Emil Nolde & Werner Berg - Werner Berg Galerie
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<strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong> an Eitel Klein,<br />
Rutarhof, den 15. Oktober 1931<br />
schaft ist nicht zu beschreiben, der Blick aber geht nach allen Seiten weit hinaus<br />
bis auf jugoslawische und italienische <strong>Berg</strong>e. Die Menschen hier, fast ausnahmslos<br />
windisch und windisch sprechend sind überaus »merkwürdig« (muss man schon<br />
sagen), das Gegenteil von allem Trachten- und Schablonenmäßigen. Dabei hängen<br />
hier sehr viele Bräuche fest von tiefster Ursprünglichkeit. Hier muss man in<br />
der für uns so notwendigen Spannung bleiben, weit eher als in dem satten, üppigen,<br />
auch schönen Bayern. – Uns allen geht es sehr gut, zwei kleinere Anfälle sind<br />
gut überstanden. Meine Frau hatte eine heiklige Blutvergiftung an der rechten<br />
Hand, die geschnitten werden musste, mir durchstieß gleich im Anfang ein Rind<br />
die Oberlippe mit dem Horn. Beides ist gut ausgeheilt.<br />
Wenn Dir einmal die Zeit zu gar nichts nutz ist, schreibe wieder zum Rutarhof und<br />
auch von Deiner Arbeit. So sehr wir uns auch gerade über unsere Einsamkeit freuen,<br />
Post haben wir doch immer gern. Aber das Schreiben! Die Briefe, die ich von<br />
hier geschrieben habe, zu zählen, dazu brauchte eine Hand keine fünf Finger<br />
haben. Man kommt einfach nicht zum Schreiben. …<br />
Herzlich grüßen Dich Deine 3 <strong>Berg</strong>ln, die Urschl ist schon ein rechtes Bauernweibi<br />
und ganz in ihrem Element.<br />
In diesem Jahre kann ich vor Ende November noch nicht nach München kommen<br />
und muss schauen, ob ich mich vorher auf schriftlichem Wege (für die Akademie)<br />
einschreiben kann. Anfang November wird, wie wir hoffen, unsere kleine Familie<br />
etwas größer. Heute habe ich an den Alten (Prof. Karl Caspar) geschrieben, ob ich<br />
ein Atelier bekomme. Wenn ja, komme ich in diesem Winter bestimmt vor und<br />
nach Weihnachten einige Wochen nach München. Fiele mir das Schreiben nicht<br />
so schwer und wäre die Zeit nicht so unendlich knapp bei uns, dann möchte ich<br />
Dir gern einmal mehr von unserem Leben, d. i. Arbeiten erzählen. Aber womit<br />
sollte ich anfangen –<br />
Den 26. Oktober<br />
So geht das bei uns. Zwischen diesen und den letzten Zeilen liegen aber einige sehr<br />
schöne Tage, die ich mit meiner Frau fort war – am Weißensee in Oberkärnten.<br />
Nach der vielen Arbeit taten uns diese fünf Tage Ruhe sehr gut und meiner Frau<br />
waren sie diesmal besonders Not. Heute haben wir Schnee hier, zum ersten Mal<br />
heuer, ich traute meinen Augen nicht, wie ich zum Atelier hinaussah. Die letzten<br />
Wochen waren sonst noch durchwegs klar und voll Sonne. Alles haben wir gut eingebracht,<br />
nach dem Getreide und den Bohnen die Kartoffeln und die Rüben. Jetzt<br />
müssen wir nur noch viel Waldstreu und Holz machen, zum Ersteren könnten wir<br />
noch warmes Wetter gebrauchen. …<br />
Hoffentlich hast Du in der letzten Zeit besser arbeiten können, ich kann Dir gut<br />
nachfühlen, wie Dir die Misere draußen an den Kragen geht. Dieses halbe Jahr hat<br />
sicher von uns allen das Äußerste erfordert, aber ich bin doch recht zufrieden und<br />
habe auch für mich einiges arbeiten können. Wir müssen ja soviel arbeiten, wenn<br />
wir dahin kommen wollen, wohin ein jeder von uns will!<br />
