2012, Heft 18, S. 5-15 - PRuF
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Aufsätze Daniel Totz – Mitglieder gesucht: Die Reform der SPD-Parteiorganisation MIP 2012 18. Jhrg. Mitglieder gesucht: Die Reform der SPD-Parteiorganisation Daniel Totz, M.A. 1 1. Einleitung „Es ist die größte Parteireform der vergangenen 30 Jahre“ 2 – so wortgewaltig bilanziert Andrea Nahles nach der Verabschiedung der Parteireform auf dem Bundesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) in Berlin, mehr als zwei Jahre, nachdem Parteichef Sigmar Gabriel auf dem Bundesparteitag in Dresden den Reformbedarf der Parteiorganisation verkündete. In diesen zwei Jahren ist viel passiert, ist viel Aufwand betrieben worden – eine Parteireform, die so ganz anders organisiert wurde als die unzähligen (und meist wenig erfolgreichen) Parteireformen zuvor. 3 Eine Parteireform, welche die Organisation der SPD umkrempeln sollte, war allein durch ihre Vorgehensweise schon eine Reform. Der vorliegende Aufsatz möchte die vergangenen zwei Jahre dieser Reformbemühungen nun nachzeichnen, die Diskussionsinhalte aufzeigen und wissenschaftlich einordnen. 2. Die Rahmenbedingungen der Parteireform Insgesamt lassen sich drei Hauptmotive ausmachen, die als Ursachen für das Streben nach innerparteilichen Reformen der Sozialdemokraten herangezogen werden können: Das schlechte Wahlergebnis der Bundestagswahl, das Einbrechen der Mitgliederzahlen seit der Wiedervereinigung sowie die Erkenntnis, dass die Partei auf den Einsatz und das Engagement ehrenamtlicher 1 Der Verfasser ist Referent für Parteiorganisation und Finanzen im SPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern. 2 Nahles, Andrea: http://www.tagesspiegel.de/politik/ parteireform-mitgliedsrechte-gestaerkt/5920212.html 3 Zu früheren Parteireformen siehe: Jun, Uwe (2009), S. 187-210; Schroeder, Wolfgang/Neumann, Arijana (2010); Bukow, Sebastian (2009); Reichart-Dreyer, Ingrid (2002); Walter-Rogg, Melanie/Mößner, Alexandra (2004); Kießling, Stefan (2001). 72 Parteimitglieder angewiesen ist. Zusätzlich ist zu analysieren, warum den Parteien die Mitglieder in Scharen davonlaufen. 2.1 Auslöser der Organisationsveränderung Auslöser 1: Das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl 2009 Die Reformbemühungen der Sozialdemokraten entstanden nicht zufällig im Herbst 2009. Bereits zwei Monate nach der krachenden Wahlniederlage verkündete die Parteispitze Reformen im organisatorischen Bereich. Dies geschah mitnichten aus der Erkenntnis, etwas an der Organisationsfähigkeit der SPD verbessern zu müssen. Parteien sind nämlich extrem strukturkonservative Organisationsformen, die sich nur schwer reformieren lassen. 4 Mit den Reformierungsplänen konnte die Parteiführung geschickt von der schweren Niederlage ablenken und sich gleichzeitig einen Amtsantrittsbonus bei den Mitgliedern „erkaufen“, indem man zeigte, dass man es mit Veränderungen ernst meint. Denn: Die Probleme in der Organisation der SPD (sinkende Mitgliederzahlen, in vielen Regionen kaum handlungsfähige Schlagkraft) sind nämlich nicht erst seit gestern zu beobachten. Auslöser 2: Sinkende Mitgliederzahlen Seit 1991 hat die SPD kontinuierlich Mitglieder verloren. Am 31.12.1990 hatte die SPD bundesweit 943.402 Parteimitglieder. 5 Innerhalb von nur zwanzig Jahren haben die Sozialdemokraten fast die Hälfte von diesen verloren – am 31.12.2010 waren nur noch 502.062 zahlende Parteimitglieder in der Datenbank der SPD registriert (-46,78%). Besonders in der jüngsten Vergangenheit verlor die SPD überproportional stark. So stammen vier der fünf höchsten jährlichen Verlustwerte aus der Zeit ab 2003. Allein im Jahr 2003 verlor die Partei 43.096 Genossen (-6,21% gegenüber 2002). Im Jahr 2004 verzeichnete man mit einem negativen Jahressaldo von 44.991 Mitgliedern (-6,91%) die höchsten 4 Vgl.: Harmel, Robert/Janda, Kenneth (1994), S. 277-283. 5 Alle Zahlen entstammen den Mitgliederberichten des SPD-Parteivorstandes. Darüber hinaus veröffentlicht Oskar Niedermayer jedes Jahr in der Zeitschrift für Parlamentsfragen aktuelle Zahlen.
