischem Selbstmitleid.Du hast drei Töchter, eine Frau – wie gehen sie damit um?Die Kinder sind erwachsen, wir haben ein gutes Verhältnisund treffen uns, wie es ihr eigenständiges Leben und der Berufzulässt. Trotzdem kann ich nicht genau beurteilen, wie esihnen damit geht, denn wir sprechen selten über die Krankheit.Meine Frau und ich mussten anfangs einmal eine Auszeitnehmen, um uns zu überlegen, wie wir das anpacken. Ich finde21


info 03.10 PERSÖNLICH 7 | | |uns ein tolles Team, in dem sie zurzeit mehr arbeitet und michauch noch pflegt, das ist schon eine Belastung. Doch sobaldetwas nicht mehr geht, suchen wir zusammen neue Lösungen.Wir sind beide sehr positiv denkende Menschen und das Guteist ja, dass der eine meistens stärker ist als der andere. Dannholt man sich gegenseitig wieder ab.Was sind deine Kraftquellen?Die Natur gibt mir Kraft; rauszugehen, die Sonne, den Regenund den Wind auf meiner Haut zu spüren. Natürlich auch meineFrau, die Familie und Freunde, die mir nahe stehen und meineEntwicklungen mitmachen – ohne sie ginge es nicht. Zudemhaben Glaube, Hoffnung, Liebe und Dankbarkeit einen grossenPlatz bei mir eingenommen.Ausserdem begleitet mich seit diesem Jahr «Flamme»!Er ist ein Begleithund von Le Copain, der mir im Alltag hilft,aber natürlich viel mehr ist als nur ein Hilfshund, der Türenöffnet oder die Socken auszieht. Er ist immer in meiner Nähe,so dass ich nicht mehr alleine bin, auch wenn wir raus gehen,hilft er, das Eis zu brechen, ein Gespräch kommt dann überihn in Gang. Es ist eine wahre Freude ihn beim Spielen zubeobachten, oder wenn er sich zu meinen Füssen legt, damitich ihn streicheln kann.Was sind deine wichtigsten Erfahrungen im Zusammenhangmit der Krankheit?Das Wichtigste für mich ist den Lernprozess anzunehmen. Ein<strong>ALS</strong>-Betroffener muss sich ständig mit neuen Veränderungenauseinandersetzen: zuerst Medikamente, dann ein Rollator (statteines Autos), ein Rollstuhl, Beatmungsgerät… schlussendlichwehrt man sich gegen alles. Aber irgendwann merkst du, wiehilfreich alles ist. Aus diesem Prozess lernt man auch Hilfeanzunehmen – von allen Seiten, meiner Frau, extern, der Spitex,Hilfsmitteln – und das ist essentiell.Dadurch kann ich Kraft sparen und habe so mehr Reserven.Ausserdem pflege ich den Kontakt mit Freunden viel mehr.Und gerade ich kann nicht erwarten, dass die Mitmenschen22


| | | 8 PERSÖNLICHinfo 03.10immer etwas für mich organisieren, ich muss selbst aktiv sein.Sich zu Hause in Selbstmitleid aufzulösen, bringt nichts. Sogönne ich mir jede Woche ein Highlight, sei es ein Ausflug,ein Essen mit Freunden – sozusagen ein Tag Ferien. Danachmuss ich mich wieder erholen und kann mich bereits auf dasnächste kleine Highlight freuen.Wie äussert sich die Trauer?Ich bin ständig am Loslassen; die Funktion der Beine, derArme, das geht immer weiter. Je länger diese Zeit andauert,das Loslassen sowie das Abschiednehmen von etwas, destolänger spürt man auch die Trauer. Mit jedem dieser Erlebnissehalte ich mich an das, was ich noch kann. Jetzt kann ich z.B.seit kurzem nicht mehr malen. Für mich ist das tragisch, dochnun sage ich mir, jetzt kann ich etwas länger mit dem Hundspazieren gehen. Oder mit meiner Frau einen Gläschen Weinauf der Terrasse trinken!Was wünschst du dir?Umso mehr wünsche ich mir, dass unsere Mitmenschen etwaseinfühlsamer mit betroffenen Menschen umgehen; z.B. Vorurteileabbauen gegenüber Menschen, denen man eine Krankheitnicht ansieht, es sind nicht alles Simulanten! Es gehört auchdazu zu respektieren, dass man nicht immer über die Krankheitreden kann oder will.Zudem wünsche ich mir, dass uns weniger Hindernisseund Hürden in den Weg gelegt werden. Immer wieder trifftman eine Situation an, wo ein Restaurant rollstuhlgängig ausgeschriebenist, aber das einfach nicht zutrifft, weil z.B., keinIV-WC vorhanden, dieses mit Material überladen oder sogargeschlossen ist. Das sind Dämpfer. Man merkt, es ist denMenschen nicht so wichtig. Wenn die Leute allgemein etwassensibler wären Behinderten gegenüber, könnte man schonviel bewirken.Ich würde allen betroffenen Menschen wünschen, Hilfeannehmen zu können und nicht darüber hadern, was nichtmehr geht, sondern sich darüber erfreuen, was noch geht!23


