2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Sebastian H. Schneider/Rolf Winkelmann – Die Grünen: eine Volkspartei? Aufsätze<br />
Programmatische Neuaufstellung in der Opposition<br />
Nach sieben Jahren in der Regierungsverantwortung<br />
fanden sich Die Grünen 2005 in der Opposition<br />
wieder. Diese Situation bot der Partei die<br />
Möglichkeit für eine programmatische Erneuerung.<br />
Gleichzeitig war die Situation von 2005<br />
aber auch exzeptionell. Die Grünen mussten wegen<br />
der Neuwahlen mit einem neuen Programm<br />
antreten. Hierin wurde ein starker Bezug auf die<br />
vergangene Legislaturperiode hergestellt (Wahlprogramm<br />
2005: 9-10 und 14). Abweichend zu<br />
früheren Programmen stand die Wirtschaftspolitik<br />
an erster Stelle, erst danach kam die Umweltpolitik.<br />
Nichtsdestotrotz blieb die Umweltpolitik<br />
die herausgehobene Konstante des Programms,<br />
die sich durch das ganze Programm zieht und<br />
dadurch die Priorisierung des Themenfeldes bewirkt.<br />
Umweltpolitik wird gleichgesetzt mit<br />
Wirtschaftspolitik (Wahlprogramm 2005: 13).<br />
Die Struktur des Programms mag sich kurzfristig<br />
geändert haben, der Duktus aber ist geblieben.<br />
In ihrem Wahlkampf 2009 verabschiedete die<br />
Partei ein Programm (Bundestagswahlprogramm<br />
2009), das sich primär an der Atomenergie- und<br />
Umweltpolitik orientierte und weitere damit einhergehende<br />
Aspekte wie Wirtschafts- und Agrarpolitik<br />
verbindet und deutlich an die Wurzeln<br />
der Partei erinnert. Die Partei erhob den Anspruch,<br />
den Bürgern und Wählern einen neuen<br />
Gesellschaftsvertrag anzubieten. Auch in den<br />
Bereichen Wirtschafts- und Sozialpolitik versuchen<br />
Die Grünen sich als kompetent zu positionieren.<br />
Insgesamt beinhaltet der ‚New Green<br />
Deal‘, wie Die Grünen ihr Wahlprogramm nennen,<br />
das Policy-Angebot allumfassender Parteien.<br />
Die Betonung sollte aber auf dem Wort<br />
Green liegen, denn wie bei den Programmen der<br />
Grünen für die Europawahlen 2004 und 2009<br />
liegt die thematische Priorität des Themas Umweltpolitik<br />
noch vor dem Thema Wirtschaft und<br />
unterscheidet sich dadurch von den anderen Parteien,<br />
die das Feld Wirtschaft betonen (Brunsbach<br />
et al. 2011: 56). Es zeigt sich, dass Die<br />
Grünen sich primär als Umweltpartei präsentieren<br />
und andere Themen ergänzend und kombiniert<br />
mit der Umweltpolitik anbieten.<br />
3. Theoretische und empirische Zugänge<br />
Wie gezeigt werden konnte, bemüht sich die<br />
Partei um eine ganzheitliche programmatische<br />
Positionierung. Doch was kommt beim Wähler<br />
bzw. in der Bevölkerung an? Empirisch stellt<br />
sich die Frage, ob sich in der Wahrnehmung der<br />
Grünen seit dem Jahr 2000 Veränderungen erkennen<br />
lassen. Um die Einschätzung von Parteien<br />
bezüglich ihrer wirtschafts- und sozialpolitischen<br />
Kompetenzen durch die Wählerschaft und<br />
deren Wandel zu erklären, bedarf es einiger Griffe<br />
in den Fundus der Sozialwissenschaften. Zunächst<br />
muss man die Rolle der Parteien innerhalb<br />
der Demokratie verdeutlichen. Deren Aufgabe<br />
ist es, Antworten auf komplexe gesellschaftliche<br />
Probleme zu bieten und diese mittels<br />
eines Programms verständlich zu kommunizieren,<br />
um sich anschließend bei Wahlen einer Abstimmung<br />
durch das Volk zu stellen (Downs<br />
1957). Dabei haben sich durch den geschichtlichen<br />
Hintergrund, insbesondere aufgrund zentraler<br />
‚cleavages‘ (Lipset & Rokkan 1967) jeweils<br />
eigene Schwerpunktthemen herausgebildet.<br />
Trotz aller Trends zur Individualisierung und<br />
programmatischer Flexibilität sind es diese althergebrachten<br />
Themen, die einen Einfluss auf<br />
den Wähler haben (Jun 2009: 241). Sie werden<br />
vom Wähler als Heuristiken zur Kompetenzeinschätzung<br />
herangezogen (McKelvey & Ordeshook<br />
1986; Rahn 1993; Popkin 1993; Lau &<br />
Redlawsk 2001). Vor allem durch die zeitaufwendige<br />
Informationsbeschaffung vor Wahlen<br />
(z. B. Verfolgung der Wahlberichterstattung, Lesen<br />
von Wahlprogrammen), scheint es kaum verwunderlich,<br />
dass der Durchschnittswähler ungern<br />
die Kosten auf sich nimmt, sich intensiv<br />
mit den Parteien und ihren Kandidaten zu befassen.<br />
Vielmehr dienen Heuristiken dazu, die Kosten<br />
der Wahlentscheidung zu reduzieren. Durch<br />
das Parteilabel werden Ideologie und zentrale<br />
Policy-Positionen vermittelt (zusammenfassend<br />
Lau & Redlawsk 2001: 953). Der Wähler denkt<br />
und handelt folglich keineswegs so elaboriert,<br />
wie es sich manche Vertreter der politischen Philosophie<br />
wünschen (Berelson et al. 1954: 322).<br />
Studien zeigen, dass der Kenntnisstand über das<br />
politische System und Tagesgeschäft gering ist<br />
(z. B. Luskin 1987; Delli Carpini 2000). Aus der<br />
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