Im November 1931 schreibt <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong> erstmals an <strong>Emil</strong> <strong>Nolde</strong>:<br />
<strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong> an <strong>Emil</strong> <strong>Nolde</strong>,<br />
Rutarhof, den 12. 11. 1931<br />
* <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong> bezieht sich hier auf einen, in Max Sauerlandts 1921 erschienener<br />
<strong>Nolde</strong>-Monographie zitierten Brief <strong>Emil</strong> <strong>Nolde</strong>s an einen jungen Künstler:<br />
»Ihren Wunsch kann ich leider nicht erfüllen, weil ich keine Schüler nehme und weil<br />
ich bei der schaffenden Arbeit nicht gern Menschen um mich habe.<br />
Gern würde ich Ihnen beratend helfen, aber es ist so schwer etwas sagen, was richtig<br />
ist und Ihnen nützen kann.<br />
Der Weg zum Künstlerwerden kann durch die Akademie gehen – Kokoschka und<br />
Marc sind nicht verdorben worden –, er kann auch beim Bilden an anderen, an Privatschulen,<br />
durch sehr viel Arbeit und Selbstbildung zu einem Ziel führen. Letzteres<br />
war mein Weg.<br />
Sie sind jung und können bereits in voller Freiheit für Ihre Kunst leben. Das ist viel.<br />
Der Gedanke einer Möglichkeit, eine Akademie besuchen zu können, war vom 16. bis<br />
30. Jahr mein höchster Wunsch, und wie hätte ich gejubelt, wenn es möglich geworden<br />
wäre. Sie hatten dies und verschmähen es.<br />
Mit scheint, es macht gar nichts in den frühen Jahren, ob einer Stiefel putzt, Wissenschaft<br />
studiert, oder was sonst er machen muss: Ist in ihm der Trieb zum Bilden stark<br />
und führend, wird er sich einen Weg finden. Treten aber Neigungen hervor, die stärker<br />
sind, mag es Lebens- oder Erwerbsfreude sein, Ehre, Geselliges- oder Familienglück,<br />
oder was sonst, dann übernehmen diese die Führung, und das Künstlertum<br />
An <strong>Emil</strong> <strong>Nolde</strong>.<br />
Seit 2 Jahren will ich Ihnen schreiben und immer hielt mich die Scheu zurück. Im<br />
vorletzten Sommer trieb es mich mächtig, als ich zum ersten Mal viele Ihrer Bilder<br />
beisammen sah. Gestern Abend kam Ihr Lebensbuch auf unseren entlegenen<br />
<strong>Berg</strong>, in dieser Nacht habe ich es gelesen.<br />
Wohl weiß ich, was Sie früher einem jungen Künstler schrieben.* Oft habe ich<br />
gesucht nach einem wahren Meister und wurde bitter enttäuscht durch Artistentum<br />
oder brüchige Gesinnung. Verzeihen Sie: aber ich muss versuchen, eine<br />
Brücke zu dem einzigen Lebenden zu schlagen.<br />
Nach mannigfaltigem Schicksal habe ich mich, jung noch, mit Frau und Freund<br />
im slowenischen Unterkärnten angesiedelt. Wir bewirtschaften einen einsamen<br />
Bauernhof auf der Höhe, in einer Natur voll Pracht. Im Sommer habe ich mir eine<br />
Werkstatt gebaut zum Malen. Mein Weg zur Kunst ist noch weit und Einsicht<br />
zwingt mich zur Bescheidenheit, und dennoch habe ich Glauben und Vertrauen<br />
aus einem heißen und unbedingten Streben. Die Verhältnisse unseres äußeren<br />
Lebens sind denkbar einfach, aber nie eng. Nur in mir sind oft Enge und Zerrissenheit,<br />
wenn ich denke, was ich noch arbeiten möchte. Könnte ich nur einmal<br />
einem Künstler voll großer und unbedingter Menschlichkeit gegenüberstehen!<br />
Darf ich Sie in diesem Winter vor Weihnachten einmal aufsuchen, von München<br />
aus, wohin ich muss? Darum bitte ich aus einem heißen Herzen<br />
Ihr <strong>Werner</strong> <strong>Berg</strong><br />
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