info 03.10 SEITENWECHSEL 9 | | |Diagnose <strong>ALS</strong> – wie geht es den Kindern?Die Diagnose <strong>ALS</strong> ist ein Schock, den in erster Linie die Betroffenen selbst unddie Partner davon tragen. Während die Eltern den Alltag Schritt für Schrittwieder aufgleisen müssen, leiden die Kinder oft im Stillen. Christoph Köppelaus Aesch (BL) schildert in diesem Seitenwechsel seine Erfahrungen mit derDiagnose seines Vaters Harry./ Christoph KöppelDie Diagnose <strong>Amyotrophe</strong> <strong>Lateralsklerose</strong> <strong>ALS</strong> kommt wohlimmer ziemlich unvermittelt. Auch unsere Familie hat sieaus heiterem Himmel erwischt. Ich hatte gerade ein bisscheneine schwierige Zeit mit der Berufswahl und kämpfte so mitden Problemen und Ängsten, die mit meinem Alter verbundenwaren. Weil mich meine Eltern nicht zusätzlich belastenwollten, hat mich die Heftigkeit der Diagnose erst etwa einhalbes Jahr später eingeholt.Ängste und SchuldgefühleIch wusste nicht recht, was ich jetzt tun soll. Irgendwie habe icheinfach weiter gelebt und ich fand es seltsam, dass ich mir nichtmehr Sorgen machte. Zunehmend hatte ich Schuldgefühle,die mich nachts wach bleiben liessen. Ich habe mir immergedacht, dass ich zu wenig Zeit mit meinem Vater verbrachthabe – und immer noch verbringe! Ich zog mich mehr undmehr von zu Hause zurück und wurde introvertierter, anstattmeine Sorgen mit meinen Eltern zu teilen.Manchmal kam auch der Gedanke auf, was ist, wennmeiner Mutter oder meiner Freundin jetzt auch noch etwaspassiert? Doch diese Angst habe ich schnell wieder abgeschüttelt.Vor allem meine Freundin hat mir in dieser ZeitKraft gegeben und mich oft wieder aufpeppen müssen, damitich weiterhin morgens aufstehe und zur Schule gehe. Mit derZeit war das dann eine Belastung für sie, weil ich einfach allesbei ihr abgeladen habe. Das hat sich im Nachhinein als grosserFehler herausgestellt.24