MIP 2012 18. Jhrg. Daniel Totz – Mitglieder gesucht: Die Reform der SPD-Parteiorganisation Aufsätze Verluste seit der Wiedervereinigung. Ende 2011 hat die SPD weniger als 495.000 Mitglieder. Die Mitgliederverluste sind jedoch weniger auf Parteiaustritte als vielmehr auf fehlende Neueintritte zurückzuführen. Nur um die Mitgliederzahlen konstant zu halten, müsste die SPD deutlich mehr Eintritte als Austritte verbuchen, um so die Zahlen der verstorbenen Mitglieder auszugleichen. Da dies kaum mehr gelingt, muss die Partei Anreize zum Parteibeitritt schaffen. Einhergehend mit den dramatischen Mitgliederverlusten veränderten sich zudem die Altersstruktur und das Geschlechterverhältnis innerhalb der Parteimitglieder. Obgleich die Frauenquote eine positive Entwicklung aufweist, tritt bei der Aufschlüsselung der Parteimitglieder nach dem Alter genau das Gegenteil zu Tage. Die SPD-Mitgliedschaft ist in den letzten Jahren unaufhaltsam gealtert. Waren im Jahr 1975 noch fast ein Drittel der Parteimitglieder im Juso-Alter (30,3% in der Altersgruppe bis 34 Jahre), so liegt dieser Anteil heute nur noch bei 10,43%. Parallel zur Verringerung der Quote an Jungmitgliedern in der Partei stieg die Quote der über 60jährigen deutlich an und liegt heute bei über 50%. Der für die Partei sehr wichtige Anteil der Menschen im berufstätigen Alter (35-60 Jahre) verringerte sich ebenfalls sehr stark, weshalb diese Altersgruppe auch im Fokus der Parteireform steht. Auslöser 3: Die Wertschätzung von Parteimitgliedern wird erkannt Erst wenn sie nicht mehr da sind, merkt man, wie wichtig die Parteimitglieder für die tägliche Arbeit und insbesondere für die aktiven Zeiten im Wahlkampf sind. Diese Einsicht ist auch bei den Sozialdemokraten angekommen. „Unsere aktiven Mitglieder sind das Herz unserer Partei. Ohne sie könnten wir nicht erfolgreich sein“ 6 , heißt es zum Beispiel im Leitantrag für den ordentlichen Bundesparteitag im Dezember 2011 in Berlin. Bereits bei früheren Organisationsreformen betonte man die Wichtigkeit der Mitglieder für die Parteiarbeit und gab das Ziel aus, Mitgliedern mehr Möglichkeiten der aktiven Teilhabe zu bieten, um so die massiven Verluste 6 Leitantrag des SPD-Parteivorstandes zum Bundesparteitag im Dezember 2011, S. 13. in der Parteimitgliedschaft wieder aufzufangen. Es ist gleichwohl nichts passiert. Dabei sind die Sozialdemokraten dringend auf Mitglieder angewiesen, um weiterhin alle Aufgaben einer in der Bevölkerung verankerten Volkspartei wahrzunehmen. So sind Mitglieder wertvoll, um die Verbindung zwischen der Partei auf der einen und der Gesellschaft auf der anderen Seite wahrzunehmen und parteipolitische Positionen innerhalb der Gesellschaft zu verankern. Darüber hinaus sind Individuen, die sich in Parteien ehrenamtlich engagieren, oftmals auch Mitglieder weiterer (gemeinnütziger) Organisationen. Auch eine Verankerung in diesen Organisationen kann für eine Partei von Vorteil sein. Weiterhin spielen Mitglieder als ehrenamtliche Wahlkämpfer, sowie als Finanzierer ihrer Partei (z.B. durch Mitgliedsbeiträge und Spenden) eine Rolle. Nicht zuletzt stellen sie einen Personalpool