herunterladen. - Bremer Frauenmuseum
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Rede zum Grundgesetztag in der<br />
Bremischen Bürgerschaft am 23. Mai<br />
2005<br />
Vorkämpferinnen der freiheitlichen und<br />
sozialen Demokratie<br />
Heute, am Grundgesetztag, dem<br />
23. Mai, sind wir auf Einladung der<br />
"Vereinigung zur Förderung des Peti-<br />
tionsrechts in der Demokratie" zusam-<br />
mengekommen, um der Menschen zu<br />
gedenken, die in Deutschland am Beginn<br />
der demokratischen Epoche stehen. Viele<br />
von ihnen sind weitgehend vergessen, und<br />
doch haben sie durch ihren Einsatz die<br />
Grundlage vorbereitet, auf der unsere Re-<br />
publik nach dem Zweiten Weltkrieg neu<br />
aufgebaut werden konnte.<br />
Zu meiner Freude finden wir auf<br />
dieser Ehren- und Gedenktafel den<br />
Namen einer Frau aus Bremen, und ich<br />
werde versuchen, ihren Lebensweg durch<br />
das 19. Jahrhundert darzustellen. Wer war<br />
diese Frau, die als Vorkämpferin der frei-<br />
heitlichen und sozialen Demokratie in<br />
Anspruch genommen wird? Eine politische<br />
Laufbahn war Marie Mindermann keines-<br />
wegs an der Wiege gesungen worden. Als<br />
vierte Tochter eines Drechslermeisters<br />
wurde sie im Dezember 1808 in Bremen<br />
geboren und verlebte ihre Kindheit mitten<br />
in der Altstadt, da, wo heute das Ge-<br />
richtsgebäude steht. Als Handwerker-<br />
tochter gehörte sie den "niederen Stän-<br />
den" an, keineswegs aber dem Proletariat.<br />
Nicht umsonst hatte ihr Vater sich vom<br />
einfachen Tischler zum Drechslermeister<br />
qualifiziert.<br />
Schon früh zeigte sich ihre große<br />
Begabung - sie konnte mit fünf Jahren<br />
Texte aus der Bibel flüssig vorlesen und<br />
verfasste später ihre Schulaufsätze in<br />
Gedichtform. Trotzdem wurde ihr Bil-<br />
dungsweg nach sieben Jahren an der<br />
Domschule und einem Jahr Konfirman-<br />
denunterricht jäh beendet - mehr war für<br />
ein Mädchen aus ihren Kreisen in dem<br />
rückständigen <strong>Bremer</strong> Schulsystem nicht<br />
vorgesehen. Marie hatte den Wunsch,<br />
Lehrerin zu werden, wie so viele junge<br />
Frauen, die entsprechend dem Zeitgeist in<br />
einer besseren Bildung für die Massen die<br />
Lösung für fast alle sozialen Übelstände<br />
erblickten. Trotz der Unterstützung durch<br />
ihre Mutter konnte Marie ihren Plan nicht<br />
verwirklichen. Sie sei zu zart für diesen<br />
Beruf, die Ausbildung zu teuer, warnten<br />
die pädagogischen Autoritäten. Schließlich<br />
machte der Vater mit seinem Veto alle<br />
Zukunftsträume seiner Tochter zunichte.<br />
Das war für Marie eine bittere Ent-<br />
täuschung. Ihr in der Jugend ungestillter<br />
Bildungshunger war für sie ein Leben lang<br />
Stachel und Ansporn, sich Wissen aus<br />
eigener Kraft anzueignen. Wenn sie nun<br />
auch gezwungen war, als Haustochter für<br />
ihre Eltern zu arbeiten, so nutzte sie doch<br />
mit erstaunlicher Energie jede freie<br />
Minute, um zu lernen und auch zu schrei-<br />
ben. Einige Gedichte konnte sie sogar<br />
anonym veröffentlichen.<br />
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