| | | 10 SEITENWECHSELinfo 03.10Hilfe beanspruchenIrgendwann ging die Situation so gar nicht mehr, weder fürmich im Umgang zu Hause, noch für meine Freundin, die mitmir schwer zu tragen hatte. Ich konnte in dieser Zeit die Hilfeeines Therapeuten beanspruchen, der mich stark unterstützthat. Einmal kamen meine Eltern auch mit zu meinem Therapeutenund ich konnte mit beiden klärende Gespräche führenund unsere Beziehung zueinander wieder verbessern.Der Therapeut half mir auch im Bezug auf meine Schuldgefühlemeinen Vater direkt anzusprechen. Mein Vater meintedann, er findet es ok, so wie es ist. Die Krankheit sei sozusagenin einem blöden Moment dazwischen gekommen. Er hat Verständnis,dass ich mich in der Ablösungsphase vom Elternhausbefinde. Ich bin erleichtert darüber, dass er es trotzdem unterstützt,wenn ich manchmal lieber mit Freunden oder meinerFreundin unterwegs bin. Dadurch habe ich vor allem gelernt,dass mein Vater mir mit seinen Erfahrungen helfen kann, auchwenn er manchmal selbst verzweifelt ist.Im Nachhinein denke ich, habe ich ziemlich viele Kanälegenutzt um mir helfen zu lassen, auch wenn dies nicht immerganz fair war. Trotzdem finde ich, dass ich genügend Unterstützungerhalten habe und diese auch weiterhin bekomme.Mittlerweile habe ich ein offenes Verhältnis mit meiner Mutterund meinem Vater. Ich kann mit beiden und auch noch mitmeinem Bruder Patrick reden, wenn mich etwas belastet.Jeder hat seine Art zu trauernJeder geht anders mit dem Schock und auch der Trauer um. Eskommen durch diese Diagnose so viele Ängste auf einen zuund diese muss man einfach irgendwie bewältigen. Ich verstehemeine erste Reaktion, als ich mich mehr und mehr von zuHause abgewendet habe, jetzt besser und vor allem nicht mehrso negativ. Ich bin der Ansicht, dass jeder seine Art zu trauernhat und, dass es bei mir halt etwas ruhiger abläuft. Jetzt probiereich möglichst viel Normalität in meinen Alltag zu bringen undmöchte meinen Vater unterstützen, indem ich ihm nicht nochweitere Sorgen auflade, denn er hat bereits genug zu tragen.25


SEITENWECHSELinfo 03.10 11 | | |Foto: Vera MarkusAus dem Buch «Starke Leben. Wie Muskelkranke ihren Alltag bewältigen» vonHelga Kessler (2009). Christoph, rechts im Bild, mit seinem Vater Harry und seinemBruder Patrick.Ich wünsche mir, dass mein Vater seinen Alltag bei unszuhause bleiben und, dass er hier noch schöne Tage verbringenkann – von diesen möglichst viele! Ausserdem hoffe ich fest,dass er genug lange bei uns bleiben kann um zu erfahren, wasaus mir werden wird oder geworden ist.26


Weitere Broschüren<strong>Amyotrophe</strong> <strong>Lateralsklerose</strong> (<strong>ALS</strong>)/ <strong>Amyotrophe</strong> <strong>Lateralsklerose</strong> (<strong>ALS</strong>) * gratis _____Eine Broschüre der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für Muskelkranke SGMKWissenschaftliche Überarbeitung PD Dr. med. Markus Weber/ <strong>Amyotrophe</strong> <strong>Lateralsklerose</strong> (<strong>ALS</strong>) - Selbsthilfegruppen * gratis _____Eine Broschüre der <strong>Schweizerische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für Muskelkranke SGMKMitarbeit Verena Hunziker/ <strong>ALS</strong>. Mit der Krankheit leben lernen 10.– _____Ein Handbuch der DGM mit praktischen Hilfen für Betroffene und Angehörigemit einem Schweizer Informationsteil auf S. 94/ <strong>Amyotrophe</strong> <strong>Lateralsklerose</strong> (<strong>ALS</strong>). Eine Information für Patientenund AngehörigeHerausgegeben von der DGM und der Schweiz. <strong>Gesellschaft</strong> für Muskelkranke10.– _____// BestellungBitte senden Sie die oben vermerkten Publikationen mit Rechnung* an:Vorname, NameStrasse, HausnummerPLZ, OrtDatum, UnterschriftBemerkung* Bei grossen / schweren Mengen erheben wir einenUnkostenbeitrag für Versandspesen.MitgliedNichtmitglied<strong>Schweizerische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für Muskelkranke SGMK, Kanzleistrasse 808004 Zürich, Telefon 044 245 80 30, Fax 044 245 80 31, info@muskelkrank.ch27


Die <strong>Gesellschaft</strong> fürMuskelkranke ist von derZEWO als gemeinnütziganerkannt.<strong>Schweizerische</strong> <strong>Gesellschaft</strong>für Muskelkranke SGMKKanzleistrasse 80CH-8004 ZürichTelefon +41 (0)44 245 80 30Fax +41 (0)44 245 80 31PC-Konto 80-29554-428info@muskelkrank.chwww.muskelkrank.ch

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