für eine Vielzahl innerparteilicher und öffentlicher Ämter dar. 7 2.2 Warum verlieren die Parteien Mitglieder? Gesellschaftlicher Wandel und Parteienverkrustung Die Ursachen für diese massiven Verluste sind vielfältig und nicht nur in der Partei selbst zu suchen. Vielmehr sind die Parteien im Gesamten seit Anfang der 90er Jahre von sinkenden Mitgliederzahlen betroffen. Hatten im Jahr 1990 insgesamt 2.266.049 Menschen in der Bundesrepublik ein Parteibuch (auch bedingt durch die Vereinnahmung der alten Blockparteien durch CDU und FDP), so ging die Zahl seitdem stetig bergab8 . Ende 2010 gab es insgesamt weniger als 1,5 Millionen Parteimitglieder in Deutschland. Grundsätzlich ist bei der Suche nach den Ursachen für die Mitgliederverluste der Parteien zwischen externen und internen Gründen zu differenzieren. Besonders die internen Gründe sind für die Parteien von Interesse, kann nämlich hier angesetzt werden, diese zu verringern. Demgegenüber stehen die externen Ursachen, auf wel- 7 Für einen ersten Überblick empfehlen sich Poguntke, Thomas (2000); Decker, Frank (2007); Biehl, Heiko (2005); Detterbeck, Klaus (2009) sowie Schalt, Fabian et. al. (2009). 8 Vgl.: Wiesendahl, Elmar (2006), S. 31-39. 73
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MIP <strong>2012</strong> <strong>18</strong>. Jhrg. Daniel Totz – Mitglieder gesucht: Die Reform der SPD-Parteiorganisation Aufsätze<br />
Verluste seit der Wiedervereinigung. Ende 2011<br />
hat die SPD weniger als 495.000 Mitglieder. Die<br />
Mitgliederverluste sind jedoch weniger auf Parteiaustritte<br />
als vielmehr auf fehlende Neueintritte<br />
zurückzuführen. Nur um die Mitgliederzahlen<br />
konstant zu halten, müsste die SPD deutlich<br />
mehr Eintritte als Austritte verbuchen, um so die<br />
Zahlen der verstorbenen Mitglieder auszugleichen.<br />
Da dies kaum mehr gelingt, muss die Partei<br />
Anreize zum Parteibeitritt schaffen. Einhergehend<br />
mit den dramatischen Mitgliederverlusten<br />
veränderten sich zudem die Altersstruktur<br />
und das Geschlechterverhältnis innerhalb der<br />
Parteimitglieder. Obgleich die Frauenquote eine<br />
positive Entwicklung aufweist, tritt bei der Aufschlüsselung<br />
der Parteimitglieder nach dem Alter<br />
genau das Gegenteil zu Tage. Die SPD-Mitgliedschaft<br />
ist in den letzten Jahren unaufhaltsam<br />
gealtert. Waren im Jahr 1975 noch fast ein<br />
Drittel der Parteimitglieder im Juso-Alter<br />
(30,3% in der Altersgruppe bis 34 Jahre), so<br />
liegt dieser Anteil heute nur noch bei 10,43%.<br />
Parallel zur Verringerung der Quote an Jungmitgliedern<br />
in der Partei stieg die Quote der über<br />
60jährigen deutlich an und liegt heute bei über<br />
50%. Der für die Partei sehr wichtige Anteil der<br />
Menschen im berufstätigen Alter (35-60 Jahre)<br />
verringerte sich ebenfalls sehr stark, weshalb<br />
diese Altersgruppe auch im Fokus der Parteireform<br />
steht.<br />
Auslöser 3: Die Wertschätzung von Parteimitgliedern<br />
wird erkannt<br />
Erst wenn sie nicht mehr da sind, merkt man,<br />
wie wichtig die Parteimitglieder für die tägliche<br />
Arbeit und insbesondere für die aktiven Zeiten<br />
im Wahlkampf sind. Diese Einsicht ist auch bei<br />
den Sozialdemokraten angekommen. „Unsere<br />
aktiven Mitglieder sind das Herz unserer Partei.<br />
Ohne sie könnten wir nicht erfolgreich sein“ 6 ,<br />
heißt es zum Beispiel im Leitantrag für den ordentlichen<br />
Bundesparteitag im Dezember 2011<br />
in Berlin. Bereits bei früheren Organisationsreformen<br />
betonte man die Wichtigkeit der Mitglieder<br />
für die Parteiarbeit und gab das Ziel aus,<br />
Mitgliedern mehr Möglichkeiten der aktiven<br />
Teilhabe zu bieten, um so die massiven Verluste<br />
6 Leitantrag des SPD-Parteivorstandes zum Bundesparteitag<br />
im Dezember 2011, S. 13.<br />
in der Parteimitgliedschaft wieder aufzufangen.<br />
Es ist gleichwohl nichts passiert. Dabei sind die<br />
Sozialdemokraten dringend auf Mitglieder angewiesen,<br />
um weiterhin alle Aufgaben einer in der<br />
Bevölkerung verankerten Volkspartei wahrzunehmen.<br />
So sind Mitglieder wertvoll, um die<br />
Verbindung zwischen der Partei auf der einen<br />
und der Gesellschaft auf der anderen Seite wahrzunehmen<br />
und parteipolitische Positionen innerhalb<br />
der Gesellschaft zu verankern. Darüber hinaus<br />
sind Individuen, die sich in Parteien ehrenamtlich<br />
engagieren, oftmals auch Mitglieder<br />
weiterer (gemeinnütziger) Organisationen. Auch<br />
eine Verankerung in diesen Organisationen kann<br />
für eine Partei von Vorteil sein. Weiterhin spielen<br />
Mitglieder als ehrenamtliche Wahlkämpfer,<br />
sowie als Finanzierer ihrer Partei (z.B. durch<br />
Mitgliedsbeiträge und Spenden) eine Rolle.<br />
Nicht zuletzt stellen sie einen Personalpool für<br />
eine Vielzahl innerparteilicher und öffentlicher<br />
Ämter dar. 7<br />
2.2 Warum verlieren die Parteien Mitglieder?<br />
Gesellschaftlicher Wandel und Parteienverkrustung<br />
Die Ursachen für diese massiven Verluste sind<br />
vielfältig und nicht nur in der Partei selbst zu suchen.<br />
Vielmehr sind die Parteien im Gesamten<br />
seit Anfang der 90er Jahre von sinkenden Mitgliederzahlen<br />
betroffen. Hatten im Jahr 1990 insgesamt<br />
2.266.049 Menschen in der Bundesrepublik<br />
ein Parteibuch (auch bedingt durch die Vereinnahmung<br />
der alten Blockparteien durch CDU<br />
und FDP), so ging die Zahl seitdem stetig<br />
bergab8 . Ende 2010 gab es insgesamt weniger als<br />
1,5 Millionen Parteimitglieder in Deutschland.<br />
Grundsätzlich ist bei der Suche nach den Ursachen<br />
für die Mitgliederverluste der Parteien zwischen<br />
externen und internen Gründen zu differenzieren.<br />
Besonders die internen Gründe sind<br />
für die Parteien von Interesse, kann nämlich hier<br />
angesetzt werden, diese zu verringern. Demgegenüber<br />
stehen die externen Ursachen, auf wel-<br />
7 Für einen ersten Überblick empfehlen sich Poguntke,<br />
Thomas (2000); Decker, Frank (2007); Biehl, Heiko<br />
(2005); Detterbeck, Klaus (2009) sowie Schalt, Fabian<br />
et. al. (2009).<br />
8 Vgl.: Wiesendahl, Elmar (2006), S. 31-39.<br />
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